Darin enthalten ist eine Bestandsaufnahme der zahlreichen nationalen und internationalen Anstrengungen zur Reform der Wohlstandsmessung. Weltweit wird, mit einem starken Fokus auf die Industrienationen, nach Wegen gesucht, Wohlstand umfassender abzubilden. Der Bericht der Projektgruppe zeigt außerdem Wege auf, wie ein Wohlstands- und Fortschrittsindikatoren aussehen könnte. Noch ist aber nichts endgültig festgelegt. Die Projektgruppe hat sich im breiten Konsens darauf geeinigt einen kleinen Satz an Wohlstandsdimensionen zu destillieren die mit Indikatoren hinterlegt werden sollen. Ob diese Indikatoren schlussendlich zu einem composite indicator zusammen gefasst werden, ist noch nicht ausdiskutiert. Ich persönlich bin eine Anhängerin eines solchen Vorgehens.

Welche Dimensionen sind für einen Fortschrittsindikator sinnvoll?

Aus meiner Sicht brauchen wir einen Wohlstandsindikator, der die objektiven Voraussetzungen eines subjektiv als zufrieden stellend und gelingend empfundenen Lebens in Gesellschaft misst. Subjektive Indikatoren müssen darin nicht zwangsläufig enthalten sein. Ich denke ein ganzheitlicher Wohlstands- und Fortschrittsindikator sollte mindestens folgende Dimensionen umfassen.

1. Materielle Wohlstand

Auch wenn materieller Wohlstand nicht alles ist, kann ein Wohlstandsindikator diesen Aspekt nicht ausblenden, zumal die Korrelationen mit anderen Aspekten von Lebensqualität und Wohlstand eindeutig sind. Welches Einkommen die Menschen erzielen, was sie konsumieren und wohin sie reisen können ist ein wesentlicher Faktor des Wohlstands, das ist sonnenklar. Wenn wir wissen wollen wie es den Menschen geht, steht der materielle Wohlstand mit an erster Stelle. Wir müssen auch prüfen, wie wir nichtmarktförmige Arbeit und insbesondere die unbezahlte Sorgearbeit messen und somit in der Wohlstandsbilanz sichtbar machen können.

2. Gute Arbeit

Erwerbsarbeit ist ein ganz wesentlicher Teil unseres Lebens. Sie ist nicht nur Voraussetzung für Einkommen, sondern stiftet Sinn und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Daher muss ein Wohlstands- und Fortschrittsindex zwingend den Zustand der Erwerbsarbeitsverhältnisse in unserem Land abbilden. Wer hat Zugang zu Arbeit und zu welchen Konditionen? Wir müssen messen, wer einer Erwerbsarbeit nachgehen kann und wer nicht, etwa über die Arbeitslosenquote, das Arbeitsvolumen oder die Erwerbspersonenzahl. Und auch die Qualität von Arbeit gehört angezeigt, etwa über den DGB-Index „Gute Arbeit“, oder der Anteil von unbefristeten Vollerwerbsstellen.

3. Gerechte Verteilung

Die Zufriedenheitsforschung lehrt uns, dass in wohlhabenden Gesellschaften die Verteilung von Einkommen und Vermögen einen hohen Einfluss darauf hat wie befriedigend Menschen das Leben in einer Gesellschaft empfinden. In sozial gleicheren Gesellschaften existieren weniger soziale Probleme wie Depression, Drogensucht, Volkskrankheiten oder Kriminalität. Auch wenn gerade die obersten Einkommen und Vermögensbestände generell statistisch schwer zu erfassen sind, sollten wir einen geeigneten Indikator für soziale Ungleichheit einbauen. Aber auch die Verteilung zwischen den Geschlechtern spielt eine wichtige Rolle, und die zwischen Alt- und Neubürgern. Und natürlich darf in der Einen Welt auch die internationale Gerechtigkeitsdimension nicht unbeachtet bleiben.

4. Soziales

Wohlstand ist mehr als Einkommen, soviel ist klar. Ein guter Wohlstands- und Fortschrittsindikator muss auch bemessen können wie sich die sozialen Rahmenbedingungen in unserem Land entwickeln. Wir steht es um Bildung, Gesundheit und Sicherheit? Engagieren sich die Menschen für ihr Gemeinwesen? Fühlen sie sich von der Gesellschaft ausgeschlossen? Unzweifelhaft sind anerkannte Indikatoren in dieser Dimension schwerer zu finden als in anderen. Das ist Grund genug ausgiebig danach zu suchen.

