Die Resonanz war enorm: Über 400 Gäste aus Industrie, Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften folgten am Mittwoch der Einladung zum ersten Wirtschaftsempfang der SPD-Bundestagsfraktion. Offenbar rechne „der ein oder andere damit, wieder mit uns rechnen zu müssen“, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zur Begrüßung im überfüllten Fraktionssaal der SPD im Reichstagsgebäude.

Lieber Herr Dr. Hiesinger,
Lieber Hubertus, lieber Garrelt,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Und vor allem: Sehr verehrte Damen und Herren aus Unternehmen, Verbänden und Medien,
ich freue mich, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben! Hätte mir jemand vor 2 Jahren gesagt, dass wir bei einer Wirtschaftsveranstaltung der SPD auf die Schnelle eine Video-Übertragung in Nebenräume organisieren müssen, weil der Saal überfüllt ist – dann hätte ich wohl gesagt: Zukunftsmusik! So schön es für die SPD auch ist, so sehr ahne ich doch, dass nicht alle von Ihnen die ungebremste Leidenschaft für die Sozialdemokratie hierher bewegt hat. Eher rechnet vielleicht der ein oder andere damit, wieder mit uns rechnen zu müssen. Ich weiß natürlich, dass die meisten von Ihnen heute hier sind, weil sie ein paar Fragen an die SPD haben, vor allem: Was sagt Ihr zur Eurokrise?
Mit dem Stichwort „Krise“ will ich aber keineswegs Anlauf zum Klagelied nehmen, keine Angst! Befürchten Sie keinen aufgeregten Krisenalarmismus, der wäre fehl am Platze. Die Menschen in Deutschland gehen morgens zur Arbeit, kaufen ein, fahren in den Urlaub. Die Krise scheint uns nicht zu betreffen. Doch: Unsicherheit greift um sich! Das spüren gerade die Unternehmen früher als viele andere. Deshalb ist ein nüchterner Blick nach vorn und Vergewisserung darüber, worauf wir bauen können, richtig und notwendig.
Anrede,
Die Krise von 2008/09 haben wir überwunden. Die Auftragsbücher der meisten Unternehmen sind voll wie im Vorkrisenjahr 2007/2008. Im schwierigsten europäischen Umfeld ist unsere Wirtschaft im vergangenen Jahr – ganz gegen den Trend, sogar um 3% gewachsen. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Und mit mehr als 41 Millionen Menschen in Arbeit haben wir Rekordbeschäftigung! Warum ist das so? Weil wir entgegen aller Moden an industrieller Produktion festgehalten und damit hochwertige Arbeitsplätze erhalten haben. Und weil wir rechtzeitig Strukturreformen am Arbeitsmarkt gewagt haben, die andere Länder jetzt nachholen müssen. Leider unter ungleich schwereren Ausgangsbedingungen.
Ich erinnere mich nur zu gut, dass vor 10 Jahren die Missionare der Finanzmärkte der ganzen Welt hier bei uns unterwegs waren, um uns in Deutschland zu überzeugen, dass wir aufs falsche Pferd setzen. Gewerbliche Produktion in Europa, das ist Nostalgie, das ist Old Economy – hieß es. Dienstleistung und Finanzdienstleistung, das war die Heilslehre, die in London und Davos verkündet wurde. Verstehen Sie mich nicht miss! Eine moderne Volkswirtschaft braucht eine Finanzwirtschaft. Aber in dienender Funktion, als Unterstützung und nicht zum Selbstzweck. Die Wertschöpfung muss Vorrang haben vor der Wertabschöpfung durch die Finanzmärkte. Und da sind wir weltweit in ein gefährliches Ungleichgewicht gekommen, das wir korrigieren müssen.
