"Gute Arbeit": Die Legislaturperiode befindet sich in ihrem letzten Jahr. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz zur Arbeit der Großen Koalition aus?

Thomas Oppermann: Sehr gut. Es gibt immer ein Delta zwischen dem, womit eine Partei im Wahlkampf geworben hat, und dem, was eine Fraktion in einer Koalition davon umsetzen konnte. Für die SPD-Fraktion gilt in dieser Koalition: Noch nie war das Delta so klein. Von Anfang an war die SPD-Bundestagsfraktion Motor der Koalition, hat die großen und entscheidenden Vorhaben bestimmt und durchgesetzt. Mit dem Ergebnis bin ich äußerst zufrieden. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass wir in den kommenden Monaten die Hände in den Schoß legen werden. Wir haben noch einiges vor und werden hart dafür arbeiten, das auch umzusetzen.

Welche Gesetze würden Sie besonders hervorheben?

Natürlich den Mindestlohn. Ein Jahrzehnt Überzeugungsarbeit dafür hat sich gelohnt. Alle Experten, die vorher Zeter und Mordio geschrien haben, sind widerlegt. Der Mindestlohn hat weder Arbeitsplätze gekostet noch der Wirtschaft geschadet. Im Gegenteil: Für Millionen war es die größte Lohnerhöhung jemals, und insgesamt hat er mehr Wohlstand gebracht. Aber auch andere Gesetze sind besonders wichtig: das Bundesteilhabegesetz, die Rentenreformen, die Frauenförderung und  vieles andere mehr. Wir haben gute Arbeit gemacht.

Dennoch scheint in Deutschland die Unzufriedenheit über die Politik insgesamt zu wachsen. Wie passt das mit Ihrer positiven Bilanz der letzten Jahre zusammen?

Vertrauen ist die Grundwährung der Politik. Und das ist zweimal in den vergangenen sieben Jahren empfindlich gestört worden. Erstens in der Finanzkrise: Die Menschen hatten das Gefühl, der Staat ist nicht in der Lage, ihr mühsam erarbeitetes Vermögen gegen gierige Finanzjongleure der großen Banken zu schützen. Zweitens in der Flüchtlingskrise, als der Eindruck aufkam, der Staat habe die Sache nicht im Griff. Beides hat ein Misstrauen in den Staat und seine Institutionen hervorgerufen, das nur sehr langsam wieder in Vertrauen verwandelt werden kann.

Was kann die Politik tun, um bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Vertrauen zu gewinnen?

Vertrauen wächst langsam. Wir müssen es mit solider Arbeit und einer Politik, deren Erfolg die Menschen auch spüren, zurückgewinnen. Und wir müssen denen, die mit Hass, Hetze und populistischen Parolen Misstrauen säen, entschieden entgegentreten. Von solchen Leuten ist nichts zu erwarten, schon gar keine Verbesserungen. 

Mit ihrem Projekt Zukunft hat die SPD-Fraktion den Dialog mit der Gesellschaft gesucht. Dass Politiker mit Fachleuten, Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern sprechen, ist noch nichts Besonderes. Was haben Sie beim Projekt Zukunft – #NeueGerechtigkeit anders gemacht?

Wir haben keine Thesen vorgetragen, sondern Fragen gestellt, auf die wir von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Antworten bekommen haben. Wichtige Ergebnisse waren unter anderem ein neues Sozialversicherungssystem für Selbstständige, der Ausbau von Ganztagsschulen und das Modell für ein Einwanderungsgesetz. Der Titel des Projekts lautet „Neue Gerechtigkeit“.

Was genau ist damit gemeint?

Gerechtigkeit ist das Kernanliegen der Sozialdemokratie. Was aber als gerecht oder ungerecht empfunden wird, unterliegt auch dem gesellschaftlichen Wandel. Heute werden Gerechtigkeitsfragen anders gestellt als vor 30 oder 50 Jahren. Zum Beispiel die Frage, wie wir die wachsende Gruppe der SoloSelbständigen vernünftig absichern können. Oder wie wir die Digitalisierung sozial ausgestalten. Wir müssen auch diskutieren, wie wir den demografischen Wandel gestalten. Dabei stehen ganz praktische Aspekte im Fokus: Wie können wir die Mobilität der Menschen im ländlichen Raum verbessern, wie können wir durch gesteuerte Zuwanderung sicherstellen, dass unser Wohlstand erhalten bleibt, und wie können wir sicherstellen, dass jedem Einzelnen der Zugang zu einer individuell angemessenen Bildung ermöglicht wird? Ein weiterer Aspekt ist, wie wir Erleichterungen für Arbeitende schaffen, die ihnen eine bessere Balance zwischen Berufs- und Familienleben ermöglichen. All das erfordert, dass wir Gerechtigkeit immer wieder neu denken müssen.

Wie fällt Ihr Fazit zu den einzelnen Projektgruppen aus?

Alle Projektgruppen haben hervorragende Arbeit geleistet. Bei unserer Abschlussveranstaltung Ende November konnte jeder sehen, wie sinnvoll eine Zusammenarbeit mit den Menschen außerhalb des Parlaments ist. Viele wollen sich an der konkreten politischen Arbeit beteiligen. Wir haben das ermöglicht und die guten Ergebnisse geben uns Recht. 

Wie sehen diese Ergebnisse konkret aus? Und was hat die SPD-Bundestagsfraktion mit den Projektergebnissen vor?

Wir haben den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorgelegt, Vorschläge für eine bessere soziale Absicherung von Solo-Selbständigen gemacht, Ideen für eine neue Zeitpolitik und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Engagement und Familie entwickelt – um nur einige wenige Ergebnisse zu nennen. Der nächste Schritt ist, diese in konkrete parlamentarische Initiativen umzumünzen. Dafür werden wir Anträge oder Gesetzesinitiativen entwickeln. Die legen wir dann unserem Koalitionspartner zur Umsetzung vor. Natürlich ist uns klar, dass die Union nicht überall mitziehen wird. Aber was in dieser Legislaturperiode am Koalitionspartner scheitert, kommt nach den Wahlen wieder aufs Tableau. Da werden wir hartnäckig bleiben.

Was können die Menschen in der ersten Jahreshälfte von der Koalition noch erwarten? Welche konkreten Projekte und Gesetze sind noch in der Planung?

Es gibt noch eine ganze Menge, was wir vor der Bundestagswahl erreichen wollen. Um nur ein paar Dinge zu nennen: Wir wollen das Gesetz zur Entgeltgleichheit durchs Parlament bringen und auch das Recht zur Rückkehr in Vollzeit durchsetzen. Im Rentenbereich müssen wir noch weitere Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und auch die Rentenangleichung OstWest beschließen. Die Aufhebung des Kooperationsverbots im Schulbereich steht ebenfalls noch an. Darauf haben wir als Fraktion lange hingearbeitet, damit der Bund endlich helfen kann, wenn finanzschwache Kommunen keine Mittel mehr haben, um Schulen anständig auszustatten. Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag wichtige Vereinbarungen für einen besseren Mieterschutz getroffen. Nachdem wir die Mietpreisbremse umgesetzt haben, will die Union jetzt von den weiteren Verabredungen nichts mehr wissen. Wir werden sie mit gebührendem Nachdruck daran erinnern.