Aber für Deutschlands Stärke stünden noch mehr „das Aufstiegsversprechen an alle tüchtigen und fleißigen Bürgerinnen und Bürger, die Chance auf einen besseren Bildungsabschluss, als ihn die Eltern gehabt hätten, die faire Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg oder intakte Kommunen, die Bildung, Sport, Kultur, Sicherheit und Kinderbetreuung als Leistungen für all diejenigen bereit stellen, die es sich privat nicht leisten können“, stellte Steinbrück fest. Für ihn zählten auch der Sinn für Maß und Mitte, für Anstand und Fairness. Die soziale Marktwirtschaft könne nur durch den sozialen Ausgleich existieren. Auch heute sei Deutschland stark, aber nicht alle könnten daran teilhaben, sagte Steinbrück.
Heute arbeiten 6,8 Millionen Menschen in Deutschland für einen Stundenlohn von unter 8,50 Euro. 1,4 Millionen von ihnen verdienen weniger als fünf Euro in der Stunde. Fast 1,5 Millionen Menschen im Alter von 25 bis 35 Jahren haben keinen Schul- und keinen Berufsabschluss. 71 von 100 Akademikerkindern besuchen die Hochschule. Aus Arbeiterfamilien sind es nur 24 von 100 Kindern. Und Frauen verdienen im Durchschnitt 22 Prozent weniger als Männer für die gleiche Arbeit.
Anstand, Ehrlichkeit und Fairness werden mit Füßen getreten
Es gebe nicht nur das Unverständnis der Bürgerinnen und Bürger darüber, dass ihre persönliche Leistung weniger wichtig und weniger wert sei, sondern auch Engpässe bei der Finanzierung öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge, führte Steinbrück aus. Und es gebe gleichzeitig unverhältnismäßige Boni, die keinen Leistungsbezug hätten. Es gebe gefälschte Doktorarbeiten, Lobbygesetze und einen lässlichen Umgang mit Steuerbetrug. All dies, warf Steinbrück der Bundesregierung vor, trete die Werte Anstand, Ehrlichkeit und Fairness mit Füßen. „Während eine Kassiererin wegen einer Pfandwertmarke von 50 Cent ihren Job verlieren kann, bleiben Millionen schwerer Steuerbetrüger in der Anonymität, werden gar nicht erst erkannt oder kommen mit einer Nachzahlung davon“, stellte Steinbrück klar. Er fragte sich, wie das auf die Bürgerinnen und Bürger wirke. Denn nicht der Fall Hoeneß sei das Problem, sondern die vielen unentdeckten Fälle von Steuerbetrug und die legale Steuervermeidung von Unternehmen, die nationale Steuersysteme gegeneinander ausspielten, seien das eigentliche Problem.
Steinbrück warnt vor einer Krise unserer Gesellschaft
Die Bundesregierung habe den Elan, den Frankreich und die OECD 2009 entfacht hätten, um Steuerbetrug und -hinterziehung auf internationaler Ebene zu bekämpfen, nicht genutzt, beklagte Steinbrück. Anstatt dessen habe sie ein Steuerabkommen mit der Schweiz präsentiert, das Steuerbetrüger in der Anonymität belasse und mit einem Ablass hätte davon kommen lassen. Sie habe noch nicht einmal denselben Informationsaustausch aushandeln können, der für die Steuerbürger der USA gelte, hielt er der Regierung vor. Dieser von SPD und Grünen abgelehnte Entwurf werde von der Koalition bis heute mit „kranken Argumenten“ schön geredet. Wenn die Auflösung von Werten wie Anstand, Fairness, Ehrlichkeit und sozialer Balance weiter geduldet werde, würden unsere Gesellschaft und wirtschaftliche Ordnung in eine Krise geraten, mahnt Steinbrück. Es helfe nicht, wenn die Bundeskanzlerin in einem Einzelfall enttäuscht sei, sondern sie sei gefordert, das Wertefundament von Politik und Wirtschaft zu erneuern. Doch das vermisse er bei Merkel.
