Um die Gesundheitspolitik ist es in der Legislaturperiode bisher relativ still, im Mittelpunkt stehen andere Themen. Welchen Stellenwert hat das Thema Gesundheit in der Großen Koalition?

Natürlich stehen Themen wie die Eurokrise oder der Ukraine-Konflikt in den Medien derzeit im Vordergrund. Das Thema Gesundheit aber ist vor allem für die Menschen von sehr großer Bedeutung. Denn anders als zum Beispiel Veränderungen beim Zinsniveau spüren Menschen Veränderungen in der Gesundheitspolitik unmittelbar. Viele haben pflegebedürftige Eltern, Angehörige, die an Krebs leiden, oder sind selbst davon betroffen. Von daher sind alle Reformen in der Gesundheitspolitik für sehr viele Menschen direkt spürbar und haben natürlich auch großen Einfluss darauf, wie die Koalition erlebt und wahrgenommen wird. Das gilt auch für die vielen Beschäftigten im Gesundheitssektor, der zu den größten Beschäftigungssekt-ren gehört.

Jahrelang standen sich die Konzepte der Bürgerversicherung und der Kopfpauschale unvereinbar gegenüber. Wie läuft die Zusammenarbeit jetzt in der Koalition?

Wir haben diesen Konflikt schlicht und ergreifend ausgeklammert, weil wir da nach wie vor vollkommen unterschiedlicher Meinung sind. Die SPD-Fraktion steht für die Bürgerversicherung und für die Parität im Gesundheitssystem, die Union möchte an der Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung festhalten und ist gegen die Parität. Trotzdem arbeiten wir aber an konkreten Gesetzen der Versorgungsqualität und kommen auf diesem Weg gut voran, wie die Verabschiedung des Versorgungsstärkungsgesetzes zeigt.

Was bedeutet das Gesetz konkret für die Patienten?

Das Gesetz schafft für die gesetzlich Versicherten eine bessere Versorgung, vor allem bei den Haus- und Fachärzten. Künftig wird es leichter, auch im ländlichen Raum noch einen Hausarzt zu finden. Außerdem vermitteln die Servicestellen der Kassenärztlichen Vereinigun-gen innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin. Das sind konkrete Verbesserungen für gesetzlich Versicherte.

Das große Problem bei der Versorgung ist das Ungleichgewicht der Verteilung. In Ballungräumen gibt es oft zu viele Ärzte, in der Provinz zu wenig. Wie hilft das Gesetz hier weiter?

Dort, wo es viele Kassensitze gibt und ein Sitz nach Erreichen der Altersgrenze frei wird, kann dieser Sitz in Zukunft nur in einer unterversorgten Region nachbesetzt werden. Wir verschieben also die Hausarztsitze in die unterversorgten Regionen. Außerdem schaffen wir Anreize für Ärzte, in diese Regionen zu gehen. Zum Beispiel kann sich jemand, der fünf Jahre in einer solchen Region gearbeitet hat, anschließend auch in anderen Regionen niederlassen. Hinzu kommt, dass wir grundsätzlich mehr für die Ausbildung von Hausärzten tun. Wir haben ein Ausbildungsprogramm für Hausärzte beschlossen, mit dem 7500 neue Hausärzte ausgebildet werden.

Sie haben im Bundestag gesagt, es sei eine Pflicht, mehr in Prävention und Gesundheitsförderung zu investieren. Warum ist das so wichtig?

Weil uns in Deutschland die sogenannten Zivilisationskrankheiten nach wie vor fest im Griff haben. Wir haben sehr viele Menschen, die schon in mittlerer Lebensphase chronisch krank sind; es ist uns bisher leider nicht im notwendigen Maße gelungen, das Rauchen oder das Übergewicht zu bekämpfen; Bewegungsmangel ist heute schon bei Kindern weit verbreitet, Rückenschmerzen in der Belegschaft ebenso.

Wie hilft hier das beschlossene Präventionsgesetz?

