Sollte im Internet alles kostenfrei für jedermann verfügbar sein?
Natürlich wäre ein digitales Schlaraffenland etwas ganz Tolles. Aber wo sollen die online angebotenen Musikstücke, Filme, Bücher, Games, Software, Zeitschriften usw. denn künftig herkommen, wenn sie nicht mehr bezahlt werden und diejenigen, die sie machen, nicht mehr davon leben können?
Die Herstellung von Dingen, die einen Wert haben, kostet – zumindest viel Arbeit und Zeit, bei Filmen außerdem auch viel Geld. Ich fürchte, wir müssen uns daher damit abfinden, dass diese Dinge auch einen Preis haben (müssen), online wie offline.
Die SPD-Fraktion will den Urheber im Verhältnis zum Verwerter stärken und das Einkommen des Urhebers fair und angemessen gestalten. Wie kann das am besten geschehen, und wie hoch müsste das Einkommen des Urhebers aus der kommerziellen Verwertung seiner Werke sein?
Das eigentliche Problem ist doch das zig-millionenfache illegale Herunterladen. Die Rechtfertigung, der Künstler bekomme ja eh nichts von den Erlösen ab, ist ebenso falsch und scheinheilig wie der Versuch, Kreative und Verwerter gegeneinander auszuspielen. Wenn es bald keinen Kuchen mehr gibt, brauchen wir uns auch keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob dieser vielleicht hie und da einmal nicht ganz gerecht verteilt wird.
Der Urheber hat bereits jetzt per Gesetz Anspruch auf eine angemessene Vergütung und eine angemessene Beteiligung an den Erlösen. Was jeweils „angemessen“ ist, lässt sich nicht pauschal für alle Branchen und Berufszweige sagen, sondern ist jeweils z. B. durch Tarifverträge zu bestimmen. Für den Filmbereich steht ein Tarifvertrag zwischen der Produzentenallianz und ver.di kurz vor Abschluss, mit dem für die Filmschaffenden Art und Umfang der ihnen zustehenden Beteiligungen geregelt werden.
Die SPD-Fraktion lehnt eine Kulturflatrate als Pauschale ab, weil sie sie als ungerecht empfindet. Wie ist Ihre Meinung?
Eine Kulturflatrate würde vor allem leider nicht funktionieren.Wenn die Kulturflatrate das kostenlose Herunterladen aller Musik, Filme, Bücher bzw. Texte, Video-Games, Software, Zeitungen/Zeitschriften und vieler anderer geschützter Werke kompensieren soll, dann wäre hierzu pro Breitband-Anschluss ein monatlich dreistelliger Betrag erforderlich. Das wäre nicht vermittelbar – vor allem nicht demjenigen gegenüber, der das Internet nicht bzw. nicht zum Herunterladen nutzt.
Für die Verteilung müssten zunächst sämtliche Werke angemeldet, erfasst, kategorisiert und gewichtet werden. Für eine Verteilung nach Download-Häufigkeit müsste außerdem der gesamte Internet-Verkehr erfasst und überwacht werden (was ja nun gerade nicht der Sinn der Sache ist); die Erfassung der Downloads wäre außerdem äußerst manipulationsanfällig.
Die Einziehung und Verteilung der Kulturflatrate könnte nur über eine Art Mega-GEMA/GEZ erfolgen (die übrigens ihrerseits auch aus der Kulturflatrate finanziert werden müsste). Die Kreativbranchen mit einem Jahresumsatz von insgesamt ca. 30 Mrd. Euro würden nicht mehr durch den Markt finanziert, sondern hingen am Tropf staatlicher Verwaltung. Eine kafkaeske Vorstellung.
Der für jeden Kulturflatrate-Empfänger existenzielle Kampf aller gegen alle um einen „gerechten“ Verteilungsschlüssel würde zu schwersten Verwerfungen und zu nicht lösbaren Problemen führen. Dabei ist all dies völlig überflüssig: der Download eines Songs für 0,99 Euro oder des aktuellen SPIEGEL für 4 Euro ist per Mausklick bezahlbar – wozu sollte dieser Vorgang durch eine gigantische Bürokratie-Maschinerie gejagt werden, in der (nicht sehr realistischen) Hoffnung, dass irgendwann der richtige Betrag beim richtigen Empfänger ankommt?
