Am Mittwoch hat der Bundestag ein drittes Hilfspaket für Griechenland beschlossen. Was lässt Sie hoffen, dass es das wert war?

Oppemann: Das neue Hilfsprogramm hat eine ganz andere Qualität als die der Vorgänger. Es ist an konkrete Bedingungen geknüpft. Es geht nicht mehr bloß um das Erreichen fiskalischer Ziele. Jetzt gibt es Geld nur Zug um Zug gegen konkrete Reformschritte in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.

War die harte Haltung der Geldgeber ein heilsamer Schock für die Griechen?

Oppermann: Die Griechen haben tief in den Abgrund geschaut, als die Banken geschlossen waren. Die Rückkehr zur Drachme hätte das Land in die absolute Krise gestürzt. Aber auf diesen Schock folgt nun die Chance, Griechenland ernsthaft zu modernisieren. Ganz wichtig für das Land ist jetzt eine effektive Steuerverwaltung.

Es gibt eine CD mit tausenden Namen reicher Griechen, die keinen Cent Steuern zahlen. Warum wird die von der griechischen Regierung nicht ausgewertet?

Oppermann: In der Tat könnte der neue griechische Finanzminister Euclid Tsakalotos von seinem Amtskollegen in NRW, Norbert Walter-Borjans, einiges lernen. Der hat aus ein paar Kunststoffscheiben ein paar Millionen Euro gemacht. Ich bin mir sicher, dass Norbert Walter-Borjans bereit wäre, den Griechen Tipps zu geben, wie man so etwas angeht..

Würde ein Marschallplan Griechenland nicht viel mehr helfen?

Oppermann: Das funktioniert nur in einem effizienten Staatswesen, nicht aber in einem System des Klientelismus, von dem Griechenland derzeit noch geprägt ist. Nein, zuerst muss das Gemeinwesen dort wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Und wann passiert das?

Oppermann: Ich setze große Hoffnung in die Jugend Griechenlands, die das verrottete System satt hat und einen Neuanfang will. Wenn in einem Unternehmen, einer Partei oder einem Staat 30 Prozent grundlegende Veränderungen wollen, dann ist eine kritische Masse erreicht, die viel bewegen kann.

Ein schönes Stichwort. Wenn also 30 Prozent der SPD-Mitglieder der Meinung sind, Sigmar Gabriel ist nicht der richtige Kanzlerkandidat, dann kippt das?

Oppemann: Netter Versuch, in eine Diskussion einzusteigen, die nicht auf der Tagesordnung steht.

Halt! Es war Schleswig-Holsteins SPD-Ministerpräsident Torsten Albig, der gesagt hat, Frau Merkel sei so gut, da könne die SPD gleich auf einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten.

Oppermann: Ich bin sicher, dass Torsten Albig seine Äußerungen inzwischen bedauert.

Aber er hat doch im Grunde Recht.

Oppermann: Nein. Niemand ist unangreifbar. Auch Frau Merkel nicht. Selbstverständlich wird die SPD 2017 mit einem eigenen Kanzlerkandidaten antreten. Der Schwelle zum Kanzleramt liegt bei 30 Prozent plus X. Das ist doch zu  schaffen! Im übrigen: Wir sind die erfolgreichste Partei Deutschlands. Wir sind in 14 Landesregierungen beteiligt, wir stellen neun Ministerpräsidenten und in fast allen großen Städten den Oberbürgermeister, neuerdings auch in Düsseldorf.

Kann Gabriel Kanzler?

Oppermann: Natürlich!!

Das wollten wir nur hören. Aber gibt es nicht einen Unterschied zwischen Kanzler können und zum Kanzler gewählt werden?

Oppermann: Die drei Bundeskanzler der SPD sind gewählt worden und konnten es sehr gut. Umgekehrt ist es aber auch so: Nicht alle Kanzler, die gewählt wurden, konnten es.

Was würde die SPD anders machen, wenn sie den Kanzler stellen könnte?

Oppermann: Wir müssen zum Beispiel noch viel stärker in Bildung investieren. In ein lückenloses System von der Kita über die duale Weiterbildung bis zur Hochschule. NRW geht da ja schon mit gutem Beispiel voran.

Beitragsfrei?

Oppermann: Beitragsfrei in den Stufen, in denen das finanziell möglich ist. Wir haben im Bundeshaushalt momentan Überschüsse.

Davon merken die Länder aber nichts, die unter der finanziellen Last zur Unterbringung hunderttausender Flüchtlinge stöhnen.

Oppermann: Der Bund hat für dieses Jahr eine Nothilfe von einer Milliarde bewilligt. Aber das wird nicht reichen. Wir wollen, dass der Bund dauerhaft in die Flüchtlingsfinanzierung einsteigt, weil das keine kommunale sondern eine nationale Aufgabe ist. Da müssen wir uns eher auf mindestens zwei Milliarden einstellen.

