Mittlerweile 736 Abgeordnete zählt der Deutsche Bundestag. Die Regelgröße beträgt 598 Abgeordnete – doch das derzeitige Wahlrecht führt durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu einem stetigen Anwachsen. Modellrechnungen zeigen Szenarien mit über 900 Abgeordneten auf.
Diese stetige Vergrößerung schafft für die Arbeits- und Funktionsfähigkeit zahlreiche Probleme, außerdem kostet sie Steuergeld.
Deshalb hat der Deutsche Bundestag nun einen Gesetzesentwurf der Ampel-Fraktionen beschlossen, der die Zahl der Abgeordneten dauerhaft auf 630 begrenzt. Das neue Wahlrecht betrifft alle Fraktionen gleichermaßen.
Warum ist der Bundestag so groß geworden?
Ausgangspunkt der stetigen Vergrößerung des Bundestags ist die Verknüpfung der Verhältniswahl mit einer vorgeschalteten Mehrheitswahl in den Wahlkreisen. Die Wahl in den Wahlkreisen ist vorgeschaltet, weil Wahlkreismandate nach geltendem Recht mit relativer Mehrheit der Erststimmen in jedem Fall gewonnen werden.
Da die Wahl nach ihrem Grundcharakter jedoch eine Verhältniswahl ist, werden die gewonnenen Wahlkreismandate einer Partei auf die nach Zweitstimmen gewonnenen Sitze dieser Partei angerechnet.
Gewinnt eine Partei in einem Land mehr Wahlkreismandate, als die Partei nach Zweitstimmen Sitze für dieses Land errungen hat, entstehen Überhangmandate. Diese Überhangmandate verzerren das Zweitstimmenverhältnis der Parteien zueinander.
Zur Wiederherstellung des tatsächlichen Kräfteverhältnisses der Parteien müssen Überhangmandate durch Ausgleichsmandate bei anderen Parteien kompensiert werden. Diese Ausgleichsmandate erhöhen die Gesamtsitzzahl des Bundestags – abhängig vom Zweitstimmenanteil der Partei, bei der sie entstehen – erheblich.
Wie soll die Größe des Bundestags jetzt begrenzt werden?
Das Entstehen von Überhang- und damit auch Ausgleichsmandaten wird zukünftig ausgeschlossen. Hierzu wird der vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl konsequent weitergeführt.
Allein die Zweitstimme ist für das Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament künftig ausschlaggebend. Damit dieses Kräfteverhältnis nicht mehr durch Überhangmandate verfälscht und durch Ausgleichsmandate wiederhergestellt werden muss, wird zukünftig nur noch die Anzahl an Sitzen vergeben, die von den Parteien nach ihrem Zweitstimmenergebnis auch errungen wurde. Wahlkreiskandidierende einer Partei sind nur dann als Abgeordnete des Wahlkreises gewählt, wenn sie einen durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis im betreffenden Land errungenen Sitz erhalten.
Die im Bundeswahlgesetz festgelegte Regelgröße beträgt 598 Sitze. Warum wird die Obergrenze nun bei 630 gesetzt?
Bei der gleichbleibenden Zahl von 299 Wahlkreisen wird die Regelgröße moderat um 32 Sitze erhöht von 598 auf 630 Sitze. Damit wird sichergestellt, dass mehr direkt gewählte Kandidierende ins Parlament einziehen können und weniger Wahlkreise unbesetzt bleiben – denn durch das Wegfallen der Überhang- und Ausgleichsmandate kann es nun passieren, dass einzelne Wahlkreiskandidierende nicht in den Bundestag einziehen, obwohl sie im jeweiligen Wahlkreis die relative Mehrheit der Erststimmen erhalten haben.
Wie werden die 630 Sitze des Bundestages verteilt?
Die Sitze werden anhand der bundesweit abgegebenen Zweitstimmen auf die Parteien verteilt (Oberverteilung). Die so auf die Parteien entfallenden Sitze werden nach den jeweiligen Ergebnissen in den Bundesländern auf deren Landeslisten verteilt (Unterverteilung).