Mit dem Gesetz wirken wir dem entgegen. Wir verbessern die Prävention in Schulen, Kitas, und den Betrieben. Es ist keine Prävention, die beim Arzt stattfindet, sondern dort, wo die Menschen arbeiten und leben.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Zum Beispiel werden Menschen mit Rückenbeschwerden direkt im Betrieb geschult, und ihnen wird gezeigt, wie sie am Arbeitsplatz diesen Beschwerden vorbeugen können. Zur Vermeidung von Übergewicht von Kindern spielen der Schulsport und die Sportvereine eine zentrale Rolle, außerdem werden wir Initiativen für gesunde Ernährung stärken. Wichtig ist dabei: Diese Maßnahmen werden nicht zentral aus Berlin geplant, sondern es geht um kommunale Initiativen, die von den gesetzlichen Krankenkassen unterstützt werden.

Mit einem weiteren geplanten Gesetz soll die Krankenhausversorgung sichergestellt werden. Worum geht es dabei?

Wir wollen bei den Krankenhäusern weg vom ruinösen Preiswettbewerb hin zu einem Qualitätswettbewerb. Wettbewerb, bei dem es darum geht, eine Krankenhausbehandlung so billig wie möglich durchzuführen, um als Krankenhaus überleben zu können, ist unsinnig. Gute Qualität muss sich rechnen. In Zukunft wird besonders gute Qualität auch besonders belohnt.

Wie lässt sich denn die Qualität von Krankenhäusern messen?

Diese Qualität wird heute schon gemessen. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen, wie oft sich nach der Implantation eines Hüftgelenkes das Gelenk frühzeitig lockert oder wie oft es nach Operationen zu Infektionen kommt. Es gibt schon heute für zahlreiche Eingriffe entsprechende Auswertungen über die Qualität in den einzelnen Krankenhäusern. Nur stehen die nicht den Patienten zur Verfügung. Künftig dienen sie auch der Information der Patienten und Kassen. Der Patient kann sich also schon vor einem Eingriff über die Krankenhausqualität informieren.

Wie sollen die ganzen neuen Leistungen finanziert werden?

Wir haben momentan zum Glück eine recht gute Einnahmenbasis für die gesetzlichen Krankenkassen, weil die Arbeitslosigkeit sinkt und immer mehr Leute in die gesetzliche Versicherung einzahlen. Die Kassen haben deshalb nach wie vor einen Überschuss. Die Reformen werden zwar Geld kosten, aber es ist gut eingesetztes Geld, da es direkt in die Pflege oder die hausärztliche Versorgung investiert wird. Das ist auch für die Wirtschaft wichtig, denn nur eine gesunde Belegschaft und gesunde Kinder sichern den Wohlstand langfristig. Außerdem senken wir die Kosten in einigen Bereichen. Wenn Patienten zum Beispiel vor ihren Operationen öfter eine Zweitmeinung einholen, können überflüssige Eingriffe eingespart werden.

Die Opposition beklagt trotzdem, dass die Kosten einseitig von den Versicherten getragen werden müssen . . .

Derzeit sind ja gar keine zusätzlichen Kostensteigerungen zu sehen, der Beitragssatz ist bisher stabil geblieben. Im Gegenteil: Wir haben die kleine Kopfpauschale in dieser Legislatur abgeschafft, das Gespenst der Kopfpauschale ist weg. Nichtsdestotrotz wollen wir als Sozialde-mokraten langfristig die Rückkehr zur Parität und eine Einführung der Bürgerversicherung. Dafür treten wir ein.

Unsere Gesellschaft wird immer älter, und alte Patienten belasten das Gesundheitssystem mehr als junge. Sind wir darauf vorbereitet?

Wir müssen uns jetzt darauf vorbereiten. Dafür brauchen wir eine Sammlung von Maßnahmen: Mit guter Vorbeugemedizin müssen wir es schaffen, dass die Menschen länger gesund bleiben, wir brauchen weitere Investitionen in die Hausarztversorgung und die Ausbildung von Pflegekräften in der Alten- und Krankenpflege. Wenn wir diese Investitionen nicht tätigen, werden wir eine gute Versorgung der Babyboomer-Generation und deren Eltern nicht gewährleisten können.

Sie streiten seit Jahren für die Bürgerversicherung. Wird sie irgendwann kommen?

Ich bin sicher, dass sie kommt, denn mehr als 70 Prozent der Menschen in Deutschland wollen die Bürgerversicherung. Wir Sozialdemokraten kämpfen hier an der Seite der gesamten Bevölkerung, deshalb werden wir dieses Vorhaben nicht aufgeben.

Das Interview stammt aus der neuen Ausgabe der Arbeitnehmerzeitung Gute Arbeit.