Der Kern des neuen Gesetzes ist die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der im Gegensatz zum bisherigen nicht nur die körperlichen Einschränkungen von Menschen einbezieht, sondern körperliche, geistige und psychische Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Damit werden Einschränkungen von Demenzkranken gleichrangig in der Begutachtung behandelt.

Größte Reform seit Bestehen der Pflegeversicherung

20 Jahre nach Einführung Pflegeversicherung vollzieht die Große Koalition mit den Pflegestärkungsgesetzen I und II die größte grundlegende Reform. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach machte deutlich, dass mit der Beitragssatzerhöhung von insgesamt 0,5 Beitragssatzpunkten der Pflegeversicherung im Jahr 2017 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung ständen als noch zu Beginn der Legislaturperiode. Und dieses Geld werde gut eingesetzt. So helfe die Pflegereform die stationäre Pflege zu vermeiden. Wohnumfeldverbesserungen unterstützten zum Beispiel, dass ältere Menschen in ihrem Zuhause bleiben können.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II werde das Anliegen umgesetzt, für Menschen in ihrer letzten Lebensphase Lebensqualität zu gewährleisten und ihnen Solidarität entgegenzubringen, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis. Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff werde Pflege nicht mehr danach ausgerichtet, was die Menschen nicht mehr können, sondern es gehe darum, was sie können und sie dabei individuell zu unterstützen, damit sie am Leben teilhaben können. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion bleibe weiterhin die solidarische Bürgerversicherung, unterstrich Mattheis.

Die zuständige Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Mechthild Rawert, stellte klar, dass die SPD-Fraktion nun endlich den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff durchsetzen konnte, den sie seit vielen Jahren gefordert hat. Mit der Pflegereform werde durch frühere Unterstützung Pflegebedürftigkeit verzögert oder sogar vermieden.

Fünf Pflegegrade lösen drei Pflegestufen ab

Ab 2017 sollen fünf so genannte Pflegegrade die bisherigen drei Pflegestufen ablösen. Bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen wird mittels eines neuen Verfahrens anhand von sechs Merkmalen überprüft, wie es um den Grad der Selbstständigkeit einer Person bestellt ist. Dazu zählen die Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Damit wird der individuelle Bedarf bei Pflegebedürftigen sehr viel genauer ermittelt.

Mit der Einführung der Pflegegrade setzt die Unterstützung früher an. Denn der Pflegegrad 1 erreicht Menschen, die bisher keine Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten haben. Sie haben einen deutlich geringeren Unterstützungsbedarf. Sie benötigen zum Beispiel bauliche Anpassungen in der Wohnung oder eine Begleitung beim Spazierengehen, damit eine Verschlechterung der Pflegebedürftigkeit möglichst aufgehalten werden kann. Es wird davon ausgegangen, dass künftig 500.000 Menschen einen Anspruch auf Leistungen des Pflegegrads 1 haben werden.

Für Pflegebedürftige, die vollstationär versorgt und betreut werden, wird der zu leistende pflegebedingte Eigenanteil mit zunehmender Pflegebedürftigkeit nicht mehr wie bisher ansteigen. In Zukunft bezahlen alle Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5 einen pflegebedingten Eigenanteil in gleicher Höhe. Dieser wird in den Pflegeheimen unterschiedlich ausfallen. Es wird davon ausgegangen, dass der pflegebedingte Eigenanteil im Bundesdurchschnitt im Jahr 2017 bei 580 Euro liegen wird.

Kein Pflegebedürftiger wird schlechter gestellt - Überleitung automatisch

Alle, die bereits Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, werden per Gesetz automatisch ohne erneute Begutachtung in das neue System überführt. Niemand wird schlechter gestellt, die meisten erhalten sogar deutlich mehr Leistungen. 

Hauptleistungsbeträge

(* Als Geldbetrag, der für Erstattung der Betreuungs- und Entlastungsleistungen zur Verfügung steht.)
Leistung Pflegegrad 1 Pflegegrad 2 Pflegegrad 3 Pflegegrad 4 Pflegegrad 5
Geldleistung ambulant
125 Euro*
316 Euro 545 Euro 728 Euro 901 Euro
Sachleistung ambulant   689 Euro 1298 Euro 1612 Euro 1995 Euro
Leistungsbetrag stationär   125 Euro 770 Euro 1262 Euro 1775 Euro 2005 Euro

Mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 wird auch der Grundsatz „Reha vor Pflege“ gestärkt. Denn Rehabilitationsmaßnahmen können Pflegebedürftigkeit verhindern, hinauszögern und Verschlechterungen vorbeugen. Künftig müssen alle ambulante Pflegedienste neben körperbezogenen Pflegeleistungen und Hilfen bei der Haushaltsführung auch so genannte pflegerische Betreuungsleistungen (Begleitung beim Spaziergang, vorlesen usw.) anbieten. Ebenso müssen die stationären Pflegeeinrichtungen pflegerische Betreuungsleistungen für die Pflegebedürftigen bereitstellen.

Mehr Leistungen für pflegende Angehörige

Die Pflegeversicherung wird künftig für deutlich mehr pflegende Angehörige Rentenbeiträge einzahlen. Allein durch die Überleitung der Pflegebedürftigen aus der Pflegestufe 0 in den Pflegegrad 2 profitieren ihre pflegenden Angehörigen erstmalig von einer rentenrechtlichen Absicherung. Die Rentenbeiträge steigen bei zunehmender Pflegebedürftigkeit. Zudem verbessert sich der Versicherungsschutz für pflegende Angehörige in der Arbeitslosenversicherung.

Darüber hinaus wird die Pflegeberatung für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige qualitativ verbessert. Sie kann zukünftig auch gegenüber den Angehörigen oder Lebenspartnern ohne Beisein des Pflegebedürftigen erfolgen.
Des Weiteren werden die Regelungen zur Qualitätssicherung, -prüfung und -darstellung grundlegend überarbeitet und die Entscheidungsstrukturen der Selbstverwaltung gestrafft. Der so genannte Pflege-TÜV wird neu ausgerichtet.

Gute Pflege kostet Geld - Beitragssatz steigt 

Um auch künftig eine menschenwürdige Pflege bei steigender Anzahl von Pflegebedürftigen gewährleisten zu können, ist der Beitragssatz der Pflegeversicherung mit dem Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetz I zum 1. Januar 2015 um 0,3 Beitragssatzpunkte angehoben worden. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II steigt der Beitragssatz ab 1. Januar 2017 um weitere 0,2 Beitragssatzpunkte auf 2,55 Prozent (2,8 Prozent für Kinderlose). Die Erhöhung tragen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu gleichen Teilen. Diese Erhöhung war bereits im Koalitionsvertrag vorgesehen worden.