Es ist ein Paradoxon: Obwohl Deutschlands Kriminalstatistiken zeigen, dass das Land immer sicherer wird, steigt das Unsicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Und das, obwohl die Zahl der Gewaltdelikte objektiv gesunken ist. Mit diesem scheinbaren Widerspruch eröffnete SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann eine große Konferenz seiner Fraktion zur öffentlichen Sicherheit in Deutschland. Geladen waren rund 300 Angehörige der Polizeien, des Technischen Hilfswerks, der Feuerwehren und Hilfsorganisationen.
Die Garantie für öffentliche Sicherheit ist für die SPD-Bundestagsfraktion ein gesellschaftliches Kernthema. Öffentliche Sicherheit reicht dabei von der Prävention bis zur Strafverfolgung, von der Katastrophenvorsorge bis zur Hilfeleistung im akuten Notfall. Auf der Sicherheitskonferenz ging es also um die Fragen: Wie lässt sich Unsicherheiten und Ängsten in der Bevölkerung entgegenwirken? Wie kann man jeden einzelnen besser vor Kriminalität, Gewalt und deren Ursachen schützen? Denn die Menschen müssen sicher sein und sich sicher fühlen können.
Oppermann lobte die Arbeit der Sicherheitsbehörden und ging auch auf den Wechsel an der Spitze des Bundesnachrichtendienstes ein. Das Kanzleramt hatte am Morgen verkündet, dass der bisherige Chef Gerhard Schindler abgelöst werde und der Posten ab Juli von Bruno Kahl, bis dato Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, übernommen werden soll.
Oppermann: "Der Wechsel an der Spitze kann eine Chance für den Neuanfang nach Snowden (Whistleblower) sein. Voraussetzung ist, dass das Kanzleramt ab sofort mit voller Kraft die notwendigen Reformen der Nachrichtendienste unterstützt. Der personelle Neuanfang muss auch ein inhaltlicher Neuanfang werden." Auch der BND sei für die innere Sicherheit zuständig, wenngleich er ein Auslandsgeheimdienst ist.
Drei Gründe gibt es laut Oppermann für das gesunkene Sicherheitsgefühl der Menschen:
- die steigende Zahl rechtsextremer Übergriffe
- die Furcht vor Alltagskriminalität wie Einbruch und
- die Angst vor Terroranschlägen.
Oppermann unterschied die Motivationen verschiedener terroristischer Gruppierungen. Während es die RAF auf Repräsentanten des ihr verhassten Staates absah, ging es al Qaida um Angriffe auf Symbole. Die Attacke auf Charlie Hebdo galt demnach der Pressefreiheit, wohingegen die Anschläge in Paris und Brüssel es auf den Alltag der Menschen anlegten.
Der Fraktionsvorsitzende betonte, dass die Koalition bereits wichtige Schritte nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo unternommen habe, etwa die Strafbarkeit von Reisen in Terrorcamps oder den Personalausweisentzug bei Terrorverdächtigen. Oppermann: "Das zeigt, wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst. Wir müssen aber weiterhin einen kühlen Kopf bewahren."
Diskussion in zwei Panels
Im Anschluss diskutierten geladene Gäste in zwei Panels. Die erste Talkrunde moderierte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Eva Högl. IhrE Diskutanten kamen aus dem Bereich Sicherheit: Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, Bernd Palenda, Abteilungsleiter Verfassungsschutz in der Berliner Innenbehörde, Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, und Rita Haverkamp, Wissenschaftlerin an der Uni Tübingen. Högl legte den Fokus ihrer Gesprächsrunde somit auf die Sicherheit in Deutschland.
Holger Münch warnte: "Wir müssen deutlich mehr in Sachen Terrorismusbekämpfung machen. Wir brauchen ein Mehr an internationalen Strategien, Standards und Koordination. Deutschland muss über den lokalen Bereich hinwegschauen.“ Oliver Malchow von der Polizeigewerkschaft ergänzte: „Wir haben in den Kernbereichen der Kriminalität einen Abbau an Personal oder zumindest keinen Ausgleich von Personal. Die Probleme haben nichts mit Terror oder Flüchtlingen zu tun, sondern sind noch oben drauf gekommen.“ Rita Haverkamp sagte: „Im Wohnungseinbruch müssen wir mehr wissen um die Aufklärungsquote zu steigern. Wir wissen oft nicht: Was sind das für Menschen die solche Straftaten begehen? Die Polizei ist der Akteur für Kriminalprävention“. Bernd Palenda stellte klar: „Neben der polizeilichen Arbeit muss auch eine schnelle und funktionierende Justiz gewährleistet werden – auf Tat folgt Strafe. Die Justiz darf in Deutschland nicht ausgegrenzt werden.“ Palenda erklärte, worauf es beim Verfassungsschutz ankommt: „Aufklären und Handeln ist der Hauptzweck des Verfassungsschutzes. Demokratie ist kein Geschenk, sie ist harte Arbeit. Notwendig ist eine aktive Politik. Sie dient dem Funktionieren des Verfassungsschutzes.“
Auch die darauffolgende Gesprächsrunde war hochkarätig besetzt. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Christine Lambrecht leitete die Diskussion zumThema Handlungsfelder für den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz. Ihre Mitstreiter waren Rolf-Erich Rehm, Kreisbrandmeister Deutscher Feuerwehrverband, Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerkes, Ralf Jäger (SPD), Nordrhein-Westfälischer Innenminister, Volkmar Schön, Vizepräsident des Deutschen Roten Kreuzes, und Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz.
Ralf Jäger machte darauf aufmerksam, dass „die Trennung zwischen Zivilschutz im Verteidigungsfall und Katastrophenschutz im Katastrophenfall überholt“ sei. Gerd Friedsam mahnte: „Explosionen, Überschwemmungen – für diese Szenarien sind wir gewappnet. Durch Cybergefahren können jedoch auch wichtige Infrastrukturen, wie die Bereitstellung von Trinkwasser oder Strom, ausfallen.“ Volkmar Schön bestätigte: „Ausbaufähig ist die Durchführbarkeit von zivilem Katastrophenschutz.“ Rolf-Erich Rehm meint: „Cyberattacken werden zunehmend Thema im Hinblick auf die Leitstellen.“ Christoph Unger machte positiv deutlich: „Wir haben in den letzten Jahren viel gelernt und ein gutes Netz für den Katastrophenschutz aufgebaut.“
Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hielt das Schlusswort. Er machte deutlich, dass die Politik vor Herausforderungen stehe, "die sich am Anfang der Legislaturperiode so noch gar nicht abgezeichnet haben.“ Für Lischka ist ganz klar: „Sicherheit- und Polizeibehörden müssen so ausgestattet werden, personell und technisch, dass sie ihre Arbeit vernünftig machen können. Der Anti-Terror-Kampf ist eine Aufgabe gut ausgebildeter Polizistinnen und Polizisten, aber nicht jeder, der eine Waffe in der Hand halten kann, eignet sich auch für den Anti-Terror-Kampf.“ Zwingend ist für Lischka, dass die Politik sich Gedanken machen muss, "wie wir die Zusammenarbeit der Polizeibehörden des Bundes und der Länder und auch international verbessern.“
Hier gibt es Fotos der Veranstaltung.
Sebastian Brauer / Alexander Linden