Die Bundesregierung scheint darauf zu vertrauen, dass keiner nachliest, was sich wirklich hinter dem Titel „Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes“ verbirgt. SPD-Fraktionsvizin Christine Lambrecht spricht deshalb von einer Mogelpackung, die in Wahrheit ein Arbeitgeberschutzgesetz sei. Lambrecht: "Dieser Entwurf gehört in die Tonne".

Der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann sagte: "Ein solches Gesetz schafft keinen Betriebsfrieden. Es ist ein Arbeitnehmerüberwachungsgesetz".

DGB-Chef Sommer bezeichnet den Regierungsentwurf als einen Anschlag auf Arbeitnehmerrechte. Die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15. Januar, dass es kein Wunder sei, „dass dieser Entwurf in der Luft zerrissen wurde und in der Versenkung verschwand, was sich jetzt zeigt, leider nicht auf Nimmerwiedersehen.“ SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil spricht von einem „Riesenskandal“ und kann sich vorstellen, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden muss, wenn es in der jetzigen Form verabschiedet werde. Mittlerweile hat die Koalition die Befassung im Innenausschuss am 16. Januar von der Tagesordnung genommen. Offensichtlich war ihr der Gegenwind von Opposition, Gewerkschaften, Datenschützern und Medien zu stark.

Warum ist die Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes notwendig?

Zahlreiche Datenskandale auch in großen Unternehmen wie der Telekom, bei den Handelsketten Lidl und Aldi Süd sowie bei der Bahn haben in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, wie perfide Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bespitzeln und ausforschen: heimliche Videoüberwachungen, das Mitschneiden von Telefongesprächen, die Kontrolle der E-Mail-Kommunikation sowie der Internetnutzung am Arbeitsplatz.

Es ist daher dringend geboten, den Datenschutz von Beschäftigten eindeutig zu regeln. Die öffentliche Empörung über die Bespitzelung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern führte auch in den Chefetagen der Konzerne schließlich zu der Erkenntnis, dass so mit Beschäftigten nicht umgegangen werden darf.

Zudem sind die bisherigen Regelungen zum Datenschutz am Arbeitsplatz weit gestreut und unübersichtlich. Deshalb will die SPD-Bundestagsfraktion den Arbeitnehmerdatenschutz in einem eigenständigen Gesetz regeln. Es sollen Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Transparenz hergestellt und Regelungslücken geschlossen werden. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben dazu 2009 in der Großen Koalition eine Anhörung mit Experten durchgeführt. Und der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hat in seinem Ressort einen Gesetzentwurf erarbeiten lassen. Es war jedoch nicht mehr möglich, sich mit der Union darüber zu verständigen.

Diesen Gesetzentwurf haben die Sozialdemokraten kurz nach der Bundestagswahl Ende 2009 in den Bundestag eingebracht. Einen weitergehenden Antrag haben sie im Herbst 2011 vorgelegt.

Warum entdeckte Schwarz-Gelb den Arbeitnehmerdatenschutz?

Die Entrüstung der Öffentlichkeit über die Bespitzelungsskandale führte auch dazu, dass Schwarz-Gelb das Thema für sich entdeckte. Im Dezember 2010 legte die Regierung einen ersten Entwurf vor, der auf breite Kritik gestoßen ist. In einer Anhörung im Mai 2011 kritisierten die Sachverständigen überwiegend, dass der Entwurf völlig ungeeignet sei. Danach wurde es ruhig. Bis zum 10. Januar, da legten Union und FDP einen Änderungsantrag vor. Dieser macht den Gesetzentwurf bis auf wenige Punkte aber nicht besser. Unter dem Label, dass nun die heimliche Videoüberwachung nicht mehr gestattet sei, versuchen Union und FDP ihr geändertes Gesetz zu verkaufen. Dabei ist die heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz bereits durch Arbeitsgerichte verboten worden.

Und noch schwerer wiegt, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf arbeitnehmerfeindliche Praktiken der Datenerhebung und Überwachung legalisiert. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder meint dazu, dass damit der Telekom-Datenskandal legitimiert wäre.

