Das Schlagwort "Industrie 4.0" ist in aller Munde. Für manche ist es ein Modethema, aus meiner Sicht ist es ein Megatrend. Das digitale Zeitalter wird maßgeblich durch das bestimmt, was man als "Internet der Dinge" und "Big Data" bezeichnet. Beides wird unsere industriell geprägte Wirtschaft massiv verändern. Aus Sicht des verarbeitenden Gewerbes geht es vor allem um die datenbasierte autonome Kommunikation von Produkten und Maschinen miteinander – nach Dampfmaschine, Fließbändern und Automatisierung die vierte industrielle Revolution.
Der Epochenwandel ist IT-getrieben. Unter den Weltmarktführern bei Hardware, Software und Onlinediensten sind hauptsächlich amerikanische und einzelne asiatische Konzerne zu finden – deutsche Firmen sind hingegen rar. Brauchen wir also ein deutsches Google oder sollten wir gar versuchen, das "Silicon Valley" zu reproduzieren? Meine Antwort lautet: Nein, weil die Voraussetzungen in den USA andere sind und sich Firmen und Strukturen nicht eins zu eins übertragen lassen. Vielmehr sehe ich folgende Ansatzpunkte, um den digitalen Wandel in Deutschland aktiv zu gestalten:
Erstens: Zu unseren Stärken gehören zweifellos unsere industrielle Basis und die weltweit einzigartige Vernetzung mit mittelständischen Betrieben in Wertschöpfungsketten. Wir müssen die IT-Kompetenz fördern – ganz gleich ob die Unternehmen Anwender oder Anbieter sind. Hochinnovativer Mittelstand kann aus IT-Startups entstehen. Dazu brauchen wir weniger bürokratische Hürden bei Gründungen und mehr Wagniskapital für junge Unternehmen. Zudem wird es darauf ankommen, die klassische Industrie mit den neuen Internet-Startups und diese wiederum mit unseren Hochschulen zusammen zu bringen. Wir können das „Valley“ nicht kopieren, den dahinter stehenden Gedanken der wissensbasierten Netzwerke hingegen schon. Politik kann dazu Plattformen bieten.
Zweitens müssen wir den digitalen Wandel in den Betrieben nach sozialen Kriterien organisieren. Das heißt, die Rolle des Menschen in den intelligenten Fabriken zu beleuchten. Sicher werden sich Berufsbilder und -qualifikationen verändern. Aber "Arbeit 4.0" bietet richtig gestaltet mehr: bessere Arbeitsbedingungen und mehr Chancen für Beschäftigte, ihre Kreativität einzubringen sowie Familie und Beruf zu vereinbaren. Dann wäre "Industrie 4.0" sogar – entgegen allen Unkenrufen – ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt.
Drittens müssen die rechtlichen Prinzipien erst noch definiert werden. Wenn Wissen der Rohstoff ist, werden Daten zur Währung. Wie internationale Finanzmärkte müssen auch Datenumschlagplätze reguliert werden. Zudem ist IT-Sicherheit unabdingbar, nicht erst seit dem Fall Snowden. Deutschland muss Kompetenzland für digitale Sicherheitstechnik bleiben. Für den Erfolg von "Industrie 4.0" müssen sich aus Daten auch Geschäftsmodelle entwickeln lassen, ohne jedoch die Privatsphäre und kommunikative Autonomie des Einzelnen zu verletzen.
Kurzum: In "Industrie 4.0" liegen enorme Potenziale für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt, sofern wir den Wandel nach sozialen und rechtlichen Prinzipien organisieren – eine Aufgabe wie maßgeschneidert für Sozialdemokraten.
Von Hubertus Heil MdB, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Wirtschaft, Energie, Bildung und Forschung.