Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, die politische Einflussnahme der Kohl-Regierung im Umfeld der besagten Kabinettentscheidung festzustellen. Dafür gibt es belastbare Anhaltspunkte. Das haben auch die ersten Zeugenbefragungen im Untersuchungsausschuss ergeben. Überdies sind die politischen Entscheidungsabläufe in der niedersächsischen Landesregierung in den Jahren 1976/77 zu beleuchten. Ebenfalls gilt es, das „Erkundungs-Regime“ der Kohl-Regierung auch unter der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel transparent zu machen.
Die Strategie
Für viele Beobachter ist die politische Einflussnahme der Kohl-Regierung schon jetzt erwiesen. Die kürzlich veröffentlichten Originaldokumente durch Greenpeace sprechen eine eindeutige Sprache: Politischer Druck hat die Wissenschaft verdrängt. Belegt wird dies auch durch einen Bericht des damaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel vom September 2009, der heute noch von der Homepage des Bundesumweltministeriums heruntergeladen werden kann. Auch diese Erkenntnisse sind im Untersuchungsausschuss zu analysieren und zu „protokollieren“. Seit 1986 ist der Salzstock Gorleben ein „Erkundungsbergwerk“, kein Endlager. Seit fast 35 Jahren wird darüber gestritten, ob im Gorlebener Salzstock hoch-radioaktiver Atommüll dauerhaft – ergo: für die Ewigkeit – eingelagert werden kann. Wenn die politische Einflussnahme durch die Kohl-Regierung bei der Standort-Entscheidung erwiesen ist, geht dieser Streit zu Ende. Denn dann müsste das Erkundungsbergwerk Gorleben aus politischen Gründen geschlossen werden, für immer. Heute ist es endlich an der Zeit, den Standort Gorleben zu delegitimieren - politisch, wissenschaftlich und juristisch.
Maßnahmen und Botschaften
Mit der Konstituierung des 1. Untersuchungsausschusses hat die Opposition über 40 Beweisanträge zur Aktenbeiziehung aus den betroffenen Bundesministerien und anderen Behörden gestellt. Mittlerweile hat der Ausschuss gut 160 Beweisanträge beschlossen und darin auch über 30 Sachverständige und Zeugen benannt. Bisher wurden jedem Mitglied des Untersuchungsausschusses von den angeforderten Ministerien und Behörden etwa 80 Aktenordner an Beweismaterial überstellt. Nach Aussage der Bundesregierung ist dies ein „Bruchteil“ der Akten, allein beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) existieren weitere 5600 Aktenbände zum Untersuchungsgegenstand.
Die Anhörungen und Vernehmungen der bisherigen Sachverständigen beziehungsweise Zeugen generierten folgende Botschaften (kleiner Ausriss der Zitate):
- „Eine „Eignungshöffigkeit“ des Standortes Gorleben kann deshalb aus diesen Befunden nicht abgeleitet werden“
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„Im Ergebnis wurde mit der Entscheidung für die untertägige Erkundung voll auf die „Karte Gorleben“ gesetzt. Es wäre besser gewesen, zum damaligen Zeitpunkt alternative Standorte zu untersuchen“.
(Jürgen Kreusch (Geologe) als Sachverständiger vor dem 1.UA am 10. Juni 2010)
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Der Sachverständige Dr. Möller: "Es zählte der Landkreis, nicht der Salzstock“ Das heißt: Politik statt Geologie. Möller führte weiter aus, dass das Tagebuch des ehemaligen Landesministers Walther Leisler Kiep eindeutig zeige, dass die Entscheidung für Gorleben feststand, bevor Wissenschaftler und Experten gehört wurden.
(Dr. Detlev Möller (Historiker, Dissertation: „Das unerwartete Gorleben, 2009) als Sachverständiger vor dem 1. UA am 17. Juni 2010)
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Der Sachverständige Henning Rösel stellte fest, dass die Bundesregierung den Standort Gorleben nicht als 1. Wahl favorisiert habe. Es habe "große Bedenken" gegeben.