Was kritisiert die SPD-Fraktion am Regierungsentwurf?

Die SPD-Bundestagsfraktion hat Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgelegt, die u. a. die folgenden Punkte enthalten:

Fragerecht bei Vorstellungsgesprächen

Der Gesetzentwurf lässt offen, ob Arbeitgeber bei Vorstellungsgesprächen Fragen nach Schwangerschaft oder Behinderung stellen dürfen oder nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und dem Europäischen Gerichtshof sind diese Fragen jedoch nicht zulässig.

Außerdem fordert die SPD-Bundestagsfraktion darüber hinaus das Verbot von Fragen nach öffentlichen Ehrenämtern und den Vermögensverhältnissen von Bewerbern.

Erhebung öffentlich zugänglicher Daten

Daten von Bewerberinnen und Bewerbern, die im Internet öffentlich zugänglich sind, sollen, wenn es nach Schwarz-Gelb geht, ohne Mitwirkung oder Zustimmung der Betroffenen durch Arbeitgeber erhoben werden können. Darunter fallen auch die für alle Mitglieder offenen Bereiche der sozialen Netzwerke wie facebook oder twitter.

Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt eine generelle Datenerhebung insbesondere der im Internet verfügbaren Daten von Bewerberinnen und Bewerbern ab. Zum einen,  weil sich die Öffentlichkeitseinstellungen der sozialen Netzwerke häufig ändern, und zum anderen können Daten ohne Wissen der Betroffenen durch Dritte öffentlich gemacht werden.

Daten-Screening/automatisierter Abgleich und Datenerhebung

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens dürfen nach dem Gesetzentwurf durch einen automatisierten Datenabgleich überwacht werden, wenn Straftaten vorbeugend bekämpft werden sollen. Das heißt auch, wenn kein konkreter Verdacht besteht. Weitere Gründe für einen automatisierten Datenabgleich sind die Aufdeckung von Pflichtverletzungen wie außerordentliche Kündigungsgründe durch die Beschäftigten sowie die Überprüfung der Einhaltung von Unternehmensregeln. Das heißt, wenn ein Unternehmen den Verdacht hat, dass in einem Unternehmen Untreue, Vorteilnahme oder Bestechlichkeit vorliegen könnten, soll der Arbeitgeber das Recht haben, die Beschäftigten auszuspionieren.

Außerdem soll die Erhebung von Daten ohne Kenntnis des Beschäftigten zur Aufdeckung und Verhinderung von Straftaten und anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen möglich sein.

Die SPD-Bundestagsfraktion will einen Datenabgleich nur dann zulassen, wenn ausgewählte Straftaten vor allem aus dem Bereich der Korruption konkret verfolgt werden. Die Datenerhebung ohne Kenntnis der Beschäftigten darf nur dann möglich sein, wenn es tatsächliche und dokumentierte Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat gibt. Bei schweren Pflichtverletzungen oder zur Prävention von Straftaten soll die Datenerhebung nicht zulässig sein.

Datenerhebung von Beschäftigten

Geht es nach Union und FDP sollen ärztliche Untersuchungen von Beschäftigten bei einem Wechsel der Tätigkeit im Unternehmen erlaubt sein. Und zwar ohne, dass es dafür einen sachlichen Rechtfertigungsgrund gibt. Es ist zu vermuten, dass diese uneingeschränkte Regelung vor allem zulasten älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht.

Das geht zu weit, und deshalb lehnt die SPD-Bundestagsfraktion diese Regelung ab.

Verarbeitung und Nutzung von Daten der Beschäftigten

Die Bundesregierung will zulassen, dass Daten von Beschäftigten ohne Mitteilung an die Beschäftigten oder den Betriebsrat an Dritte übermittelt werden dürfen. Zudem ist nicht vorgesehen, dass der Arbeitgeber bei zweckwidriger Nutzung durch Dritte haftbar gemacht werden kann.

Das ist mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht zu machen.

