Die Schweizer Regierung wollte das dortige Bankgeheimnis möglichst weitgehend schützen und die Geschäftstätigkeit der Schweizer Banken in Deutschland erleichtern. Die langjährigen guten Geschäftsbeziehungen der Schweizer Finanzbranche mit deutschen Kunden/Steuerhinterziehern sollten gewahrt werden. Dafür hätte Deutschland auf Steueransprüche und Strafverfolgung verzichtet, die Kompetenzen der deutschen Finanz- und Justizbehörden wären erheblich – und wahrscheinlich verfassungswidrig – eingeschränkt worden. Die Grundsätze einer rechtssicheren, gerechten und gleichmäßigen Besteuerung wären durch das Abkommen mehrfach verletzt worden.

Die im Abkommen vorgesehene Behandlung unversteuerter Vermögenswerte in der Schweiz („Altfälle“) wäre eine klare Privilegierung der dahinter stehenden Steuerhinterzieher gewesen. Über eine pauschale Nachversteuerung hätten diejenigen, die Kapital in der Schweiz ange-legt und nicht wie erforderlich versteuert haben, Legalität und damit Straffreiheit erlangt. Nach geltendem deutschem Recht schützt auch eine Selbstanzeige den Steuertäter - allerdings bei vollständiger Offenheit gegenüber der Finanzverwaltung und umfassender Steuer-nachzahlung - vor Strafverfolgung. Laut Steuerabkommen sollte die pauschale Nachversteuerung ausreichen; die Steuerhinterzieher wären anonym geblieben. Das wäre nichts anderes als moderner Ablasshandel gewesen.

Eine umfassende Besteuerung war nicht sicher

Die von der Schweiz, von Merkel und Schäuble und von vielen anderen in der schwarz-gelben Koalition behauptete „umfassende Besteuerung aller deutschen Vermögensanlagen in der Schweiz“ durch das Abkommen ist mehr als fragwürdig.
Zum einen hätten Vermögenswerte bis Jahresende 2012 sanktionslos und unerkannt aus der Schweiz abgezogen und in andere Steueroasen verlagert werden können. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass diese Transfers (sog. „Abschleichen“) nicht bereits während der Verhandlungen begannen und sich vor Inkrafttreten des Abkommens vermehrt fortgesetzt hätten. Zum anderen ließ das Abkommen zu, dass Vermögen legal in vom Abkommen nicht erfasste Anlageformen (über Familienstiftungen, Trusts, Schließfächer) umgeschichtet werden konnte. Die Schweizer Finanzbranche hat ihren „Kunden“ zweifelsohne entsprechende Angebote vorgelegt.

Damit ist die bis heute ständig wiederholte Behauptung von Schwarz-Gelb, das an SPD und Bündnis 90/Die Grünen gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz hätte nicht nur Einzelfälle, sondern „flächendeckend“ alle Hinterziehungen deutscher Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Vermögen in der Schweiz erfasst, ein Fall von polit-taktischer Legendenbildung.

Schwarz-Gelb beziffert den „Ertrag“ für den deutschen Fiskus aus dem Steuerabkommen mit der Schweiz auf geschätzt 10 Milliarden Euro. Dies ist angesichts der zahlreichen Umgehungsmöglichkeiten und Schlupflöcher, die das Abkommen geboten hätte, eine „Mondzahl“. Das tatsächliche Steuermehraufkommen wäre mit hoher Wahrschein-lichkeit deutlich geringer ausgefallen. Als Einnahme garantierten die Schweizer Banken jedenfalls nur 1,6 Milliarden Euro. Schäuble selbst war an dieser Stelle deutlich zurückhaltender als viele andere Vertreter der schwarz-gelben Koalition.

Das Steuergeheimnis gilt

Gern argumentieren FDP-Wissing und Co. in diesen Tagen, jemand wie Herr Hoeneß komme mit der strafbefreienden Selbstanzeige nach geltendem deutschen Recht – sofern sie wirksam ist – finanziell besser davon als bei einer Besteuerung nach dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen. Dieses sei damit schlagkräftiger.

Welche Variante für den Straftäter finanziell „lukrativer“ wäre, lässt sich immer nur im Einzelfall beurteilen. Es wird Fälle geben, in denen die strafbefreiende Selbstanzeige für den Steuerhinterzieher finanziell günstiger ist als das Abkommen; in anderen Fällen kann es genau umgekehrt sein. Seriöse Aussagen zum Fall Hoeneß können nur die machen, die alle einschlägigen Fakten und Daten kennen. Natürlich gilt auch hier das Steuergeheimnis, das wir nicht in Frage stellen.

Es gibt Modellberechnungen, die belegen, dass ausgerechnet bei großen Steuerhinterziehungen, die sogar mit Freiheitsstrafe bedroht sind, die Pauschalsteuer nach dem Abkommen weit unter der eigentlich zu zahlenden Steuer gelegen hätte. Mit dem Grundsatz einer gleichmäßigen Besteuerung unvereinbar und daher inakzeptabel war, dass sich die Straftäter sogar hätten aussuchen können, welche Kombination für sie persönlich vorteilhafter gewesen wäre: Anonymität/Pauschalbesteuerung oder Offenlegung/Individualbesteuerung.