Wir brauchen wieder Vernunft, Innovationen, reale Wertschöpfung. Oder um es in den Worten des industriepolitischen Konzepts der SPD-Bundestagsfraktion zu sagen: „It’s the real economy, stupid!“
Dieses Impulsprogramm für Investitionen soll die Standortbedingungen für die Industrie in Deutschland verbessern. Wir zeigen in dem Papier auf, welche Schwerpunkte wir bei dem Ausbau der Infrastruktur setzen wollen. Und wir zeigen darin, wie wir den Ausbau eines „intelligenten Energienetzes“ schaffen wollen, das auf den Ausbau erneuerbarer Energien hin angelegt ist.
Beim Stichwort „Energie“ – oder besser „Energiewende – muss ich mich trotz meines bekanntlich gelassenen Naturells immer etwas beherrschen. Wir hatten ja eigentlich die Energiewende schon. Sie war vor über zehn Jahren verhandelt. Von rot-grün durchgesetzt, mit Augenmaß und Realismus!
Das jetzige Energiechaos droht vor die Wand zu fahren. Schauen Sie allein auf das Beispiel Energienetze: Energienetze sind so etwas wie das Nervensystem einer hochentwickelten Industriegesellschaft ist. Wenn das nicht funktioniert – und genau darauf steuern wir gerade zu – , gerät das ganze System in Gefahr. Der ganze Bereich hochtechnologischer Produktion – und davon leben wir – funktioniert nur bei absolut schwankungsfreier Energieversorgung – in der Chemie, bei der Metallurgie und anders wo!
Das gleiche Spiel bei der energetischen Gebäudesanierung. Die wäre nicht nur eine sinnvolle Maßnahme für den Klimaschutz, sondern vor allem auch Arbeit für das Handwerk. Auch hier steckt der Karren fest. Schuld daran sind nicht die Länder, sondern eine Bundesregierung, die Verantwortung abwälzen will. Das hilft uns nicht – und das hilft vor allem den Unternehmern unter Ihnen nicht!
Anrede,
gestern hat der Bundestag das 2. Hilfspaket für Griechenland beschlossen. Meine Fraktion hat mit großer Mehrheit für das Paket gestimmt, in der Regierungskoalition gab es eine hohe Zahl an Abweichlern, die gegen die Hilfen stimmten. Zum ersten Mal hat die Kanzlerin damit die Kanzlermehrheit verfehlt.
Ich will das hier nicht bewerten. Nur ein Wort: mit einer instabilen Koalition, die ihre Blockadespiele und Querschläger in den eigenen Reihen hat, kann für Deutschland und Europa keine Stabilität erreicht werden. Die SPD steht zu Europa. Wir stehen zum Euro. Aber die Bundesregierung ist ins Schwanken gekommen.
Erstmals hat sich gestern nicht nur ein beachtlicher Anteil der Abgeordneten der Regierungskoalition gegen die notwendigen Rettungsmaßnahmen verwehrt. Und erstmals hat mit Innenminister Friedrich ein Kabinettsmitglied Griechenland den Austritt aus der Euro-Zone nahegelegt. Wenn Frau Merkel es nicht mehr schafft, das eigene Kabinett in einer Frage hinter sich zu bringen, die sie zur Kernfrage Europas erklärt hatte, ist es kein Wunder, dass nun auch immer mehr Abgeordnete ihr nicht folgen wollen.
Anrede,
Sie kennen die Kritik meiner Fraktion am Krisenkurs von Frau Merkel: Seit zwei Jahren wird scheibchenweise immer nur Zeit gekauft, statt eine nachhaltige Lösung für die Krise auf den Tisch zu legen. Statt eines großen Wurfes kamen immer nur kleine Schritte – und die waren stets zu spät und zu kurz gesprungen. Seit zwei Jahren sagt Frau Merkel den Menschen in unserem Land nicht die Wahrheit über die Rettungsschirme ESM und EFSF. Dabei weiß doch mittlerweile jeder, dass weitere Aufstockungen wohl unausweichlich sein werden.
Statt dies zuzugeben, schnauft die Kanzlerin jedesmal erleichtert durch, wenn Herr Draghi und die EZB wieder in die Bresche springen. Sie weiß natürlich, dass damit
das Haftungsrisiko für alle steigt – aber sie schweigt lieber und lässt es geschehen. Mehr Ehrlichkeit, mehr Klarheit, mehr Wahrheit wären besser. Politik muss mit offenem Visier vor die Menschen treten, wenn sie überzeugen will. Wir müssen begründen, wo Menschen zweifeln. Wir wollen Europa stützen und wir sagen warum.
Anrede,
der Löwenanteil unserer Produkte für’s Ausland geht nicht nach Ostasien oder Amerika. 60%, in manchen Branchen sogar 80%, gehen hier in die europäische Nachbarschaft, nur 6% nach China. Und damit liegt auf der Hand: Wenn die Menschen in Frankreich, Spanien und Italien nicht mehr einkaufen gehen, wenn spanische und französische Unternehmen keine Maschinen mehr bestellen, Portugal, Polen oder Griechenland keine Straßen und Flughäfen mehr bauen, dann gehen uns allen die Aufträge und die Arbeit aus. Kurz: Es kann Deutschland nicht gut gehen, wenn es Europa schlecht geht!
Ein „Rette sich, wer kann“ ist keine Lösung! Wer auf die anderen angewiesen ist, dem kann die Not einiger unserer europäischen Nachbarn nicht gleichgültig sein. Nationaler Egoismus, Gleichgültigkeit, auch Hochmut werden bestraft. Europa muss Stabilität zurück gewinnen, wir haben größtes Interesse daran.
Nicht sparen oder investieren – sparen und investieren ist der Weg. Intelligente Konsolidierung der Euro-Staaten, das heißt Einsparungen dort, wo Verschwendung grassiert, aber auch mehr Investitionen dort, wo das Wachstum der Zukunft entsteht. Die allzu einfachen Rezepte einer selbstmörderischen Sparpolitik kommen mir wie ein Aderlass am siechenden Patienten vor.
Brauchen wir dafür Subventionen oder ein Konjunkturprogramm? Nein! Wir dürfen in einer Krise des Vertrauens in die öffentlichen Finanzen nicht einfach blind Geld auf die Probleme schmeißen und Verschuldung erhöhen. Es geht um mehr.
Wir wollen, dass die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer stabilitäts- und wachstumsorientierten Wirtschafts- und Fiskalunion ausgebaut wird. Hierzu bedarf es neben den Spar- auch Wachstumsprogramme für die überschuldeten Mitgliedstaaten.
Ein solches Wachstumsprogramm muss einher gehen mit einer europaweit koordinierten, zukunftsorientierten Industriepolitik. Die Stärkung der industriellen Basis unseres Kontinents, einhergehend mit einer Initiative für grünes Wachstum ist der Schlüssel für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung Europas!
Ich bin überzeugt: Europa braucht eine Strategie der industriellen Erneuerung. Nach Jahrzehnten der Deindustrialisierung brauchen wir eine Neuorientierung in der Realwirtschaft. Das ist auch ein Signal an die aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkte. Mehr Respekt für den gemeinsamen Prozess der Wertschöpfung. Weniger Wertabschöpfung auf Kosten der Substanz!
Meine Fraktion wird daher im diesem Jahr auf die Schuldenkrise, die im Kern eine Krise mangelnder Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder ist, mit einem industriellen Erneuerungsprogramm für Europa antworten. Modernisierungsinvestitionen, Forschung und Entwicklung, Ausbau der Infrastruktur, auch der europäischen Energienetze stehen auf die Agenda.
Ein Programm, das intelligent und ambitioniert ist. Ein Programm, das Hoffnung macht, nicht zuletzt bei den jungen Leuten ohne Arbeit.
Anrede,
Gesprächsstoff für den heutigen Abend haben wir genug. Nochmals vielen Dank, dass Sie alle hier sind. Wenn Sie aus der einen oder anderen Begegnung den Eindruck mitnehmen: „Bei der SPD wird über Deutschlands Zukunft nachgedacht“, dann hat sich unser Empfang gelohnt. Bleibt mir nur zu sagen: Kommen Sie wieder!