Videoüberwachung

Der geänderte Gesetzentwurf ermöglicht weiterhin eine Videoüberwachung als vorbeugende Maßnahme ohne zeitliche Begrenzung. Union und FDP wollen erlauben, dass Beschäftigte in einem Unternehmen zur Qualitätskontrolle, zur Wahrnehmung des Hausrechts, zur Zutrittskontrolle, zur Sicherheit der Beschäftigten, zum Schutz von Eigentum, zur Sicherung von Anlagen und zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Betriebes überwacht werden dürfen. Nur in überwiegend privat genutzten Räumen wie Toiletten oder Umkleideräumen soll Videoüberwachung verboten sein. Das heißt aber auch, dass Räume, die auch privat genutzt werden können wie Pausenräume, die auch für Besprechungen genutzt werden, per Video überwacht werden dürfen.

Zudem sollen die Arbeitgeber nicht verpflichtet werden, ihre Beschäftigten darüber aufzuklären, wann, wo und zu welchem Zweck die Videoüberwachung durchgeführt wird.

Die SPD-Bundestagsfraktion fordert das Verbot der Videoüberwachung zur Qualitätskontrolle. Auch der Schutz des Eigentums geht ihr als Begründung zu weit, denn diese Klausel kann generell angewandt werden. Deshalb soll dies auf Fälle beschränkt werden, bei denen ein besonderes Sicherheitsinteresse der Arbeitsstätte besteht, z.B. wenn besonders wertvolle oder besonders gefährliche Güter produziert werden. Ebenso sollen Arbeitgeber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zeit, Ort und Zweck der Videoüberwachung im Unternehmen mitteilen.

Die weiteren im Regierungsentwurf genannten Gründe rechtfertigen nach Auffassung der SPD keine umfassende Videoüberwachung.

Ortungssystem (GPS)

Hierzu fordert die SPD-Bundestagsfraktion, dass klargestellt wird, dass Daten aus Ortungssystemen nicht zur Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden dürfen. Diese Einschränkung fehlt im Gesetzentwurf der Regierung. Doch gerade hier ergeben sich Spielräume für den Missbrauch.

Biometrische Authentifizierung

Die Erhebung biometrischer Daten wie z. B. die Iris-Erkennung will die SPD-Bundestagsfraktion auf besonders sicherheitsrelevante Bereiche in Unternehmen einschränken. Zudem müssen die Beschäftigten einwilligen. Die biometrischen Daten sollen nur für den Zugang genutzt werden können und nicht zur Speicherung von Eingangs- und Ausgangsdaten.

Callcenter-Regelung

Beschäftigte in Callcentern sollen nach dem schwarz-gelben Gesetzentwurf weiter einer Dauerüberwachung ausgesetzt werden dürfen. Vor allem für die Verhaltens- und Leistungskontrolle soll es keine zeitliche Begrenzung geben. Eine ständige Überwachung bedeutet einen permanenten psychischen Druck auf die Beschäftigten. Deshalb ist sie nach der Rechtsprechung nicht zulässig und auch verfassungswidrig. Denn eine dauerhafte Überwachung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern widerspricht dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem regelt der Gesetzentwurf nicht, wie dauerhafte Kontrollen erfolgen sollen, wenn es den Beschäftigten erlaubt ist, Telefone oder E-Mail-Programme auch privat zu nutzen.

Eine Verhaltenskontrolle will die SPD-Bundestagsfraktion nur dann zulassen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten gibt, die auch dokumentiert sind. Generelle Überwachung in Callcentern gilt es zu verbieten.

Ab in die Schublade mit dem Regierungsentwurf

All die genannten Gründe machen deutlich, dass auch die Änderungen der Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf nicht besser machen. Damit werden eindeutig die Anliegen der Wirtschaft verfolgt. Interessen von Beschäftigten spielen für Union und FDP dabei keine Rolle. Vielmehr weitet der schwarz-gelbe Gesetzentwurf die Möglichkeiten der Überwachung und Bespitzelung aus. Die Gewerkschaft ver.di hat deshalb bereits erklärt, dass es besser ist, es beim Status quo zu belassen anstatt dieses Gesetz zu beschließen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der Gesetzentwurf wieder in der Schublade verschwindet, und dort soll er auch bleiben.

 

Anja Linnekugel