(Prof. Henning Rösel (Vizepräsident der BfS a.D.) als Sachverständiger vor dem 1. UA am 17. Juni 2010)
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„Es gab eine Weisung der Bundesregierung“
(Prof. Dr. Helmut Röthemeyer (Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt a.D.) als Zeuge vor dem 1. UA am 1. Juli 2010)
- „(…) Von daher hat man (die Kohl-Regierung 1983) natürlich versucht, Gorleben mit allen Mitteln durchzudrücken“.
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Der Zeuge Wolf von Osten brachte das Vorgehen der Kohl-Regierung auf den Punkt: „Augen zu und durch – mit Gorleben“.
(Dr. Wolf von Osten (im Jahre 1982 Referent im Bundeskanzleramt) als Zeuge vor dem 1. UA am 8. Juli 2010)
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Der Zeuge August Hanning äußerte sinngemäß: Die CDU-geführte Landesregierung unter Ernst Albrecht hatte Gorleben als einzigen Standort vorgeschlagen. Andere Bundesländer machten keine weiteren Vorschläge, daraufhin „setzten wir halt Gorleben durch“. Auf die Frage nach den wissenschaftlichen Zweifel des Salzstock Gorlebens stellte Hanning lapidar fest: „Jeder Salzstock hat doch ein Problem“.
(Dr. August Hanning (in den Jahren 1982/83 Referent im Bundeskanzleramt) als Zeuge vor dem 1. UA am 8. Juli 2010)
„Der Salzstock Gorleben ist tot“.
(Prof. Klaus Duphorn (Geologe) als Zeuge vor dem 1. UA am 8. Juli 2010)
- Auch der renommierte Geologe Prof. Duphorn ist von einer politischen Einflussnahme bei der Standortentscheidung für Gorleben überzeugt. Der Zeuge sprach im Zusammenhang mit der Entscheidung der Kohl-Regierung pro Gorleben vom „größten Skandal überhaupt“.
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Duphorn abschließend: „Wäre man (vor 28 Jahren) meinen Empfehlungen gefolgt, bräuchten wir heute hier nicht rumsitzen“.
(Anm.: Prof. Klaus Duphorn ist nicht „irgendein“ Wissenschaftler. Er ist der wichtigste Geologe für die Gorleben-Erkundung. Prof. Duphorn ist der Gorleben-Kenner.)
Der politische Gegner
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat das unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Erkundungs-Moratorium für Gorleben im März dieses Jahres aufgehoben. Das hat er nicht eigenmächtig entschieden, dahinter steht die ehemalige Bundesumweltministerin und jetzige Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel. Der Salzstock Gorleben wird jetzt weiter erkundet und zwar ohne Suche nach Alternativen. Damit setzt sich eine konservative Regierung einmal mehr über den internationalen Stand der Wissenschaft hinweg, der damals wie heute eine parallele Untersuchung mehrerer Standorte verlangt. Doch Merkel und Röttgen exekutieren die Interessen einer Lobby. Deshalb denkt die Union auch über Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken nach und für deren „Entsorgungsnachweis“ braucht Schwarz-Gelb Gorleben.
Im 1. Untersuchungsausschuss werden die Interessen der Atom-Lobby vom CDU-Obmann Reinhard Grindel vertreten. Ziel und Strategie des niedersächsischen Konservativen sind so einfach wie durchschaubar: Er möchte „die Sache“ schnell hinter sich haben. In einem aktuellen Interview (in: „Das Parlament“ Nr. 28-29 vom 12.07.2010) hat der CDU-Kollege zum Besten gegeben, dass er im Sommer 2011 die Arbeit „abschließen“ möchte. Grindel lässt in seiner täglichen Arbeit erkennen, dass er nicht das geringste Interesse an parlamentarische Aufklärung hat – er tut noch nicht einmal so: Kurz nach der Einsetzung des Untersuchungsausschuss vertrat er in einem Namensartikel (Tagesspiegel vom 30. April 2010) die steile These: „Ein besseres Endlager (als Gorleben) gibt es nicht”. Eine recht lakonische Erkenntnis für einen Laien - angesichts der Tatsache, dass der Abfall, der in Gorleben deponiert werden soll, über eine Million Jahre hochradioaktive Strahlung abgibt.