Eine ungerechte Gesellschaft rechnet sich für niemand
„Ich bin davon überzeugt, dass nur eine gerechte Gesellschaft auch eine starke Gesellschaft ist“, sagte Steinbrück. Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich seien die wesentlichen Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg, und umgekehrt sei dieser notwendig für sozialen Ausgleich. „Eine ungerechte Gesellschaft rechnet sich für niemand – auch nicht für die Wohlhabenden“, unterstrich Steinbrück und warnte vor einem „Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Als Beispiele für soziale Ungerechtigkeit in Deutschland nannte er die Ausgrenzung von Frauen am Arbeitsmarkt, nur weil diese Kinder haben wollten. Das sei nicht nur individuell ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn, vor allem mit Blick auf die demografische Entwicklung und weil junge Frauen bessere schulische, berufliche und akademische Abschlüsse hätten als Männer. Außerdem vernichteten Dumpinglöhne Arbeitsplätze bei verantwortungsbewussten Unternehmen, die sich anständig verhalten, sagte Steinbrück. Diese Dumpinglöhne müssten dann zu Lasten der Steuerzahler aufgestockt werden, was an die 10 Milliarden Euro kosten könne. Ebenso sei ein Bildungssystem für die gesamte Gesellschaft schädlich, in dem nicht Anstrengung und Leistung, sondern Einkommen und Beziehungen der Eltern für Aufstieg sorgten. Gerade wegen der demografischen Entwicklung dürfe kein Kind zurück gelassen werden, forderte Steinbrück. Deshalb sei eine zweite Chance notwendig.
Soziale Ausgrenzung erzeugt soziale Folgekosten
Weitere soziale Ungerechtigkeit machte Steinbrück dadurch aus, dass finanziell marode Kommunen nicht mehr in der Lage seien, sozial benachteiligte Menschen zu integrieren. Das erzeuge soziale Folgekosten, weil unsere Kommunen finanziell nicht in die Lage versetzt würden, soziale Entfremdung zu vermeiden. Wenn immer mehr Menschen von Aufstiegschancen ausgeschlossen würden, würden sie zwangsläufig resignieren. Deshalb wollten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in einen vorsorgenden statt in einen reparierenden Sozialstaat investieren. Dazu gehöre, dass starke Schultern einen höheren Beitrag leisten müssten, um öffentliche Aufgaben zu finanzieren.
Das Miteinander und die soziale Teilhabe organisieren
Peer Steinbrück forderte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, eine angemessene Ausstattung von Kommunen sowie den Ausbau von Kinderbetreuung anstatt eines Betreuungsgeldes. Alldem liege aus seiner und aus Sicht der SPD die Idee zugrunde, wie das Miteinander in unserer Gesellschaft und gesellschaftliche Teilhabe zu organisieren seien und wie für Gleichberechtigung in einem modernen Deutschland gesorgt werden könne. „Es ist die Idee von einer Gesellschaft, die Leistung honoriert, die gegen die großen Lebensrisiken wie Krankheit, Altersarmut und Arbeitslosigkeit absichert, aber die allen Menschen eine zweite und vielleicht auch eine dritte Chance gibt“, sagte Steinbrück. Armut dürfe nicht der Caritas zugeführt werden. Es gehe nicht nur um den Preis einer solidarischen Gesellschaft, sondern um den Wert einer solidarischen Gesellschaft.
SPD-Antrag: Deutschland 2020 Gerecht und solidarisch
Anlass für die Debatte waren die erste Lesung des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Festsetzung des Mindestlohns sowie der Antrag der SPD-Antrag „Deutschland 2020 – Gerecht und Solidarisch“ (Drs. 17/13226) sowie weitere Anträge der Oppositionsparteien.
Die SPD-Fraktion hat das Ziel, dass Deutschland bis zum Jahr 2020 eine gerechtere und solidarische Gesellschaft wird. Dazu hat sie mit ihrem Antrag einen umfassenden Katalog von miteinander verbundenen Maßnahmen vorgelegt. Zu den Forderungen gehören ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt für gute Arbeit und faire Löhne sowie neue Regeln für Leiharbeit, Werkverträge und Minijobs. Zudem soll die Gleichstellung von Frauen und Männern in Beruf und Familie durch gleiche Bezahlung, das Recht auf befristete Teilzeit und ein Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit, ein geschlechtergerechtes Steuersystem und mehr Frauen in Führungspositionen erreicht werden. Ebenso sollen die Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung verbessert werden. Ein solidarisches Miteinander der Generationen ist ein weiteres Ziel. Die Förderung von Kindern und Jugendlichen steht dabei ebenso im Fokus wie der Bedarf älterer Menschen. Auch die Kommunen und Regionen müssen in ihrer Entwicklung besser unterstützt werden und brauchen verlässliche Finanzen. Bezahlbares Wohnen in der Sozialen Stadt soll wieder für alle möglich sein. Bei allen Zielen und Maßnahmen orientiert sich die SPD-Fraktion am Leitbild der Nachhaltigkeit.