Herr Oppermann, wieso braucht das Rentensystem eine Inventur?

Der demografische Wandel sorgt für Reformdruck. Für das nächste Jahrzehnt ist die Alterssicherung mit den bisherigen Reformen stabil aufgestellt. Aber keine Reform hat eine Ewigkeitsgarantie. Zehn Jahre später ist es Zeit zu prüfen, ob alles wirklich so gekommen ist, wie damals angenommen. Das betrifft die Entwicklung am Arbeitsmarkt wie auch die Renditeversprechen der Versicherungswirtschaft für die private Altersvorsorge. Und natürlich müssen wir die demographische Entwicklung weiter im Auge behalten. Denn demnächst scheiden die „Babyboomer“, also die geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1970, aus dem Berufsleben aus.

Sind die Warnungen vor einer drohenden Altersarmut übertrieben?

Den meisten Rentnern geht es heute relativ gut. Nur drei Prozent beziehen Leistungen aus der Grundsicherung beziehungsweise aus der Sozialhilfe. Die Rente ist ein Spiegel des Erwerbslebens. Sie kann nicht alles rückschauend reparieren. Aber es darf nicht sein, dass es sich für kleine Einkommen gar nicht lohnt in die Rentenkasse einzuzahlen.

Was wollen Sie dagegen tun?

Diejenigen, die gearbeitet haben müssen, mehr bekommen als die, die nicht gearbeitet haben. Deshalb wollen wir Arbeitnehmer, die 35 oder 40 Jahre Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, durch einen steuerfinanzierten Zuschuss deutlich über die Sozialhilfe heben.

Will die SPD auch das allgemeine Rentenniveau anheben?

Das allgemeine Rentenniveau liegt heute bei etwa 48 Prozent des Nettolohns. Es muss das Bestreben der Politik sein, einem weiteren Absinken entgegen zu wirken. Dazu müssen wir uns auf drei Dinge konzentrieren. Erstens: Hohe Renten gibt es nur mit einer starken, wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Deshalb sind eine moderne Infrastruktur und erfolgreiche Innovationen entscheidend. Zweitens sind weiterhin hohe Löhne nötig. Dazu brauchen wir eine produktive Wirtschaft mit einer Ausweitung der Tarifverträge und starke Gewerkschaften. Drittens hängt die Sicherheit der Altersvorsorge davon ab, dass wir genügend qualifizierte Arbeitnehmer, also Beitragszahler haben. Dazu müssen wir massiv in unser Bildungs- und Ausbildungssystem investieren und endlich ein Einwanderungsgesetz verabschieden, mit dem wir junge, gut ausgebildete Menschen mit Sprachkenntnissen gewinnen.

Die Große Koalition hat die Angleichung der Rentensysteme in Deutschland versprochen. Ist das noch verhandelbar?

Nein. Bis 2020 – also dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung – wollen wir die Rentenwerte in Ost und West angleichen. Wir wollen Ost-Rentnerinnen und Rentnern 100 Prozent des Westwerts geben. Das kostet uns – nach dem Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles – 5,7 Milliarden Euro. Das ist eine gute Investition in die Vollendung der deutschen Einheit und natürlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch vom Bund bezahlt werden sollte.

Kann es bei der Neuregelung nur Gewinner geben?

Bisher wurden wegen der geringeren Rente die Einkommen im Osten rentenrechtlich aufgewertet. Dies würde bei gleichen Renten in Ost und West wegfallen. Es bleiben zwar Unterschiede im Lohnniveau, aber die gibt es nicht nur zwischen Ost und West, sondern die gibt es auch zwischen Nord und Süd und anderen Teilen Deutschlands. Das kann aber nicht mit der Rente, sondern nur mit einer aktiven Strukturpolitik aufgefangen werden.

Wie flexibel soll die zukünftige Rente sein?

Nicht jeder ist gesundheitlich in der Lage, bis 65 oder länger zu arbeiten. Aber es gibt  viele Menschen, die über das Renteneintrittsalter hinaus erwerbstätig bleiben wollen. Das müssen wir möglich machen und den Übergang aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand flexibler gestalten. Das ist auch im Interesse vieler Unternehmen, die ihre erfahrenen Fachkräfte länger im Betrieb halten wollen.

Nimmt die Forderung nach stärkerer betrieblicher und privater Vorsorge den Staat aus der Verantwortung?

Nein. Betriebliche und private Altersvorsorge sind notwendige Ergänzungen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Wir werden die betriebliche Altersvorsorge so reformieren, dass auch Geringverdienern und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen davon profitieren. Außerdem wollen wir die Riester-Rente so verbessern, dass die Menschen am Ende mehr davon haben.