Wie kam es zur Praxisgebühr?
Die im internationalen Vergleich hohe Anzahl von Arztbesuchen in Deutschland, und vor allem die bei den teuren Fachärzten, war 2003 ein Ausgangspunkt für Überlegungen zur Kostensenkung im deutschen Gesundheitssystem. Denn die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schienen immer mehr aus dem Ruder zu laufen. Die damals regierende SPD und ihr grüner Koalitionspartner wollten die so genannte hausarztzentrierte Versorgung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung durchsetzen, um die Zahl der Facharztbesuche zu senken und u. a. dadurch die Kosten reduzieren. Dies hätte bedeutet, dass Patientinnen und Patienten erst zu ihrem Hausarzt gehen, der gegebenenfalls einen Facharzt bei der Behandlung hinzuziehen kann, und dann eine Überweisung ausstellt. Dieses Vorhaben hat die Union im Bundesrat blockiert.
Seehofer ist der Erfinder der Praxisgebühr
Die SPD-Fraktion war nie für die Praxisgebühr. Sie hatte ihr im Rahmen der Verhandlungen um das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) 2003 zugestimmt um Schlimmeres zu verhindern. Denn wäre es nach CDU und CSU und vor allem nach Horst Seehofer gegangen, dann hätten alle Versicherten bei jedem Arztbesuch zehn Prozent der Behandlungskosten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Und zwar egal, ob in der Hausarzt- oder in der Facharztpraxis, egal ob beim Erst- oder beim Wiederholungsbesuch. Mindestens 5 Euro wollten CDU und CSU für jeden Praxisbesuch kassieren. Diese Lösung widerstrebte der SPD-Fraktion, denn dadurch wären die GKV-Versicherten übermäßig zur Kasse gebeten worden. Vor allem für Geringverdiener, ältere Menschen und chronisch Kranke hätte diese Regelung eine enorme Belastung bedeutet. Deshalb hat die SPD mit der Union vereinbart, dass 10 Euro pro Quartal von den GKV-Versicherten zu zahlen sind. Kinder sind davon befreit, und es kann eine Befreiung für ein Kalenderjahr ausgestellt werden, wenn über zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens (ein Prozent bei chronisch Kranken) für Zuzahlungen – etwa für Krankenhausaufenthalte und Arznei – belegt werden können. Wenn der Patient oder die Patientin die Praxisgebühr bezahlt hat, können er oder sie weitere Ärztinnen und Ärzte per Überweisungsschein aufsuchen, ansonsten müssen sie nochmals 10 Euro entrichten. Das Ziel war, durch die Zahlung der Praxisgebühr Bürgerinnen und Bürger von vermeintlich überflüssigen Arztbesuchen abzubringen.
Praxisgebühr hat Wirkung verfehlt
Bis auf einen Rückgang der Arztbesuche kurz nach Einführung der Praxisgebühr im Jahr 2004 hat sie ihre beabsichtigte Steuerungswirkung verfehlt. Nach wie vor liegt Deutschland mit 17 Arztbesuchen pro Einwohner international an der Spitze. Weil auch Fachärzte nach der Zahlung der 10 Euro Praxisgebühr Überweisungen ausstellen dürfen, blieb eine Stärkung der Stellung der Hausärzte ebenfalls aus. Außerdem gewöhnten sich die GKV-Versicherten an die Praxisgebühr. Dazu kommt, dass die Einziehung der Praxisgebühr in den Arztpraxen und bei den Krankenkassen mit mehr bürokratischem Aufwand verbunden ist. 2011 reichten Ärzte und Zahnärzte fast 2 Milliarden Euro als Einnahmen aus der Praxisgebühr an die gesetzliche Krankenversicherung weiter.
Abschaffung der Praxisgebühr ist nur ein erster Schritt
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits im März dieses Jahres die Abschaffung der Praxisgebühr gefordert. Hintergrund waren und sind die sprudelnden Einnahmen sowie die daraus entstandenen Überschüsse im Gesundheitsfonds und bei den gesetzlichen Krankenversicherungen. Doch die SPD will mehr: Die schwarz-gelbe Entsolidarisierung von unserem Gesundheitssystems soll zurückgenommen werden. Die Beiträge sollen wieder zu gleichen Teilen – so genannte paritätische Finanzierung – von Arbeitgebern und Beschäftigten gezahlt werden, und die 0,9 Beitragssatzpunkte, die die Versicherten allein schultern, sollen abgeschafft werden. Außerdem sollen die Zusatzbeiträge gestrichen werden, und die Krankenkassen sollen wieder selbst die Höhe ihrer Beiträge festsetzen können.
Bürgerversicherung einführen und Hausärzte stärken
Ziel der SPD-Fraktion ist die Einführung einer Bürgerversicherung, in die alle Versicherten nach der Höhe ihres Einkommens einzahlen. Starke Schultern sollen mehr tragen als schwache. Außerdem will die SPD-Fraktion die Hausärzte stärken und ihnen die Lotsenfunktion in unserem Gesundheitswesen geben, um mehr Wirtschaftlichkeit zu erreichen und die Qualität unseres Gesundheitssystems langfristig zu sichern.