Sind mehr Sitze der Partei zu vergeben, als Wahlkreiskandidierende der Partei im Land erfolgreich waren, werden die verbleibenden Sitze an die Kandidierenden der Landesliste der Partei in der dort festgelegten Reihenfolge vergeben.
Was passiert mit den gewonnenen Wahlkreisen in einem Land, für die das Zweitstimmenergebnis der Partei nicht ausreicht?
Haben mehr Kandidierende einer Partei in einem Land die meisten Wahlkreisstimmen errungen, als für die Partei Sitze im betreffenden Land zur Verfügung stehen, werden alle Wahlkreiskandidierenden einer Partei mit den meisten Erststimmen gereiht. Die Reihenfolge richtet sich nach dem prozentualen Anteil der Erststimmen in den Wahlkreisen, beginnend mit dem höchsten Erststimmenanteil. In dieser Reihenfolge werden die durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis im betreffenden Land errungenen Sitze an die Wahlkreiskandidierenden vergeben.
In Wahlkreisen, in denen Wahlkreiskandidierende nach dem Verfahren der Zweitstimmendeckung keinen Sitz erhalten konnten, werden keine direkt gewählten Abgeordneten bestimmt. Durch die Erhöhung der Regelgröße von 598 auf 630 Sitze wird erreicht, dass dies in möglichst wenigen Wahlkreisen vorkommt.
Die Repräsentation der Wahlkreise bleibt aber wahrscheinlich, weil typischerweise mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis kommen, auch wenn diese nicht über die Wahlkreisstimme gewählt sind.
Ist es zulässig, dass Wahlkreise keine direkt gewählten Abgeordneten haben?
Ja. Es gibt aus verfassungsrechtlicher Sicht keine institutionelle Garantie der ausnahmslosen Repräsentation aller Wahlkreise nach relativer Mehrheitswahl. Der Grundcharakter der Wahl ist eine Verhältniswahl. Dies wird auch im aktuellen Wahlrecht deutlich. Scheiden heute direkt gewählte Abgeordnete aus dem Bundestag aus, werden die frei gewordenen Sitze aus der jeweiligen Landesliste der Partei nachbesetzt.
Können unabhängige Kandidierende noch zur Wahl antreten?
Ja. Dies ist eine notwendige Ausnahme im sonst durchgängig geltenden System der Verhältniswahl, da diese nicht von den Hauptstimmen einer Partei gedeckt sein können. Diese unabhängigen Bewerber:innen dürfen jedoch nicht auf einer Landesliste einer Partei kandidieren. Damit besteht keine Umgehungsmöglichkeit der erforderlichen Zweitstimmendeckung für Parteibewerber:innen über den Umweg der Einzelkandidatur im Wahlkreis und späterem Beitritt zu einer Fraktion im Deutschen Bundestag.
Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, können nach der sogenannten Grundmandatsklausel heute in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, wenn sie drei Wahlkreise gewinnen. Gilt dies weiterhin?
Nein. Die Grundmandatsklausel wird abgeschafft. In der Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf wurde deutlich, dass die Fortgeltung der angepassten Grundmandatsklausel im System der Zweistimmendeckung einen stärkeren Systembruch darstellt, als dies bisher der Fall war. Denn die Wahl in den Wahlkreisen dient der vorrangigen Besetzung der von den Parteien nach ihrem Zweitstimmenergebnis errungenen Sitze und nicht wie bisher der Personenwahl.
Wie wird die Nachfolge von ausgeschiedenen Abgeordneten geregelt?
Im äußerst seltenen Fall, dass ein oder eine Wahlkreisabgeordnete/r einer Partei in einem Bundesland ausscheidet, in dem nicht alle Wahlkreisersten einen Sitz erhalten haben, würde der frei gewordene Sitz mit der oder dem von der Nichtzuteilung betroffenen Wahlkreisersten mit den meisten Stimmen nachbesetzt. In Bundesländern, in denen alle Wahlkreisersten ein Mandat erlangen konnten, wird der Sitz aus der Liste der Partei zugeteilt. Beim Ausscheiden von parteiunabhängigen Kandidierenden bleibt der Sitz unbesetzt.