Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Vor genau einer Woche wurde uns hier vom Fraktionsvorsitzenden der Linken vorgeworfen, blindlings immer neue Asylgesetze auf den Weg zu bringen. Da passt es überhaupt nicht, wenn Sie mit dem heute vorliegenden Antrag eine grundlegende Ver- änderung bei der gesundheitlichen Versorgung von Asylbewerbern fordern, anstatt zunächst einmal abzuwarten, wie sich das längst Beschlossene in der Praxis bewährt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo kommt eigentlich das Wort „bewährt“ her in diesem Zusammenhang?)
Wir als SPD setzen uns für eine gute und angemessene medizinische Versorgung von Flüchtlingen ein. Wer das hier im Haus bezweifelt, hat in den letzten Monaten nicht aufgepasst. Worauf es derzeit beim Thema „Flüchtlinge und Asyl“ aber vor allem ankommt, ist, sich politisch für gesellschaftlichen Zusammenhalt starkzumachen; denn dieser Zusammenhalt scheint momentan an allen Ecken und Enden zu bröseln, und er wird auch von manchen bewusst untergraben. Da ist es wenig hilfreich – ja, ich finde es sogar regelrecht kontraproduktiv –, wenn die hier mit großer Mehrheit beschlossenen Asylgesetze als diskriminierend bezeichnet werden und die Linken der Regierung mit ihrem Antrag sogar vorwerfen, die Menschenrechte zu verletzen.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist aber Fakt! Dann muss man sich das auch anhören!)
Mit solchen ungerechtfertigten Anschuldigungen und Überzeichnungen heizen Sie die ohnehin schon zugespitzte öffentliche Debatte noch weiter an. Ich fordere Sie als demokratisch gewählte Abgeordnete dieses Landes auf, endlich verbal abzurüsten. Das, Frau KleinSchmeink, ist auch ein bisschen an Sie gerichtet, nachdem Sie hier eben das Wort „perfide“ benutzt haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, es ist perfide!)
Wir brauchen keine weitere Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen keine sozialpolitischen Experimente wie die Einbeziehung von Asylbewerbern in die „Versicherungspflicht“, so haben Sie es ja genannt, der GKV. Viel dringender und notwendiger ist das, was wir heute Morgen in diesem Haus beschlossen haben, nämlich die Beschleunigung der Verfahren. Je schneller ein Verfahren abgeschlossen ist, desto schneller erhalten die Betroffenen auch Anspruch auf soziale Leistungen und, mehr noch, desto schneller erhalten sie den Zugang zum Arbeitsmarkt.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darum geht es euch doch gar nicht!)
Nur so erhalten Asylsuchende die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten und ihren Versicherungsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung aus eigener Kraft zu bezahlen, was die Menschen auch wollen. Dafür mit einem breitangelegten Integrationskonzept Brücken zu bauen, darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Legen Sie mal so ein Integrationskonzept auf!)
Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Klein-Schmeink?
Heike Baehrens (SPD): Gerne. Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. – Frau Klein-Schmeink, bitte.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke für die Zulassung der Frage. – Frau Baehrens, mit dem heute verabschiedeten Asylpaket wurde auch eine große und umfangreiche Änderung bei den Abschiebehindernissen vorgenommen. Da heißt es: Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äu- ßerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib und Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in den Fällen von posttraumatischer Belastungsstörung regelmäßig nicht angenommen werden. Meinen Sie wirklich, dass das, was ich vorhin ausgeführt habe, tatsächlich eine Überzeichnung war? Ist es nicht sogar so, dass man sagen muss, dass ich gar nicht in der Deutlichkeit auf das Schlimme, was Sie heute Morgen hier entschieden haben, hingewiesen habe? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Heike Baehrens (SPD): Frau Klein-Schmeink, wir haben uns über diesen Sachverhalt vorgestern Abend im Gesundheitsausschuss schon ein wenig ausgetauscht. Ich habe auch da bereits gesagt, dass unsere Auffassung von schwerwiegender Erkrankung selbstverständlich auch die psychischen Erkrankungen umfasst, die als Posttraumata oder ähnliche Erkrankungen bezeichnet werden. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Gesetz!) – Nein, wir müssen unterscheiden, Frau Vogler – das wissen Sie auch ganz genau –, zwischen dem, was wortwörtlich im Gesetz steht, und dem, was in der Begründung steht. Die konkrete Entscheidung obliegt nach wie vor den Ärzten und den Psychotherapeuten, die im Einzelfall entscheiden müssen. (Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Die dürfen ja gar nicht! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Psychotherapeuten dürfen ja gar nicht entscheiden! