Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann erinnerte in seiner Rede daran, dass laut einer aktuellen Umfrage 80 Prozent der Deutschen in der EU bleiben wollen – eine ähnliche Entscheidung wie in Großbritannien steht hier demnach nicht an.
Dass die EU mit den Briten einen wichtigen Akteur verliert, ist klar; Oppermann machte aber auch deutlich, wer das in großen Teilen zu verantworten hat: der noch amtierende Premierminister Cameron habe einen „riesigen politischen Scherbenhaufen“ hinterlassen. Er habe einen Konflikt in seiner Partei in „die Gesellschaft getragen und aus einer gespaltenen Partei ein gespaltenes Land gemacht“.
Was ist die Lehre aus all dem? Für Oppermann ist ganz klar: „Nationalismus stärkt nicht die Nation, sondern spaltet die Einheit der Nation!“
Er verwies auch darauf, dass die jüngeren Briten überwiegend für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hätten, und sie deshalb keine Abkapselung wollten, sondern eine „Zukunft in einem weltoffenen Europa.“ Nicht zuletzt darum müsse nun alles dafür getan werden, dass die EU zusammenbleibt.
In diesem Zusammenhang verlangte er auch zügige Austrittsverhandlungen, denn die unsichere Lage schade der europäischen und der deutschen Wirtschaft. Oppermann: „Camerons Hängepartie ist eine Zumutung für ganz Europa“.
Oppermann forderte Bundeskanzlerin Merkel (CDU) auf, dafür zu sorgen, dass Großbritannien jetzt keine Sonderrolle bekomme oder gar "Rosinenpickerei" betreibe bei den Austrittsgesprächen. „Es darf keine Belohnung für einen Austritt und keine Prämie für Nationalismus geben“, sagte Oppermann vor den Abgeordneten.
Angesichts eines breiten Unbehagens über die EU forderte er eine konsequente subsidiäre Gestaltung der EU. Brüssel müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren. Zugleich verlangte er ein europäisches Investitionsprogramm.
Der Fraktionschef skizzierte, was nun konkret geschehen muss:
- Die Flüchtlingsfrage lösen; die europäischen Außengrenzen sichern, damit die Binnengrenzen offen bleiben.
- Wirtschaftliches Wachstum schaffen, um die Wohlstandsversprechen für ganz Europa einzulösen.
- Die Folgen der Finanzkrise bekämpfen; endlich eine Finanztransaktionssteuer einführen
- Die Währungsunion zu einer Wirtschaftsunion weiterentwickeln
- Den Jugendlichen in Europa eine Perspektive geben; die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen
- In zehn Jahren über die modernste digitale Infrastruktur der Welt verfügen
Mit sehr persönlichen Worten wandte sich die SPD-Abgeordnete und Generalsekretärin Katarina Barley an das Parlament. Barleys Vater ist Brite, sie selbst besitzt auch den britischen Pass. Barley erinnerte an die ermordete britische Abgeordnete Jo Cox und mahnte, die politische Debatte nicht verrohen zu lassen.
Sie machte klar, dass Großbritannien nicht bestraft werden dürfe für die Austrittsabsicht, aber dass die EU in den Austrittsverhandlungen gleichwohl konsequent sein müsse. Barley: „Die Gründerväter der Europäischen Union haben die Union als Haus gebaut, und nicht als Steinbruch, bei dem jedes Land sich sein liebstes Stück herausschlägt“. Die EU stehe für Frieden; sie wolle nicht, dass ihre Kinder in eine Welt hineinwachsen, in der EU-Staaten wieder Krieg miteinander führen.
Der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion Norbert Spinrath forderte den britischen Premier Cameron auf, den Willen seines Volkes zügig umzusetzen, ergo unverzüglich den Antrag auf Austritt in Brüssel zu stellen. Spinrath ist sich sicher, dass die EU den Austritt verkraften wird, aber um das Vereinigte Königreich mache er sich Sorgen – stehe es doch vor einem Zerfall.
Auch Spinrath appellierte an Merkel, sicherzustellen, dass die übrigen 27 Staaten mit einer Stimme sprechen und das Vertrauen in die Europäische Union wiederherstellen.
Alexander Linden