Neue Osnabrücker Zeitung: Die Standortsuche für ein atomares Zwischenlager ist ein Reizthema. Nur die rot-grünen bzw. grün-roten Länder Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg sind bereit, Behälter mit Atommüll, sogenannte Castoren, aufzunehmen. Erwarten Sie, dass auch Unions-regierte Länder Verantwortung übernehmen?

Thomas Oppermann: Ja, unbedingt. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Union und FDP jetzt aus der Verantwortung stehlen. Union und FDP haben jahrelang die Atomlobby hofiert. Sie haben die Gefahren der Atomkraft verharmlost und die Laufzeiten von Kraftwerken verlängert. Die Beseitigung der Folgen dieser Atomwirtschaft darf nicht zulasten eines Bundeslandes, nämlich zulasten Niedersachsens, gehen. Deshalb müssen jetzt auch schwarz-gelb regierte Länder ihren Teil dazu beitragen. Ich appelliere an Frau Merkel, jetzt dafür zu sorgen, dass die Union den vereinbarten Endlager-Kompromiss mit zunächst dezentraler Castorlagerung nicht blockiert.

Sie werfen der Union Blockade vor?

Wenn die CDU-geführten Länder noch nicht einmal bereit sind, einige wenige Castoren aufzunehmen, ist das nicht nur eine Blockade, sondern die Aufkündigung des solidarischen Miteinanders der Länder. Union und FDP gefährden damit ganz klar den Endlager-Kompromiss, den wir nach sehr langen Verhandlungen erzielt haben.

Sie sehen die Gefahr, dass das Endlager-Gesetz platzt, das im Juli Bundestag und Bundesrat passieren soll?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel und ihr Umweltminister Peter Altmaier sich von den Unions-Ländern Hessen, Sachsen oder Bayern in einer solch wichtigen Frage auf der Nase herumtanzen lassen.

Anderes Thema: Der Fall Hoeneß zeigt nach Ihrer Einschätzung Versagen auch bei den Steuerbehörden. Insbesondere Bayern sei geradezu eine Steueroase ….

Allerdings. In Bayern fehlen Hunderte Beamte für Steuerfahndung und Betriebsprüfungen. Teilweise liegen 40 Jahre zwischen den Kontrollen. So macht man es den Leuten leicht, Steuern zu hinterziehen. Nachlässige Steuerprüfung wird in Bayern offensichtlich augenzwinkernd als positiver Standortvorteil verkauft.

Ist das der Versuch, dem politischen Gegner CSU den Fall Hoeneß anzukleben?

Nein. Uli Hoeneß ist doch kein Einzelfall. Unser Gemeinwesen verliert zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr durch grenzüberschreitende Steuerhinterziehung. Frau  Merkel und Herr Schäuble haben mit der Schweiz ein Steuerabkommen verhandelt, das in erster Linie diese Steuerhinterzieher und deren Reputation geschont hätte. Uli Hoeneß hat ja selbst eingeräumt, dass er auf dieses schwarz-gelbe Geschenk für Steuerbetrüger gehofft hatte. Wir sind froh, dass wir diese ungerechten Pläne verhindert haben. Die Schonzeiten für Steuerhinterzieher sind vorbei. Die SPD wird eine härtere Gangart einlegen.

SPD-Parteichef Gabriel will die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen, Kanzlerkandidat Steinbrück wollte sie erhalten, machte dann aber eine Wende. Wann hört das auf, dass sich der Merkel-Herausforderer verdribbelt?

Wir sind uns vollkommen einig. Wir wollen eine effektivere Steuerfahndung, einen automatischen internationalen Informationsaustausch und harte Sanktionen gegen Banken, die Steuerhinterziehern behilflich sind. Steueroasen wollen wir austrocknen. Wenn das alles gelingt, ist die strafbefreiende Selbstanzeige überflüssig. Millionenschwere Steuerhinterzieher, die systematisch ihre Gelder in Steueroasen anlegen, haben keine Milde verdient.

Zu Ihren Wunschpartnern, den Grünen: Akzeptieren Sie die teuren Steuer- und Finanzpläne, die ein Grünen-Parteitag an diesem Wochenende in ein Wahlprogramm gießt?

Die Grünen haben sich einiges vorgenommen. Ihr Programm passt gut zu dem der SPD. Ich glaube, die meisten Menschen in Deutschland, die sehr viel haben, sind auch bereit, ein bisschen mehr zu geben. Deshalb halten wir eine maßvolle Erhöhung des Spitzensteuersatz für richtig. Denn wir brauchen diese Einnahmen für Investitionen in die Bildung. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsschulen und eine flächendeckende Versorgung mit Kitaplätzen. In Deutschland gibt es immer noch 50.000 Schulabbrecher jedes Jahr. Wir können es uns nicht leisten, auch nur ein Kind aufzugeben. Das ist für uns nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Vernunft.

40 Milliarden Euro kostet das Finanz-und Steuerpaket der Grünen, 35 Milliarden Euro das der SPD. Wie soll das bezahlt werden?

Glauben Sie nicht allen Zahlen die da so kursieren. Was wir auf gar keinen Fall wollen, sind neue Schulden. Am Ende werden wir das Wünschbare mit dem Machbaren abgleichen. Wir planen ja auch Einsparungen und wollen schädliche Subventionen abbauen. Als erstes werden wir etwa das irrsinnige Betreuungsgeld abschaffen.

Ober-Grüne wie der Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann murren gegen die eigene Partei: Betriebsvermögen sollen nicht angetastet werden. Erwartet auch die SPD Korrekturen im Grünen-Wahlprogramm?

Dafür sehe ich keinen Anlass. Wir wollen keine Substanzbesteuerung von Unternehmen. Da sind die Positionen von SPD und Grünen nahezu deckungsgleich. Unser gemeinsames Ziel ist mehr Steuergerechtigkeit. Wir finden, sehr starke Schultern können mehr tragen als schwache.

Haben Sie Angst vor der Anti-Europa-Partei AfD?

Nein. Wir haben - anders als CDU und FDP – überhaupt keinen Grund, uns wegen der AfD Sorgen zu machen. Sie ist das Ergebnis der gescheiterten Krisenpolitik von Frau Merkel. Die Kanzlerin hat die Eurokrise nie in den Griff gekommen. Auch in Deutschland fürchten mittlerweile viele Menschen um ihre Ersparnisse. Noch extremer als bei der FDP scheint bei der AfD das Feindbild der Staat zu sein. Ich glaube, dass es keinen Bedarf für deren marktradikales Angebot gibt.

Wer schafft es im September in den Bundestag: AfD oder die FDP?

Vielleicht nehmen sich AfD und FDP gegenseitig die Stimmen weg und werden am Ende beide scheitern. Das ist, finde ich, ein schöner Ausblick.

Und was halten Sie von schwarz-grünen Spekulationen?

Das sehe ich wie die Grünen: Schwarz-Grün ist vollkommen unrealistisch. Inhaltlich sind beide noch immer sehr weit voneinander entfernt. Deswegen sind bisher auch alle schwarz-grünen Experimente gescheitert. Und: Diese Konstellation würde über null Stimmen im Bundesrat verfügen. Damit kann man Deutschland nicht regieren.