Lars Klingbeil, MdB redet im Deutschen Bundestag zum Wehrrechtsänderungsgesetz
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Seit ihrer Einführung haben mehr als 8 Millionen junge Männer Wehrdienst in Deutschland
geleistet. Mehr als 50 Jahre hat die Wehrpflicht unsere Gesellschaft geprägt. Aber es sind Zweifel am bestehenden System der Wehrpflicht gewachsen. Es ist unsere Aufgabe als Politiker, sicherheitspolitisch zu begründen, ob wir noch eine Wehrpflicht in Deutschland brauchen. Es ist jetzt an uns, auf der Höhe der Zeit zu sein und den sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden. Dies ist unsere Pflicht, und hieran werden wir gemessen.
Die Diskussion über die Wehrpflicht gehört nicht in das politische Hinterzimmer.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Link zum Video für Apple-Anwendungen
Diese Debatte bewegt unsere Gesellschaft. Im Parlament wird deutlich: FDP, Grüne und Linkspartei sind sich einig, wenn es darum geht, die Wehrpflicht abzuschaffen. In der SPD gibt es Befürworter und Kritiker. Wir haben uns nach einer langen Debatte auf ein Modell verständigt, das auf mehr Freiwilligkeit setzt und vor allem einen gesellschaftlichen Konsens sucht. Selbst in der Union, die bisher aus ideologischen Gründen an der Wehrpflicht festgehalten hat, ist die Aussetzung der Wehrpflicht kein Tabuthema mehr.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur beim Bundesverteidigungsminister!)
Der CSU-Verteidigungsminister, der vor kurzem noch verkündete, eine Abschaffung sei mit ihm nicht zu machen, gehört nun zur Speerspitze der Wehrpflichtkritiker.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sehen Sie, wie flexibel dieser Mann ist!)
All dies zeigt, wie verschieden die Positionen zur Wehrpflicht sind. Auch durch Umfragen wird belegt, dass unser Land in dieser Frage gespalten ist. Wir haben nun gemeinsam die Herausforderung zu bewältigen, eine politische Reform zu suchen, die für einen breiten gesellschaftlichen Konsens steht.
Was aber ist die Antwort der Regierung auf diese Herausforderung? „W6“. Sie lassen die Wehrpflicht zu einem sechsmonatigen Praktikum bei der Bundeswehr verkommen. Ich sage Ihnen: Sicherheitspolitisch macht das keinen Sinn. Die Gerechtigkeitsfrage wird nicht gelöst. Der Zivildienst wird in seiner jetzigen Form massiv unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss steigen auch noch die Kosten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Ich habe bisher niemanden getroffen, der ernsthaft die Meinung vertreten hat, dass ein Wehrdienst von sechs Monaten einen erhöhten Nutzen für unsere Streitkräfte, geschweige denn für unsere Gesellschaft hat. Auch Sie sind heute wieder jede Erklärung schuldig geblieben, worin eigentlich der Sinn einer sechsmonatigen Wehrpflicht liegen soll.
(Zuruf von der FDP: Mehr Freiheit!)
Wenn Sie ehrlich sind, geht es doch nur darum, endlich einmal ein schwarz-gelbes Projekt aus dem Koalitionsvertrag zu verabschieden. Mit dem Kopf durch die Wand, das ist das Motto der heutigen Abstimmung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Schlimmste ist, dass dieser Gesetzentwurf das Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt wurde. Noch vor der Verabschiedung hier im Parlament hören wir, dass Teile der Union nun für eine komplette Abschaffung der Wehrpflicht plädieren. Herr Minister, ich will Ihnen sagen: Als Neuling im Deutschen Bundestag habe ich aufgehorcht, als Sie von einem Höchstmaß an Transparenz und Zusammenarbeit sowie von Wahrheit und
Klarheit gesprochen haben. Nach sieben Monaten muss ich Ihnen aber leider sagen: Es waren nur leere Worte. Wir von der Opposition haben fast damit gerechnet.
Aber auch gegenüber Ihren eigenen Reihen haben Sie nicht das eingehalten, was Sie angekündigt haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Erst schließen Sie eine Abschaffung der Wehrpflicht aus. Dann wird im Eiltempo eine Verkürzung auf sechs Monate durch das Parlament gejagt. Sie setzen eine unabhängige
Strukturkommission ein, die ohne Tabus tagen soll, und dann preschen Sie als Antwort auf das Spardiktat mit der Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht vor, noch bevor die Verkürzung der Wehrpflicht hier im Parlament beschlossen wurde. Diese schwarz-gelbe Logik erschließt sich mir nicht. Ich sage: Auch draußen versteht niemand, was wir hier heute diskutieren und beschließen. In der Truppe versteht das erst recht keiner.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser Angebot gilt weiterhin. Wir sind zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit. Nutzen Sie nicht politische Mehrheiten, sondern suchen Sie gesellschaftliche Mehrheiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit den richtigen Maßnahmen diejenigen für die Bundeswehr gewinnen können, die wir brauchen, und zwar auf freiwilliger Basis. Ich fordere Sie also noch einmal auf: Verzichten Sie auf W6! Zeigen Sie heute Stärke und Klarheit! Ich garantiere Ihnen: Es wird keine Häme von unserer Seite geben,
(Zuruf von der FDP: Von dir nicht, aber von anderen!)
wenn Sie ein weiteres Vorhaben Ihres Koalitionsvertrages abräumen. Wir wissen, dass die sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit größere Antworten brauchen als W6. Herr zu Guttenberg, es liegt an Ihnen.
Herzlichen Dank für das Zuhören.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)