Eine Aufhebung des Urheberrechts im Netz würde – auch bei einem Ausgleich durch eine Kulturflatrate – den Ausstieg Deutschlands aus dem internationalen System des Schutzes von Immaterialgüterrechten bedeuten. Unsere Wirtschaft ist exportabhängig; unsere Exporte basieren nicht auf Rohstoffen oder billiger Arbeitskraft, sondern auf (schutzbedürftigen) Patenten und Know-How. Die Folgen eines solchen Ausstiegs wären daher (weit über die klassischen Kreativbranchen hinaus) völlig unabsehbar und katastrophal.
Eine Sperrung eines Internetanschlusses ist nicht verhältnismäßig. Wie könnten Maßnahmen zum Schutz geistigen Eigentums im Netz aussehen?
Ob die Sperrung eines Internetanschlusses verhältnismäßig ist, kommt auf das Ausmaß und die Häufigkeit der Rechtsverletzungen an. Wer regelmäßig im Kaufhaus klaut oder schwarzfährt, wird nicht dreimal gewarnt, sondern muss bereits vorher mit härteren Strafen als einer Internet-Sperre rechnen. Ein Gesetz, bei dem auch hartnäckigste Verstöße keinerlei Folgen haben, wird nicht ernst genommen. Das Urheberrecht ist kein unsinniges Schikane-Gesetz, sondern schützt die Existenz der Künstler und Kreativen – es muss daher dafür gesorgt werden, dass es (wieder) ernst genommen wird.
Gehen Sie doch mal bitte auf http://wirsindfilesharer.wordpress.com/2012/05/11/wir-sind-filesharer/ – also, ich hätte kein Problem damit, wenn diese Leute, wenn sie das vierte Mal erwischt werden, halt ein halbes Jahr ins Internetcafé gehen müssen.
Die Menschen sollten vom illegalen Herunterladen in erster Linie durch positive Anreize, sprich durch attraktive legale Angebote abgehalten werden. Hierzu ist nun alles nur Denkbare und Mögliche getan worden – fast alles, was es illegal im Netz gibt, gibt’s auch legal, und das zu historisch unerreicht günstigen Bedingungen. Auch das beste legale Angebot wird allerdings nie ganz mit den kostenlosen illegalen mithalten können. Allein mit der Perfektionierung der legalen Angebote ist es daher nicht getan.
Ein Warnhinweismodell (drei Warnungen) wäre ein denkbar „softes“ zusätzliches Mittel, um die Leute vom illegalen Downloaden abzubringen. Die Erfahrungen in Frankreich zeigen, dass das funktioniert und die verschrieenen Abmahnungen praktisch überflüssig macht. Eine Internet-Sperre musste in den fast 2 Jahren seit Beginn des HADOPI-Modells nicht ein einziges Mal verhängt werden. Eine flächendeckende Überwachung des Internet-Verkehrs ist dabei mitnichten erforderlich; Bedenken hinsichtlich Fernmeldegeheimnis oder Datenschutz wirken wie Alibis, um sich um notwendige, aber unbequeme Dinge herumzudrücken. Eine weitere sinnvolle und notwendige Maßnahme ist die Sperrung illegaler Seiten (siehe dazu unten).
Die Erfahrungen mit den Sharehostern kino.to und megaupload.com zeigen, dass Plattformbetreiber, deren Geschäftsmodelle auf die massenhafte Verletzung geistigen Eigentums ausgerichtet sind, schon heute wirksam bekämpft werden können. Wie sollten dennoch die Regelungen zur Verantwortlichkeit von Hostprovidern neu justiert werden? Sollten die inkriminierten Inhalte entfernt werden?
Das ist eine gravierende Fehleinschätzung. Professionell verdeckte und arbeitsteilig operierende Filehoster dieses Kalibers sind praktisch nicht mehr zu knacken. Um kino.to unschädlich zu machen, bedurfte es jahrelanger Ermittlungsarbeit hochspezialisierter Fahndungsstäbe (und des Einschleusens bzw. „Umdrehens“ von Insidern). Der Takedown von Megaupload wäre mit den in Deutschland verfügbaren Kapazitäten überhaupt nicht möglich gewesen. Nach kürzester Zeit stehen Nachfolgeseiten im Netz, bei denen man wieder bei Null anfängt. Die Erfahrungen zeigen also leider gerade, dass klassische Strafverfolgung kein hinreichendes Mittel zur Bekämpfung illegaler Plattformen ist. Diese sind gegenwärtig und auf unabsehbare Zeit das am wenigsten risikobehaftete Betätigungsfeld organisierter Kriminalität.