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können ja gar nicht entscheiden!) Ich werde auf das Thema aber im Weiteren noch einmal zu sprechen kommen. Ich komme zurück zum Antrag der Linken. Schlicht falsch ist es, wenn Sie als Linksfraktion in Ihrem Antrag behaupten, der medizinische Versorgungsanspruch von Flüchtlingen werde auf unterhalb des medizinisch Notwendigen begrenzt. Am Umfang der medizinischen Versorgung wurde nichts geändert und wird nichts geändert; (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist ja das Schlimme!) denn selbstverständlich haben Asylsuchende in unserem Land Anspruch auf ausreichende medizinische Versorgung. Dies wird gewährleistet durch die Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz. Einen leichteren Zugang zu diesen Leistungen wollen wir Flüchtlingen ja gerade dadurch ermöglichen, dass sie eine Gesundheitskarte erhalten, die sie berechtigt, direkt zum Arzt zu gehen, anstatt sich zuerst ans Sozialamt wenden zu müssen. Das genau, Frau Vogler, ist die Antwort auf diese furchtbaren Vorkommnisse, die Sie vorhin zitiert haben. Die Antwort lautet: Es muss ein direkter Zugang zum Arzt und auch ins Krankenhaus ermöglicht werden. Dies wird möglich, indem die Flüchtlinge und Asylsuchenden eine Gesundheitskarte erhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nun kritisieren Sie in Ihrem Antrag erstaunlicherweise, dass dadurch Ärzte über die Notwendigkeit von Behandlungen zu entscheiden hätten. „Ja, wer denn sonst?“, frage ich Sie. Genau das wollen wir doch mit der Gesundheitskarte erreichen. Wir wollen, dass endlich medizinisch geschultes Fachpersonal entscheidet und nicht fachfremde Mitarbeiter der Sozialämter entscheiden, die ohnehin durch andere Aufgaben überlastet sind. Dass Ärzte eine Differenzierung vornehmen müssen, was im Einzelfall medizinisch notwendig ist oder eben nicht, ist nicht „unzumutbar“, wie Sie schreiben, sondern im Gegenteil originärer ärztlicher Auftrag.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge garantiert den Betroffenen also eine gesundheitliche Versorgung ohne Umwege, entlastet die Sozialverwaltung und nutzt das Know-how und die vorhandenen Strukturen der Krankenkassen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es ja fast nirgendwo! In Bayern nicht! In Sachsen nicht! In vielen Kreisen nicht! In vielen Städten nicht!) Das ist, wo es umgesetzt wird, ein ganz wichtiger Fortschritt für alle Beteiligten. Jetzt kommt es darauf an, das tatsächlich umzusetzen, und dazu fordern wir die Länder auf. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Länder können das gar nicht umsetzen! Das hängt von den Kommunen ab!) Wir alle wissen, die Umsetzung dieser und anderer Verbesserungen, die wir beschlossen haben, braucht Zeit. Diese Zeit sollten Sie nicht dafür nutzen, den Eindruck zu vermitteln, als würde sich nichts entwickeln; denn neben der Einführung der Gesundheitskarte haben wir noch einiges mehr auf den Weg gebracht, das hier noch einmal erwähnt werden soll: Wir haben den Anspruch von Flüchtlingen auf Schutzimpfungen eingeführt. Wir haben die Situation von Traumageschädigten verbessert, Frau Klein-Schmeink, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch was?) durch Programme zur Förderung von Traumazentren, aber auch durch die Ermächtigung von mehr Ärzten und Psychotherapeuten zu ihrer Behandlung. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Frau Baehrens, das stimmt nicht! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das genau? Wann fängt das an?) Zudem haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Ärzte, die selbst Asyl hier in Deutschland suchen, sich rasch an der gesundheitlichen Versorgung in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften Mbeteiligen können – im Übrigen ein ganz wichtiger Beitrag zur besseren medizinischen Versorgung, weil damit auch die Sprachbarriere überwunden wird, die ansonsten ein großes Problem darstellt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist, wenn einer nicht deutsch spricht?) Schon diese wenigen Beispiele mögen belegen, dass wir als Große Koalition sehr verantwortlich mit der Aufgabe umgehen, die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden zu verbessern. Lassen Sie uns doch einfach gemeinsam an der Umsetzung konkreter und sachgerechter Lösungen weiterarbeiten; denn was wir angesichts der hohen Zuzugszahlen brauchen, sind Entscheidungen mit Maß und Ziel und auch so etwas wie humanitärer Pragmatismus. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsächlich Pragmatismus zur Abschiebung! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn humanitärer Pragmatismus? Das gibt es doch gar nicht!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)