Europol und Bundeskriminalamt schlagen Alarm, berichten von immensen Schäden durch organisierten Pflegebetrug vor allem von russischen Banden. Welches Ausmaß haben diese Fälle?

Karl Lauterbach: Diese Dimension des Betruges überrascht auch Fachleute. Sollte sich bestätigen, dass es hier um Milliardenschäden geht, wäre das ein ganz anderes Ausmaß als alles, was wir bisher gekannt haben. Neu ist auch, dass es sich hier um Banden aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität handelt. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wäre das einer der größten Betrugsskandale im Gesundheitswesen der vergangenen Jahrzehnte. Hier muss dringen und gründlich aufgeklärt werden.

Welche Konsequenzen muss es jetzt geben?

Im Pflegebereich stehen wird grundsätzlich vor dem Problem, dass zwar viel kontrolliert wird, aber oft das Falsche. Es gibt jede Menge bürokratische unnötige Routine-Kontrollen der Einrichtungen und des Personals. Wir brauchen unangemeldete und gezielte Prüfungen der Qualität der Leistungen und Abrechnungen, aber auch der Identitäten des Pflegepersonals. Bei der jetzt anstehenden Überarbeitung des Pflege-TÜV muss hier dringend gehandelt werden. Es muss sichergestellt werden, dass das, was im Pflegeheim passiert, auch mit dem übereinstimmt, was auf dem Papier steht. 

Europol spricht davon, dass geringes Entdeckungsrisiko und niedrige drohende Strafen den Pflegebetrug für die Täter aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität attraktiv machen würden. Braucht es mehr Ermittler und schärfere Gesetze?

Auf jeden Fall müssen Kontrollen und Ermittlungen verstärkt werden. Dazu wird auch das Antikorruptionsgesetz beitragen, das der Bundestag jetzt verabschiedet hat. Dazu gehört unter anderem die Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und von spezialisierten Ermittlungsteams. Hier ist die Justiz auf dem richtigen Weg. Das Strafmaß ist aus meiner Sicht angemessen und nicht unverhältnismäßig. 

Die Gesetzlichen Krankenkassen gehen davon aus, dass durch diesen Betrug ein Schaden in Höhe von jährlich 1,25 Milliarden Euro entsteht. Ist das eine realistische Schätzung?

Es würde mich überraschen, wenn der Schaden wirklich in einer solchen Größenordnung liegen würde. Auszuschließen ist es aber nicht. Allein durch Betrugsfälle in der Intensivpflege beläuft sich der Schaden nach Überschlags-Berechnungen, die ich selbst vorgenommen habe, auf etwa hundert Millionen Euro. 

Sind hier auch die Kranken- und Pflegeversicherungen in der Verantwortung?

Wir müssen auch genau prüfen, welche Rolle die Kassen hier spielen und welche Verantwortung sie tragen. Die Versicherungen sind nicht darauf vorbereitet, mit Organisierter Kriminalität umzugehen. Dafür bedarf es spezieller polizeilicher Ermittlungstechniken. Wir sollten jetzt die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten. 

Welche Konsequenzen wird die Politik jetzt ziehen?

Wir werden die Informationen und die Ermittlungsergebnisse gründlich auswerten. Natürlich werden sich auch die Bundestagsfraktionen und die zuständigen Ausschüsse mit diesen Betrugsfällen beschäftigen. Die Zusammenhänge sind hier sehr komplex. Das muss auf jeden Fall vollständig aufgeklärt und rigoros unterbunden werden.