Die Herausforderungen, vor denen wir nicht nur in Deutschland, sondern in Europa insgesamt stehen, sind immens. Die Gefahren einer wachsenden sozialen, aber auch wirtschaftlichen Spaltung sind unübersehbar. Die Integration von Flüchtlingen, die Steuerung der Einwanderung sind eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zugleich erhöht sich aufgrund von Globalisierung und einem härteren internationalen Wettbewerb der Druck auf die Beschäftigten. Durch die Digitalisierung hat sich der Druck massiv erhöht: Ständige Erreichbarkeit, Entgrenzung der Arbeitszeiten, zunehmende Arbeitsverdichtung haben zu erheblichen neuen gesundheitlichen Belastungen geführt. Parallel dazu kämpfen wir mit den Folgen der demografischen Entwicklung.

Zusammenhalt ist gefährdet

Statt an innovativen Lösungen zu arbeiten, herrscht in der Politik viel zu viel Streit, Hilflosigkeit und Apathie, nicht nur in Deutschland, in Europa insgesamt. So wird der rigorose Sparkurs der EU in den südeuropäischen Ländern nahezu ungebrochen fortgesetzt. Das, obwohl immer noch 22 Prozent der Jugendlichen in Europa arbeitslos sind. Die zaghafte konjunkturelle Erholung in Südeuropa kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Menschen in vielen Ländern schlecht geht und die Armut zum Teil dramatisch steigt. Das birgt enorme soziale Sprengkraft in jedem dieser Länder, und es gefährdet den Zusammenhalt der EU.

Demgegenüber steht Deutschland noch gut da. Aber auch bei uns wächst die Ungleichheit: Der Mindestlohn ist ein Erfolg und die unterste Grenze des Anstandes. Aber Millionen Menschen sind immer noch im Niedriglohnsektor gefangen. Die verfügbaren Einkommen und das Vermögen der reichsten 10 Prozent der Gesellschaft sind gestiegen. Zugleich sind für viele Menschen, die ohnehin wenig verdienen, die Reallöhne gesunken. Ein Drittel aller Erwachsenen in Deutschland verfügt über gar kein Vermögen. Nicht wenige haben Schulden. Das bedeutet in der Konsequenz auch: Millionen Menschen droht in wenigen Jahren Altersarmut. Auch deshalb ist es höchste Zeit für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik.

Mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur

Die gesellschaftliche Spaltung dringt immer tiefer in den Betrieb vor: Immer öfter missbrauchen Unternehmer Leiharbeit und Werkverträge zum Lohndumping – und führen damit ein Zwei-Klassen-System in Betrieben ein.

Viele Menschen empfinden diese Entwicklung als bedrohlich und als zutiefst ungerecht. Immer öfter suchen sie dafür simple, rechtspopulistische Antworten. Den Rechtsruck beobachten wir schon seit Jahren in Europa, und nun verstärkt auch bei uns. Isolation, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit sind aber ein Irrweg, keine Lösung – das müssen wir klar machen.

Wir brauchen dringend mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit. Das bedeutet politisch einen erkennbaren und glaubwürdigen Kurswechsel: Dazu gehören wesentlich mehr Investitionen in Bildung und in die marode Infrastruktur, und mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau. Wir brauchen wirksame Gesetze, um die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Betrieb zu verhindern. Beispielsweise mit einem längst überfälligen Gesetz zur Missbrauchsbekämpfung von Leiharbeit und Werkverträgen. Wer das Gefühl von Ohnmacht bekämpfen will, der sollte auch die Mitbestimmung im Betrieb nach 40 Jahren endlich modernisieren. Mehr Steuergerechtigkeit entsteht mit einer Erbschaftsteuer, einer Vermögenssteuer, einer angemessenen Kapitalertrags-steuer, und dringend notwendigen Gesetzen gegen Steuerflucht. Mehr Gerechtigkeit und Solidarität im Betrieb entsteht auch, wenn Arbeitgeber endlich ihre tägliche Tarifflucht beenden. Und wer von Europa mehr Solidarität fordert, muss sich selber für eine solidarische Krisenbewältigung einsetzen. Das bedeutet mehr Investitionen und weniger Sparzwang. Es ist: „Zeit für mehr Solidarität“.