Frage: Herr Oppermann, sind die Kontrollen an Deutschlands Grenzen wirklich nur eine vorübergehende Maßnahme?
Oppermann: Ich hoffe. Europa lebt von offenen Grenzen. Wir wollen sie verteidigen. Aber schaffen können wir das nur mit einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik.
„Wir schaffen das“ - das war zunächst das Signal der Kanzlerin, dann folgte die Entscheidung für Grenzkontrollen. Warum unterstützt die SPD diesen Zickzackkurs?
Die SPD orientiert sich am Machbaren. Für uns war von Anfang an klar, dass Deutschland, Schweden und Österreich die Flüchtlingskrise nicht allein bewältigen können. Europa kann Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen. Aber es kann nicht sein, dass drei Mitgliedsstaaten die Last allein tragen. Wir stoßen nicht an die Grenze unseres Willens, sondern unserer faktischen Möglichkeiten.
Hat Angela Merkel die Herausforderungen der Flüchtlingskrise unterschätzt und falsche Signale gesetzt?
Seit zwei Jahren steigen die Flüchtlingszahlen. Die SPD fordert seit langem, dass den Kommunen geholfen wird. Die Aufnahme von Asylbewerbern ist eine nationale Aufgabe. Mit dieser Erkenntnis haben wir uns jetzt endlich auch in der Bundesregierung durchgesetzt. Mit der Zuspitzung der Krise beschleunigen sich die Lernprozesse bei vielen.
Eigentlich müssten die Asylanträge laut Dublin-Abkommen an der EU-Außengrenze gestellt werden. Jetzt schließt Ungarn die Grenze zu Serbien. Das richtige Signal?
Die Bilder vom Zaun an der ungarischen-serbischen Grenze zeigen, dass wir dringend eine faire Verteilung der Flüchtlinge in ganz Europa benötigen. Die rigorose Asylpolitik von Viktor Orban will niemand in der EU. Doch die Kritik an Orban von Ländern, die sich an der Aufnahme von Flüchtlinge nicht beteiligen, ist wohlfeil. Wir brauchen eine Rückkehr zu geordneten Verfahren. Flüchtlinge müssen wieder an den Außengrenzen der EU registriert und dann verteilt werden.
Wieder keine Einigung der EU-Innenminister auf Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen: Verkommt Europa zu einem Club der Egoisten?
Wir haben in der Weltfinanzkrise und bei Griechenland dass die EU schwierige Entscheidungen in kurzer Zeit treffen kann. Europa kann die Flüchtlingskrise jetzt nicht aussitzen. Es ist gut, dass Frau Merkel und ihr österreichischer Kollege Werner Feymann endlich einen Sondergipfel der europäischen Staats-und Regierungschefs anstreben. Das erhöht den Druck auf die anderen Länder in der Europäischen Union. Wir brauchen kraftvolle Führung um zu einer europäischen Lösung zu kommen.
Die Bundespolizei ist überlastet. Aus den Polizeigewerkschaften kommt bereits die Forderung, wegen Flüchtlingskrise und Grenzkontrollen im Notfall auch Bundesligaspiele abzusagen…
Ich halte nichts davon, verschiedene staatliche Aufgaben gegeneinander auszuspielen. Aber es stimmt: Die Bundespolizei arbeitet unter Hochdruck. Da ist in den letzten Jahren auch zu viel gespart worden. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Wir werden deshalb 3.000 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei schaffen. Auch unabhängig von den Flüchtlingen werden die Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit in Zukunft eher größer als kleiner werden
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant bereits ein „kleines“ Sparpaket. Wird der Bund bald doch wieder neue Schulden aufnehmen müssen?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Wirtschaft unglaublich gut läuft. Mit den Steuermehreinnahmen können wir die anstehenden Aufgaben finanzieren. Die Integration der Flüchtlinge ist allerdings eine Aufgabe für ein bis zwei Jahrzehnte. Das muss bei allen mittelfristigen Finanzplanungen bedacht werden.
Sind Sie im Zweifel dafür, Steuern für die Flüchtlingshilfe zu erhöhen?
Ich halte nichts davon, einzelnen Ausgabenposten bestimmte Einnahmen zuzuordnen. Wir werden an einer soliden Haushaltspolitik festhalten.
Ohne Steuererhöhungen?
Noch einmal: Im Moment können wir die Ausgaben aus den Einnahmen finanzieren. Andere Rechnungen sind hypothetisch.
Wie stark wird der Bund Ländern und Kommunen helfen müssen?
Wir haben drei Milliarden Euro für 2016 zusätzlich für Länder und Kommunen durchgesetzt. Ich habe Zweifel, dass das ausreicht. Klar ist, dass das Geld keine Einmalhilfe ist. Kommunen und Länder müssen über eine Pauschale dauerhaft und dynamisch entlastet werden. Auch bei den bisher zugesagten Mitteln für 2015 werden wir nachlegen müssen.
In der CDU gibt es Bewegung in Sachen Einwanderungsgesetz. Wird die Große Koalition das Vorhaben jetzt angehen?
Die CDU weiß nicht, was sie will. Jetzt ist sie für ein Einwanderungsgesetz, will es aber nicht verabschieden. Es wäre gut für unser Land, wenn die Große Koalition dieses Projekt zügig angeht. Wir brauchen klare Regeln, um Einwanderung vernünftig steuern zu können. Niemand bezweifelt, dass wir in den nächsten 15 Jahren sieben Millionen Erwerbstätige ersetzen müssen. Gelingt uns das nicht, werden wir in große wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen und Wohlstand verlieren.
Das Interview führte Rasmus Buchsteiner am 15. September 2015.