Der Beginn der Corona-Pandemie vor einem Jahr hat den europäischen Kontinent vor bisher nicht gekannte Herausforderungen gestellt. Die Frage, wie sich die Ausbreitung des Virus’ in den Griff bekommen lässt, hält Politiker und Fachleute seitdem in Atem. Zum Schutze der Gesundheit wurden Freiheitsrechte eingeschränkt in einem Maße, wie man sich das vor Beginn der Seuche wohl kaum hätte vorstellen können.

Dass die EU bei der Bewältigung einer Pandemie, die sich nicht an nationale Grenzen hält, eine wichtige Rolle spielen müsste, ist wohl eindeutig. Zuletzt machte die EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen (CDU) bei der Impfstoffbeschaffung jedoch eher keine gute Figur. Bei der federführend an die EU-Kommission übertragenen Beschaffung der Impfstoffe gab es massive Probleme. Zu wenig wurden bestellt, zu spät wurden jene, die bestellt wurden, geliefert. Gleichzeitig rütteln Grenzkontrollen an den Grundfesten des Binnenmarkts. Die letzten Wochen waren schwierige Wochen für Europa.

Wie sehr schwächt die Pandemie die EU insgesamt? Wie wird sie diese Krise überstehen? Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) beschönigt nichts. Es sei „nicht mit der nötigen Energie und Forschheit gehandelt worden, um ausreichend Impfstoffe für Europa zu beschaffen“, sagt er. Das spreche aber nicht gegen Europa. Im Gegenteil: „Es spricht dafür, Europa stark zu machen, und das tun wir“. Außenminister Heiko Maas (SPD) sieht das ähnlich und spricht eine Warnung aus: Das „tägliche Krisenmanagement“ dürfe nicht den Blick verstellen auf die Frage wie Europa dauerhaft aus dieser Krise gestärkt hervorgehen könne. Dies werde allerdings nur gelingen, „wenn wir den im letzten Jahr eingeschlagenen solidarischen Kurs fortsetzen werden“, so Maas.

Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben die EU-Staaten 2020 die Basis dafür geschaffen, dass Europa sich nach dem Brexit und nach Ende der Corona-Pandemie neu aufstellen kann. Mitten in der Krise rauften sie sich zusammen, um ein historisches Wiederaufbaupaket zu schnüren, mit gemeinsamen Zukunftsinvestitionen, die so noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären.

Der neue Billionenhaushalt der EU stellt Digitalisierung, Klimaschutz, Rechtsstaat und Gesundheit in den Vordergrund. Und der Corona-Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro wird erstmals über eine gemeinsame Kreditaufnahme finanziert, ein Novum, das klar Ausdruck europäischer Solidarität ist und die Handschrift der europäischen Sozialdemokratie trägt. Mit dem Aufbaufonds werde „nicht nur diese Krise bekämpft, es werden auch die Grundlagen für eine bessere Zukunft in Europa gelegt“, sagt Olaf Scholz, der maßgeblich an dessen Realisierung beteiligt war. Das Paket bietet sieben Chancen für Europa.

1. Größtes Konjunktur- und Zukunftspaket aller Zeiten

Insgesamt stehen für die wirtschaftliche Erholung Europas nach der Corona-Krise 1,8 Billionen Euro bereit. Der Haushalt steuert von 2021 bis 2027 eine Summe von 1074 Milliarden Euro zu. Dazu kommt der Corona-Aufbaufonds namens „NextGenerationEU“, über den EU-Mitgliedstaaten kurzfristig insgesamt 750 Milliarden Euro erhalten. Es ist das größte Konjunkturpaket, das je aus dem EU-Haushalt finanziert wurde. Eine hohe Summe, mit der die Wirtschaft in ganz Europa kräftig angekurbelt wird.

Kurzfristig helfen die Mittel aus dem Aufbaufonds: 672,5 Milliarden Euro sollen vor allem an die am schwersten von der Corona-Krise getroffenen EU-Staaten verteilt werden, um die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft abzufedern. Davon gibt es 312,5 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuschüsse und bis zu 360 Milliarden Euro als Darlehen.

Italien kann nach Schätzungen 65,5 Milliarden Euro allein an Zuschüssen bekommen, Spanien rund 59 Milliarden Euro. Auch Deutschland kann mit rund 25 Milliarden Euro Zuschüssen rechnen.

2. Fit für die Zukunft: Ein ökologischer und digitaler Umbau

Sowohl der Haushalt als auch der Corona-Aufbaufonds sind daran gebunden, dass ein wichtiger Anteil der Gelder für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung eingesetzt wird. Damit trägt das Konjunkturpaket dazu bei, dass die europäische Wirtschaft nachhaltig umgebaut wird und besser auf die Herausforderungen und Chancen des ökologischen und digitalen Wandels vorbereitet ist.

30 Prozent des Gesamthaushalts - statt wie bisher 20 Prozent – müssen in den Klimaschutz fließen. Für Digitalisierung und Biodiversität wurde eine zusätzliche Quote eingeführt, die ab 2026 zehn Prozent des Gesamthaushalts beträgt.

Auch die Mittel des Aufbaufonds sind an Investitionen in Digitalisierung und Umweltschutz geknüpft. Um das Geld zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten der EU-Kommission konkrete Pläne für diese wichtigen Bereiche vorlegen. So kann ein Europa entstehen, das umweltfreundlicher, digitaler, und widerstandsfähiger ist.