Reicht das?

Oppermann: Bei der Flüchtlingspolitik stehen wir eindeutig vor der größten Herausforderung seit Jahren. Deshalb brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung. Die Integration von allein einer Dreiviertelmillion Menschen in diesem Jahr kann nur gelingen, wenn Bund, Länder, Kommunen und die Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen. Wir gewinnen zurzeit weltweit enorme Anerkennung und Sympathie, weil wir die Flüchtlinge  aufnehmen und anständig behandeln. Die große Hilfsbereitschaft von vielen privaten Initiativen und Einzelpersonen müssen wir unbedingt erhalten. Das kann aber nur gelingen, wenn die Leute das Gefühl behalten, die Politik hat die Lage im Griff.

Hat sie das?

Oppermann: Wir sind ein starkes Land und wir schaffen das! Trotzdem müssen wir  unbedingt die Asylverfahren beschleunigen. Wenn 99 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien anerkannt werden und 99 Prozent der Flüchtlinge aus Albanien abgelehnt werden, dann muss es doch möglich sein, in beiden Fällen sehr schnell zu entscheiden! Im Schnitt dauert es im Moment trotzdem noch über 5 Monate. Das ist zu viel! Wir haben deshalb 1000 zusätzliche Stellen geschaffen, die zügig besetzt werden müssen. Weitere 1000 werden folgen. Ich habe eine Idee der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aufgegriffen und den Vorschlag gemacht, Beamte im Ruhestand zur Verstärkung zu reaktivieren. Die Reaktion war unglaublich. Ich bekomme jeden Tag Mails von Ruhestands-Beamten, die sofort bereit sind anzufangen.

Geht das so einfach?

Oppermann: Warum denn nicht?  Wir hatten eine sehr unbürokratische Regelung beim Aufbau Ost: Alle Ruhestandsbeamten aus NRW, die in den 90er Jahren in den ostdeutschen Kommunen mithalfen, haben einfach 2000 Mark im Monat netto bekommen, anrechnungsfrei quasi als Aufwandsentschädigung. Wir sollten prüfen, ob wir diese Regelung übergangsweise wieder einführen können, damit wir endlich den Stau bei den Asylverfahren abarbeiten können. 2000 Euro, wenn Ruheständler voll einsteigen.

Wie viele könnten das sein?

Oppermann: Ich gehe von ein paar hundert Leuten aus, die keine Einarbeitung brauchen und sofort loslegen könnten.

Aber Deutschland allein kann den Ansturm nicht bewältigen.

Oppermann: Das ist richtig. Das Dublin-Abkommen, wonach der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss, ist kollabiert. Wir brauchen eine neue Flüchtlingsordnung in Europa. Es wäre eine Schande, wenn sich einige EU-Länder weiterhin davonstehlen. Ich finde, dass Deutschland und Frankreich eine entsprechende gemeinsame Initiative starten sollten, um zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu kommen.

Hierzulande entstehen immer mehr Zeltstädte für Flüchtlinge. Wie soll das im Winter werden?

Oppermann: Zeltstädte sind unseres Landes nicht würdig. Wir benötigen vernünftigen Wohnraum und das sofort: Unterkünfte in Schnellbauweise, umgerüstete Kasernen. Es kann doch nicht sein, dass Flüchtlinge im Zelt leben müssen, weil eine ehemalige Kaserne erst mit Trittschallschutz und dreifach verglasten Fenstern ausgestattet werden und dass auch noch europaweit ausgeschrieben werden muss. Unsere strengen nationalen und europäischen Bauvorschriften haben im Normalfall ihre Berechtigung, aber wir sind in einer besonderen Situation. Da kommen wir um eine  drastische Entbürokratisierung nicht herum, wenn wir das Unterbringungsproblem rasch lösen wollen. Größere Bauvorhaben müssten wir eigentlich europaweit ausschreiben, aber die Zeit haben wir nicht. Das muss ratzfatz gehen, und deshalb brauchen wir Dispens von der EU.

Muss sich Deutschland, muss sich Europa stärker militärisch engagieren, um Konfliktländer zu befrieden, damit weniger Menschen zur Flucht gezwungen werden?

Oppermann: Nein. Es ist keine Option, die Ursachen von Flucht militärisch zu bekämpfen. Wir unterstützen natürlich die internationale Allianz gegen den IS. Aber von einer direkten militärischen Intervention in Syrien im Sudan oder in Eritrea kann man nur abraten. Aber der Minister für Entwicklungszusammenarbeit hat einen deutlich höheren Etat bekommen, mit dem er viel zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen könnte.