Zum Vergleich: den „homo sapiens“ gibt es seit etwa 200.000 Jahren. Wir sprechen bei Atommüll über einen vom Menschen produzierten „Stoff“, der fünfmal länger existieren wird, als es den Produzenten gibt.
Das belegt eindeutig: Der Union fehlt es nicht nur an ernsthaftem Willen zur parlamentarischen Aufklärung, sondern auch an Respekt für eine geradezu lebensgefährliche Thematik.
Weitere Maßnahmen
Auch in Zukunft wird der Untersuchungsausschuss namhafte Zeugen hören. Mathias Edler beispielsweise hat im Auftrag von Greenpeace die „Gorleben-Akten“ zusammengestellt. Edlers umfangreiches Akten- und Quellenstudium offenbaren sehr eindrucksvoll die maßgeblichen politischen Entscheidungsprozesse der Niedersächsischen Landesregierung in den Jahren 1976/1977. Ebenfalls Einblicke in die politischen Abläufe dieser Zeit wird uns Prof. Dr. Gerd Lüttig geben können. Der Geologe war von 1970 bis 1980 Vizepräsident des Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung und in dieser Funktion an der Standortentscheidung beteiligt.
Außerdem werden die Mitglieder des 1. Untersuchungsausschusses am 16. September 2010 das Erkundungsbergwerk Gorleben „besuchen“. Die Opposition hat dies gegen den erklärten Willen der Regierungskoalition durchsetzen können. Es schien uns dem Untersuchungsausftrag angemessen zu sein, wenn wir uns „vor Ort“ ein Bild über den „Untersuchungsgegenstand“ machen können.
Zum Abschluss folgen die Obleute gerne einer Einladung der „Bürgerinitative Umwelschutz Lüchow-Dannenberg e.V.“ zu einer „Podiumsdiskussion“.
Fazit und Ausblick
Schon jetzt ist klar: Zur Zeit der Schmidt-Regierung finden sich noch erhebliche Zweifel am Standort Gorleben in den Akten-Vermerken. Nach dem Wechsel zur schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl schwinden jedoch diese Zweifel am Salzstock Gorleben, dessen mangelnde Qualität bei renommierten Geologen zu dieser Zeit immer stärker in die Kritik rückte.
Doch das interessierte die neue Kohl-Regierung nicht. Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983: „Die (nukleare) Entsorgung muss und wird zügig verwirklicht werden“. So kam es dann auch. Wenige Tage später wurde der entscheidende Bericht der „Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt“ zur Eignung Gorlebens auf Weisung von Bonner Regierungsbeamten geändert, womit der untertägigen Erkundung Gorlebens nichts mehr im Wege stand. Ergo: Politischer Druck entschied über den Standort Gorleben, nicht wissenschaftliche Eignung. Die angestellten Wissenschaftler von nachgelagerten Behörden mussten auf Druck ihrer Vorgesetzten aus Bonn ihre Expertisen ändern, damit die Kohl-Regierung endlich ihr Endlager bekam.
Dies gilt es zu dokumentieren. Mittels der von uns benannten und zu benennenden Zeugen werden wir Botschaften setzen, die unsere Ziele belegen. Gleichwohl bedeutet das Vorgehen im Untersuchungsausschuss Millimeter-Arbeit. Sowohl in Bezug auf die Präzision als auch auf das Vorankommen.
Doch der Gorleben-Untersuchungsausschuss impliziert nicht nur geschichtliche Aufklärung. Die Diskussion um den höchst umstrittenen Standort hat einen aktuellen Bezug: Für Angela Merkel und Norbert Röttgen ist Gorleben das Alibi für deren geplante Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Denn ohne den sogenannten „Entsorgungsnachweis“ gibt es keine verlängerten Laufzeiten. Die Union geht dabei so weit, ein wissenschaftlich höchst umstrittenes „Erkundungsbergwerk“ zu instrumentalisieren. Doch ohne Gorleben gibt es noch nicht mal eine „moderate“ Laufzeitverlängerung. Ein Grund mehr, der gegen Gorleben spricht.