Grundziel der Verhandlungen der EU mit der Türkei war die Unterbindung des Geschäftsmodells der Schlepper, um einen kontrollierten und sicheren Zugang für Flüchtlinge zu ermöglichen sowie den Schutz der EU-Außengrenzen sicherzustellen. Die irreguläre bzw. illegale Migration soll durch legale Wege in die EU ersetzt werden. Dazu zählt in einem ersten Schritt die sogenannte „1:1-Regelung“ für Syrer und in einem zweiten Schritt die Schaffung von freiwilligen Kontingenten im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms aus der Türkei. Vereinbart ist, dass alle Maßnahmen in Kürze in Kraft treten. Ratspräsident Tusk hat den Anspruch formuliert, dass die Verhandlungsergebnisse das europäische Asylrecht und internationale Menschenrechtsstandards achten.
Auch die umfassende Beteiligung des UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, bei sämtlichen Maßnahmen war eine wichtige Forderung. Die Kritik an den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Pressefreiheit und der Situation der Kurden in der Türkei dürfen durch die Schlüsselrolle der Türkei bei der Beendigung der irregulären Migration nicht in den Hintergrund treten.
Die Öffnung neuer Beitrittskapitel bietet die Chance, mit der Türkei in einen strukturierten Dialog über Justiz und Rechtstaatlichkeit sowie Grundrechte zu treten. Im Bereich der Visa-Liberalisierung muss die Türkei sämtliche 72 Anforderungen vollumfänglich erfüllen. Nur dann wird die EU-Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag unterbreiten.
Die wichtigsten Inhalte der EU-Türkei-Erklärung
Bisherige Maßnahmen:
- Beide Seiten rufen zur vollständigen Umsetzung des gemeinsamen Aktionsplans vom 29. November 2015 auf. Fortschritte gibt es bereits bei der Öffnung des türkischen Arbeitsmarktes für Syrer, der Einführung von neuen Visa-Vorschriften für Syrer und andere Nationalitäten und dem Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden. Auch fließen bereits erste Gelder aus 3 Milliarden Euro Flüchtlingsfazilität in konkrete Projekte in der Türkei. Im Dezember fand die Öffnung von Kapitel 17 (Wirtschafs- und Währung) im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen statt.
- Am 7. März hat die Türkei bereits akzeptiert, sowohl alle nicht schutzbedürftigen Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, schnell zurückzunehmen, als auch alle irreguläre Migranten, die in türkischen Gewässern aufgegriffen werden. Beide Seiten verpflichteten sich ihre Maßnahmen gegen Schlepper auszuweiten und begrüßten das Engagement der Nato in der Ägäis.
Zusätzliche Maßnahmen:
- Alle neuen irregulären Migranten, die von der Türkei aus zu den griechischen Inseln ab dem 20. März übersetzen, werden als temporäre Maßnahme in die Türkei zurückgeführt. Dies geschieht im Einklang mit europäischem und internationalem Recht. Kollektivausweisungen sind demnach ausgeschlossen. Die in die Türkei zurückgeführten Migranten werden dort nach internationalen Standards geschützt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung (Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention).
Alle auf den griechischen Inseln ankommenden Migranten werden dort vollständig registriert und können Asyl beantragen. Das Asylverfahren wird individuell von den griechischen Behörden in enger Abstimmung mit dem UNHCR gemäß der EU-Asylverfahrensrichtlinie durchgeführt. Migranten, die kein Asyl beantragen oder deren Antrag unbegründet oder unzulässig ist, werden in die Türkei zurückgeführt. Die Türkei und Griechenland werden mit Unterstützung der EU alle Schritte einleiten, um das verabredete Verfahren umzusetzen. Dazu zählt u. a. auch die Präsenz von türkischen Beamten auf griechischen Inseln.
Die Kosten für die Rückführung übernimmt die EU.
- Für jeden Syrer, der in die Türkei von griechischen Inseln zurückgeführt wird, wird ein anderer Syrer aus der Türkei in die EU umgesiedelt („1:1-Regelung“). Der dafür erforderliche Mechanismus wird mit Hilfe der Kommission, der EU Agenturen, der Mitgliedstaaten und des UNHCR erstellt. Prioritär werden syrische Flüchtlinge in der Türkei ausgewählt, die zuvor nicht in die EU auf irregulärem Weg eingereist sind oder dies versucht haben. Die Verteilung in der EU unter diesem Mechanismus erfolgt zunächst auf Basis der Zusagen der Mitgliedstaaten im Ratsbeschluss vom 22. Juli 2015. Aus diesem sind noch 18.000 nicht ausgeschöpfte Plätze vorhanden. Sollte sich ein größerer Umsiedlungsbedarf ergeben, sollen bis zu 54.000 weitere Plätze ebenfalls auf freiwilliger Basis angeboten werden. Dazu wird die Kommission eine Änderung des Umsiedlungsbeschlusses vom 22. September 2015 erarbeiten, um die dort zugesagten aber noch nicht ausgeschöpften Plätze auf den EU-Türkei Mechanismus anzurechnen. Sollte der Mechanismus nicht zur angestrebten Reduktion der irregulären Migration führen, findet eine Überprüfung des Abkommens statt.
- Zur Verhinderung neuer See- und Landrouten für irreguläre Migration wird die Türkei in Zusammenarbeit mit der EU und seinen Nachbarstaaten alle notwendigen Maßnahmen ergreifen.
- Sobald die irreguläre Migration gestoppt, bzw. die Zahl erheblich und nachhaltig zurückgegangen ist, wird das Humanitäre Aufnahmeprogramm („Kontingente direkt aus der Türkei“) aktiviert, an dem sich die Mitgliedstaaten freiwillig beteiligen.
- Die Arbeiten an der Visa-Liberalisierung werden beschleunigt, damit die Visumserfordernisse für türkische Staatsbürger bis Ende Juni 2016 aufgehoben werden können. Dafür muss die Türkei sämtliche 72 Anforderungen erfüllen, insbesondere die Einführung von biometrischen Reisepässen. Die EU-Kommission wird bis Ende April einen Vorschlag unterbreiten, der von EP und Rat zeitnah angenommen werden soll, sofern die 72 Punkte abgearbeitet sind.
- Die Auszahlung der 3 Milliarden Euro soll beschleunigt und weitere Projekte bereits bis Ende März identifiziert werden. Eine erste Liste mit konkreten Projekten für Flüchtlinge in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und Ernährung soll innerhalb einer Woche vorliegen, damit die Finanzmittel schnell eingesetzt werden können. Sobald die Mittel ausgeschöpft sind, wird die EU nach Überprüfung der bisherigen Ergebnisse weitere maximal 3 Milliarden Euro bis Ende 2018 bereitstellen.
- Beide Seiten begrüßen die weiteren Arbeiten an einer Aufwertung der Zollunion.
- Die EU wird gemeinsam mit der Türkei die Öffnung neuer Verhandlungskapitel zeitnah vorbereiten. Als erster Schritt soll Kapitel 33 (Finanz- und Haushaltsbestimmungen) bis Ende Juni geöffnet werden.
- Die EU und Türkei werden zusammen auf eine Verbesserung der humanitären Bedingungen in Syrien hinwirken.
Die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei ist abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18-eu-turkey-statement/
Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in deutscher Sprache sind abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18-european-councilconclusions/