Ein Vorgehen gegen Hostprovider ist ebenfalls kein taugliches Mittel. Bei Bedarf weichen die Plattformbetreiber auf Hostprovider in Ländern aus, wo man nicht herankommt.
Die inkriminierten Inhalte zu „entfernen“, ist somit leider praktisch nicht bzw. nur im Ausnahmefall möglich.
Das Vereiteln von Werbeeinnahmen ist ebenfalls kein taugliches Mittel – zum einen finanzieren sich diese Seiten auch über Premium-Abos und zum anderen ist die Werbung fast durchweg genauso illegitim (und wäre daher auch genauso schwer zu verfolgen) wie die Seiten selbst.
Was man aber tun kann und muss: die Access-Provider (Telekom, Vodafone, Arcor, Hansenet etc.) zwingen, den Zugang zu diesen Seiten zu sperren – wie dies in England, Österreich und Spanien erprobte Praxis ist. Natürlich wird es immer Hacker geben, die solche Sperren überwinden. Die große Mehrheit kann das jedoch eben (bzw. will es um den Preis des damit verbundenen Aufwands vielleicht auch gar) nicht. Es wird auch immer einige geschickte Kaufhausdiebe geben, die davonkommen – entscheidend ist, dass ein solches Verhalten nicht einreißt und in den Mainstream erodiert. Die Hürde muss nicht hoch sein – aber wenn es für jedermann sichtbar gar keine Hürde mehr gibt, beteiligen sich im Zuge einer Riot selbst Normalbürger, von denen man es nie gedacht hätte, am Ausräumen des Supermarkts.
Die Sperrung müsste jeweils in einem rechtsstaatlichen Verfahren auf Antrag, richterliche Prüfung und Beschluss erfolgen. Das nicht vorgesehen zu haben, war vielleicht der entscheidende Fehler der Gesetzesinitiative von 2009. Für die Access-Provider ist jeder Traffic guter Traffic; sie werden eine Sperrung daher nicht freiwillig, sondern nur aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung vornehmen. Der damit verbundene Aufwand ist jedoch verhältnismäßig und zumutbar.
Auch andere schwer rechtwidrige Websites, z. B. Neonazi-Hetzseiten, sollten gesperrt werden können. „Freiheit“ im Netz kann nicht Recht- und Gesetzlosigkeit bedeuten. Mit „Zensur“ oder Überwachung hat das nicht das Geringste zu tun – kein ernstzunehmender Mensch käme auf diesen Gedanken, wenn es darum geht, derartige Dinge in der offline-Welt aus dem Verkehr zu ziehen. Dass ein entsprechendes Gesetz wieder annulliert wurde, ist offensichtlich irrationalen Stimmungen geschuldet und unter Vernunftgesichtspunkten nicht nachvollziehbar.
Wie ist Ihre Meinung zu dem Thesenpapier insgesamt? Was muss noch getan werden?
Das Thesenpapier geht unglücklicherweise in entscheidenden Punkten von völlig falschen Voraussetzungen aus (These 9 /siehe obige Antwort zu Frage 5). Was nützt alles Bohei und die durchaus vorhandenen ehrenwerten Ansätze, wenn der Patient am Ende tot ist – obwohl es sehr wohl Mittel zur Rettung gegeben hätte?
Wenn man das Urheberrecht im Kern als sinnvoll und notwendig ansieht und in Sonntagsreden und Thesenpapieren immer wieder beteuert, dass man den Urheber nun endlich ernst nehmen und schützen will, muss man irgendwann auch entsprechende wirksame Maßnahmen ermöglichen. Oder aber man bekennt sich wie die Piraten dazu, das kostenlose Herunterladen allgemein freizugeben und das Urheberrecht damit de facto abschaffen zu wollen – das wäre zwar fatal, ist aber wenigstens ehrlich.
Wie die meisten wirksamen Maßnahmen sind auch die hier naheliegenden (Warnhinweismodell und Seitensperrung) ein wenig unbequem und bei einer lautstarken Minderheit der Bevölkerung unpopulär. Die etablierten Parteien scheinen aufgrund des erdrutschartigen Erfolges der Piraten noch unter Schockstarre zu stehen und haben daher die Tendenz, sich wegzuducken – indem man lieber Maßnahmen vorschlägt, die niemanden groß stören, aber eben auch unrealistisch bzw. untauglich und jedenfalls nutzlos sind.
Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, und Burkhard Lischka, rechtspolitischer Sprecher, erläutern die wichtigsten Forderungen der SPD zum Streit um das Urheberrecht.