5. Ökologie

Schließlich braucht der Indikator eine ökologische Dimension. Welche Belastungsgrenzen hat unser Planet? Steuern wir darauf zu und wenn ja, wie schnell? Das muss ein Wohlstands- und Fortschrittsindikator zwingend anzeigen. Mögliche Maßstäbe sind dabei entweder der ökologische Fußabdruck, die Ressourcenverknappung oder die Entwicklung der Treibhausgase. Auch die Kosten des Umweltverbrauchs könnten gemessen werden. In jedem Fall braucht gerade die ökologische Dimension einen Nachhaltigkeits- und damit Zukunftsaspekt.

Aus meiner Sicht sind dies die wichtigsten Dimensionen eines Wohlstands- und Fortschrittsindikators. Daneben stellt sich immer noch die Frage der geeigneten Darbietung der Indikatoren in den jeweiligen Dimensionen. Eins ist schon einmal beschlossene Sache: Einen einzelnen Wohlstandsindikator im Sinne einer vollständigen Aggregation ohne öffentliche Kommunikation der dahinter liegenden Dimensionen und Maßzahlen wird es nicht geben.

Ein Aggregat als „Leuchturm“: Wir wie den Indikator attraktiv machen können

Jedoch lohnen einige Gedanken dazu, was wir mit dem Indikatorensatz der Enquete-Kommission bezwecken wollen. Ich bin überzeugt, dass das Ergebnis der Enquete nicht als Hilfsmittel für die Detailplanung der Fachadministration dienen wird (dafür stehen schon heute umfängliche andere Zahlenwerke zur Verfügung) sondern als Sachargument im allgemeinen politischen Ringen um die Mehrheitsfähigkeit von Gesellschaftsvorstellungen. Der Indikator ist ein Meta-Anzeiger, der es ermöglichen soll politische Aussagen zuzuspitzen.

Diesen Zweck erfüllt ein Indikator oder Indikatorensatz, wenn er gleichzeitig korrekt und übersichtlich ist. Die Einzelkomponenten des Fortschrittsindikators müssen wohlgewogen und wissenschaftlich einwandfrei sein. Ihre Angemessenheit und verlässliche Erhebung ist die conditio sine qua non eines erfolgreichen Indikators. Allerdings darf der Wohlstands- und Fortschrittsindikator nicht auf dieser Ebene verharren. Wir dürfen ein vor Detailinformationen wimmelndes Armaturenbrett nicht so kommunizieren, dass nur Fachleute es interpretieren können. Wir müssen einen „Teaser“ dazugeben, der zur tieferen Analyse einlädt. Einen solchen aggregierten Indikator kann man sich wie einen Leuchtturm vorstellen, der den Blick nicht um seiner selbst Willen auf sich zieht, sondern um die dahinter liegende Küste sichtbar zu machen.

Zu diesen Fragen hatte die Kommission auch Expertisen in Auftrag gegeben. Daraus wissen wir, dass neben Nachvollziehbarkeit und thematischer Aussagekraft eben die prägnante Darstellung die wichtigste Anforderung an die öffentliche Kommunizierbarkeit eines Indizes ist. Es zeigte sich, dass gerade JournalistInnen durchaus bereit sind, hinter den Gesamttrend zu schauen und einzelne Aspekte und deren Veränderung herauszugreifen. Werden eine Reihe von höchst unterschiedlichen Werten aber nur nebeneinander präsentiert, ohne eine allgemeine Tendenzaussage, so werden die Zahlen entsprechend punktuell oder eben gar nicht genutzt. Die erhoffte mediale Wirkung droht zu verpuffen.

Auch politische EntscheidungsträgerInnen bevorzugen aus den vorhandenen Indikatoren die klaren, eindimensionalen, einfach kommunizierbaren (zuvorderst Arbeitslosenquote, Verschuldung, BIP-Wachstum und Inflationsrate). Diesen Zahlen wird auch der größte Nutzen für die politische Arbeit von MandatsträgerInnen und Verwaltungsbeamten zugeschrieben. Gerade kommunale MandatsträgerInnen nutzen selten Studien oder Gutachten, sondern oft Indikatoren und die öffentliche Debatte darüber. Wenn der Indikator der der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ eine breite Wirksamkeit unter diesen MultiplikatorInnen und EntscheidungsträgerInnen erreichen soll, sollten deren Bedürfnisse berücksichtigt werden.

Deshalb plädiere ich für eine Konstruktion, die die Vorteile eines Armaturenbretts („Dashboard“) aus mehreren unverbunden nebeneinander stehenden Indikatoren mit denen eines aggregierten Index in der Funktion eines Aufmerksamkeit anziehenden „Teasers“ verbindet. Dies erleichtert auch intertemporale und internationale Vergleiche. So könnte dem Indikatorensatz der Enquete die nötige und gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden.