Frage: Herr Oppermann, wir haben gerade die langweiligste Regierungserklärung aller Zeiten erlebt. Funktioniert Parlamentarismus mit einer 80-Prozent-Mehrheit noch?
Thomas Oppermann: Unser Parlament kann auch bei großen Mehrheiten funktionieren. Darunter muss die Debattenkultur nicht leiden. Deswegen haben wir der Opposition deutlich mehr Redezeit gegeben, als ihr nach ihrer Größe zustehen würde. Nun ist es an Linken und Grünen, daraus auch etwas zu machen.
Frage: Hat die Große Koalition das nicht noch durch den schwarz-roten Rede-Marathon befördert, bei dem jeder Minister seine eigene Regierungserklärung abgeben durfte?
Oppermann: Das ist am Anfang der Wahlperiode übliche Praxis. Wenn die einzelnen Minister die Pläne ihrer Ressorts vorstellen, ist das auch eine Chance für die Opposition. Sie kann sofort ihre Alternativen dagegen setzen.
Frage: Von einer Stunde Redezeit im Parlament entfallen auf die Opposition gerade einmal zwölf Minuten.
Oppermann: Reden über sechs oder zwölf Minuten sind oft wirkungsvoller als Reden über 15 oder 20 Minuten. Im Augenblick leidet die Opposition nach meinem Eindruck nicht unter mangelnder Redezeit, sondern unter fehlenden Inhalten. Das ist auch bei kurzer Redezeit schwer zu überspielen.
Frage: Das Reglement kann also so bleiben?
Oppermann: Ja. Vielleicht brauchen Linke und Grüne noch etwas Zeit, sich auf die neuen Regeln einzustellen. Die sollten wir ihnen geben.
Frage: Frankreichs Präsident Hollande preist die deutschen Agenda-Reformen. Mehr Gerhard Schröder und Peter Hartz lautet sein Rezept, damit es mit Frankreich wieder aufwärts geht. Macht das die SPD stolz?
Oppermann: Es zeigt, wie weitsichtig wir mit Kanzler Gerhard Schröder in der rot-grünen Bundesregierung waren. Wir haben die anstrengenden Reformen rechtzeitig vorangetrieben. Das ist der Grund dafür, dass Deutschland heute wirtschaftlich so gut dasteht. Ohne die Reformen von Gerhard Schröder hätten wir niemals einen so robusten Arbeitsmarkt bekommen.
Frage: Warum legt dann die schwarz-rote Koalition jetzt bei der Rente den Rückwärtsgang ein?
Oppermann: Wenn jemand nach 45 harten Arbeitsjahren mit 63 ohne Einbußen aufhören darf, ist das kein Rückwärtsgang. Das ist fair und gerecht gegenüber denen, die unsere umlagefinanzierte Rente überhaupt erst ermöglichen.
Frage: Aber Schröder als Vater dieser Reformen spricht von einem „absolut falschen Signal“. Irritiert Sie das nicht?
Oppermann: Nein. Allerdings darf die Rente nach 45 Beschäftigungsjahren nicht zur Frühverrentung missbraucht werden. Dafür können die Arbeitgeber am besten selbst sorgen. Wenn nötig, werden wir das mit geeigenten Maßnahmen unterbinden
Frage: Haben Sie schon Ideen, wie das gehen könnte?
Oppermann: Wir werden in der Gesetzesberatung eine verfassungskonforme Lösung finden.
Frage: Schröder sorgt sich weniger um möglichen Missbrauch, sondern um die Finanzierbarkeit.
Oppermann: Zu Recht. Denn selbstverständlich darf die Rentenreform nicht zu Lasten künftiger Generation gehen. Deshalb finanzieren wir sie nicht auf Pump, sondern nutzen dafür zunächst die Beitragsüberschüsse. Später erhöhen wir den Zuschuss aus Steuermitteln. Außerdem investieren wir kräftig in Bildung, Forschung und Infrastruktur, damit die Jungen auch in 20, 30 Jahren von einer starken Wirtschaft profitieren können
Frage: Aber so weit geht die Generationengerechtigkeit nicht, dass auch das Bafög erhöht wird.
Oppermann: Auch das wird es in dieser Legislaturperiode geben, sobald die Spielräume da sind.
Frage: Ab 1. Januar 2015 soll der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro gelten. Für alle?
Oppermann: Für alle, so ist es vereinbart. Abweichende Regelungen in der Übergangsphase kann es nur durch Tarifverträge geben. Ab 1. Januar 2017 gilt der Mindestlohn dann endgültig für alle Arbeitnehmer in diesem Land.
Frage: Auch für Studenten, Rentner, Minijobber, Taxifahrer, Zeitungsausträger, Saisonarbeiter? Die Union will diese Gruppen ausnehmen.
Oppermann: Ein Mindestlohn macht nur Sinn, wenn er nicht mit neuen findigen Geschäftsmodellen unterlaufen werden kann. Sonst würde ja wieder ein neuer Niedriglohnsektor entstehen. Nehmen wir die Gastronomie: Werden etwa Studierende ausgenommen und nur mit 6,50 Euro bezahlt, dann hätten wir einen gespaltenen Arbeitsmarkt. Das schafft mehr Probleme, als es löst.
Frage: Was passiert, wenn nicht nach Zeit, sondern nach geleisteter Arbeit bezahlt wird?
Oppermann: Bei Zeitungsausträgern beispielsweise muss der Stücklohn so gestaltet werden, dass man bei angemessener Arbeitsleistung auf 8,50 Euro kommt. Das Gleiche gilt für Provisionen im Taxigeschäft. Die Provision muss so ausfallen, dass eine dem Mindestlohn vergleichbare Vergütung erreicht wird.
Frage: Sie haben die Welt per Twitter wissen lassen: „GroKo funktioniert!“ Sind Sie inzwischen beim Du angekommen mit Ihrem Amtskollegen Volker Kauder, so wie einst Peter Struck in der Vorgänger-GroKo?
Oppermann: Viele Abgeordnete pflegen im Bundestag ein kollegiales Du. So halten es auch Volker Kauder und ich. Wir beide müssen gut zusammenarbeiten, damit die Regierung erfolgreich ist und von der Mehrheit im Parlament unterstützt wird. Aber wir sind kein Abnickverein. Wir werden dafür sorgen, dass die Abgeordneten Einfluss auf die Entscheidungen haben.
Frage: Und der „Volker“ geht Ihnen dabei leicht über die Lippen?
Oppermann: Ja, er ist ein angenehmer Zeitgenosse. Ich schätze seine professionelle Art, Politik zu machen. Da sind wir auf einer vergleichbaren Wellenlänge.