3. Europa hält zusammen

Um den Corona-Aufbaufonds zu finanzieren, darf die EU-Kommission erstmals in größerem Ausmaß eigenständig Kredite aufnehmen. Das kommt insbesondere den wirtschaftlich schwächeren Staaten zugute, die sich sonst zu schlechteren Bedingungen verschulden müssten. So stehen die EU-Staaten solidarisch füreinander ein – anders als während der Finanzkrise 2008/2009. Stark getroffene Länder wie Griechenland litten damals sehr unter ihrer hohen Verschuldung - was auch für Länder mit starker Exportwirtschaft, etwa Deutschland, große Nachteile brachte.

„Anders als in vergangenen Krisen haben die Mitgliedstaaten gezeigt, dass Europa sich nicht auseinanderdividieren lässt, sondern in der Krise zusammensteht und mutig voranschreitet“, sagt Achim Post, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Zwar wurde der Kommission von den Mitgliedstaaten nur im Rahmen des Corona-Aufbaufonds die Erlaubnis übertragen, gemeinsame Kredite aufzunehmen. Dennoch ist es ein großer Integrationsschritt. Olaf Scholz sieht in ihm sogar den „Startschuss“ für eine europäische Fiskalunion.

Die Kredite werden zunächst aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt, zusätzlich werden aber auch neue gemeinsame Steuern eingeführt (siehe Punkt 4).

4. Gemeinsame Steuern

Noch kann die EU nicht selbstständig Steuern erheben, dieser wichtige Baustein einer Fiskalunion fehlt noch. Als ersten Schritt einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, zum 1. Januar 2021 eine Steuer auf Plastikabfälle einzuführen. Alle EU-Länder sollen ab Januar für jedes Kilo nicht recycelten Plastik-Verpackungsmülls zahlen. Das soll dem EU-Haushalt 5,7 Milliarden Euro bringen.

Weitere EU-weite Steuern sind geplant. Insbesondere eine Digitalsteuer wäre so sinnvoll wie lukrativ. Idealerweise wäre diese in einen weit größeren internationalen Rahmen eingebettet. Bundesfinanzminister Olaf Scholz treibt dieses Projekt schon länger bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) voran. Doch während der Präsidentschaft von Donald Trump stellten sich die USA quer. Jüngst aber signalisierte die neue Regierung unter Joe Biden Unterstützung, eine Einigung bis zum Sommer scheint damit greifbar.

Nur gemeinsam Aufgaben schultern, ohne gemeinsame Einkünfte oder Finanzierungsformen zu entwickeln, werde nicht gehen, so Finanzminister Olaf Scholz. Deshalb müsse die europäische Integration hier einen entscheidenden Schritt nach vorne machen.

5. Mehr Demokratie

In einigen Mitgliedstaaten der EU kommt es immer wieder zu Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundsätze. In Polen etwa weitet die Regierung ihren Einfluss auf das Justizsystem immer weiter aus, und Ungarns Premier Viktor Orbàn beschneidet die Pressefreiheit in seinem Land. Um solchen Tendenzen entgegenzuwirken und die Demokratie zu stärken, wurde mit dem neuen Haushalt der EU ein „Konditionalitätsmechanismus“ eingeführt. Dieser verknüpft die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt erstmals mit der Einhaltung von rechtsstaatlichen Standards.

Bei Verstößen können Staaten künftig EU-Gelder gestrichen werden. Vereinbart wurde, dass der Mechanismus nicht nur dann angewendet wird, wenn EU-Gelder wie in Fällen von Korruption oder Betrug direkt missbraucht werden. Er soll vielmehr auch bei systemischen Verstößen gegen die für alle Mitgliedsstaaten geltenden EU-Grundwerte angewandt werden. Zu diesen Grundwerten zählen Freiheit, Demokratie, Gleichheit und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten.

6. Sozialer Ausgleich

Im EU- Haushalt und dem Corona-Aufbaufonds sind auch soziale Maßnahmen enthalten. Mit dem Programm SURE etwa werden in ganz Europa Kurzarbeitsprogramme unterstützt, damit in der Krise möglichst viele Arbeitsplätze gerettet werden können. Mitgliedstaaten können dazu Finanzhilfen in Form von EU-Darlehen zu günstigen Bedingungen erhalten. Insgesamt wurden bis zu 100 Milliarden Euro für alle 27 Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Bisher ist SURE nur ein zeitlich begrenztes Programm zur Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie. Die SPD-Fraktion setzt sich jedoch dafür ein, dass eine dauerhafte europäische Arbeitslosenversicherung entwickelt wird.

Die ökologische Transformation muss auch sozial gerecht sein. Deshalb wurde ein Fonds eingerichtet, um Regionen beim ökologischen Umbau zu unterstützen, wie etwa bei der Stilllegung von Kohlekraftwerken. Er ist mit 17,5 Milliarden Euro ausgestattet, die aus dem Haushalt und aus dem Corona-Aufbaufonds kommen.

7. Gesundheitskrisen verhindern

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig die europäische Kooperation insbesondere auch im Gesundheitsbereich ist. Der Haushalt der EU trägt dem mit dem „EU4Health“ -Programm Rechnung. 9,4 Milliarden Euro stehen zur Verfügung, um unter anderem das europäische Krisenmanagement zu verbessern, Arzneimittel günstiger und breiter verfügbar zu machen und die Gesundheitssysteme auf künftige Pandemien vorzubereiten.

Über das Programm soll etwa eine Reserve an Gesundheitspersonal und Experten finanziert werden, die mobilisiert werden kann, um Gesundheitskrisen in der gesamten EU zu verhindern oder schnell darauf zu reagieren, und um Gesundheitsfachkräfte für den Einsatz in der gesamten EU zu schulen. Zudem plant die EU-Kommission eine neue, eigene Gesundheitsbehörde namens Hera (Health Emergency Response Authority) zu gründen, die Risiken für Pandemien frühzeitig erkennen und deren Bekämpfung in Europa koordinieren soll.