Transfer von Schwarzgeld in Schweiz wäre weiter möglich

Auch hinsichtlich der im Abkommen ebenfalls geregelten zukünftigen Besteuerung von Vermögensanlagen in der Schweiz arbeitet Schwarz-Gelb mit Lügen und Legenden.
Das Abkommen hätte den Transfer von neuem Schwarzgeld in die Schweiz nicht verhindert. Solche Steuerhinterziehungen wären infolge des Schweizer Bankgeheimnisses auch künftig weitgehend unentdeckt geblieben. Die geplante Abgeltungsteuer betraf lediglich die Besteue-rung der Erträge aus Vermögenswerten in der Schweiz, nicht aber sonstige Steueransprüche wie die Umsatz- oder die Gewerbesteuer. Die Besteuerung im Erbfall, die die Schweiz auf Drängen deutscher Landesregierungen nachträglich zugestand, hätte sich durch vorweggenommene Schenkung zu Lebzeiten vermeiden lassen. Außerdem ließ das Abkommen findigen Steuerhinterziehern und ihren professio-nellen Beratern aus der Finanzbranche auch für die Zukunft genug Möglichkeiten, Vermögen außerhalb der Besteuerung anzulegen.

Das Abkommen war löchrig wie ein Schweizer Käse: Genau diese Tatsache wird von Schäuble und Schwarz-Gelb aber gezielt verschwiegen. Die pauschale schwarz-gelbe Behauptung, deutsches Vermögen in der Schweiz werde mit dem Abkommen zukünftig „genauso besteuert wie in Deutschland“ ist falsch.

Mit dem Abkommen wollte Schäuble für Deutschland auf den Kauf von Schweizer Steuerdaten-CDs verzichten. Dies hätte die deutschen Fi-nanz- und Justizbehörden, daran gehindert, bestehende Steuer- und Strafansprüche gleichmäßig durchzusetzen, und war deshalb strikt abzulehnen.

Erklärtermaßen wollte die Schweiz mit dem Steuerabkommen, das sie mit dem willigen Minister Schäuble aushandelte, eine bilaterale Zusammenarbeit als gleichwertiges Gegenmodell zum automatischen Informationsaustausch etablieren. Ihrem Finanzplatz sollte damit ein Standortvorteil im Wettbewerb um vermögende Kunden gesichert werden. Dies war und ist unvereinbar mit den Zielen der SPD, letztlich überall den automatischen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten, das Ende des überholten Bankgeheimnisses und die Aufhebung der Anonymität der Steuerhinterzieher und ihrer Helfer zu erreichen.

Wir brauchen ein Modell, das nicht vom Vertragspartner abhängt

Das Problem unversteuerter Vermögenswerte in Steueroasen betrifft nicht allein Deutschland. Zielführend wäre es, zur Lösung der „Altfälle“ auf europäischer und internationaler Ebene ein anerkanntes Modell zu entwickeln, das nicht von der politischen Durchsetzungskraft der jeweiligen Vertragspartner abhängt. Anders als Schäubles vermeintlich „systematische Lösung“ müsste dieser Ansatz den berechtigten Interessen aller Staaten Rechnung tragen, die jahrzehntelang immense Steuerausfälle durch grenzüberschreitende Steuerhinterziehung erlitten. Einem solchen Modell darf sich keine Steueroase entziehen können.

Gleiches gilt für die künftige Zusammenarbeit der Staaten bei der Besteuerung
grenzüberschreitender Sachverhalte. Es gibt keine Rechtfertigung, ausländischen
Staaten die hierfür notwendigen Daten zu verweigern. Der OECDStandard
für den steuerlichen Auskunftsaustausch ist entsprechend zu erhöhen,
bei Bedarf müssen Sanktionen gegen kooperationsunwillige Staaten
ergriffen werden.

Die deutsch-schweizerischen Verhandlungen über das Steuerabkommen
bremsten letztlich jahrelang die längst überfällige Revision der europäischen
Zinsrichtlinie. Sie blockierten die Mandate der Europäischen Kommission, mit
Drittstaaten wie der Schweiz parallel die Anpassung der bestehenden Zinsbesteuerungsabkommen umzusetzen.

Damit war das Steuerabkommen mit der Schweiz auch als klarer Rückschritt
für die europäischen Pläne zur steuerlichen Zusammenarbeit abzulehnen.

Weitere Argumente gegen das Steuerabkommen führt der Entschließungsantrag
der SPD-Bundestagsfraktion zur dritten Beratung des Entwurfes eines
Gesetzes zum deutsch-schweizerischen Steuerabkommen auf, vgl. Drs.
17/11152.