Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1 000 Milliarden Euro, so groß ist der Schaden, der jedes Jahr in der gesamten Europäischen Union durch Steuerbetrug und durch sogenannte innovative Steuervermeidung entsteht. 1 000 Milliarden Euro, das ist eine Eins mit zwölf Nullen. Das sind 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen und Sozialversicherungseinnahmen in den Ländern der Europäischen Union. Darüber reden wir heute. Das ist kein Randphänomen, das ist keine Bagatelle, das ist schon gar keine lässliche Sünde, und es ist auch kein Kavaliersdelikt, im Gegenteil: Das ist ein hochgiftiges Lösungsmittel, das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aufzulösen droht.
(Beifall bei der SPD)
Es ist die Pflicht dieser amtierenden Regierung, den systematischen Steuerbetrug und die legale Steuervermeidung, insbesondere von Großkonzernen, mit aller Härte zu bekämpfen.
(Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Die habt ihr vorgegeben!)
Denn das Geld fehlt für Kindertagesstätten, das Geld fehlt für Verkehrsinfrastruktur, das Geld fehlt für eine umfassende Pflegereform, das Geld fehlt, um Existenzgründung oder Existenzgründer zu fördern, das Geld fehlt, um das Programm „Soziale Stadt“ wieder auszufinanzieren, um soziale Brennpunkte in Deutschland zu vermeiden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ohne Steuerbetrug und ohne dieses Ausmaß auch an legaler Steuervermeidung durch Großkonzerne, die das Steuergefälle innerhalb der Europäischen Union ausnutzen, könnten die Steuern in der Tat niedriger sein, und man könnte trotzdem mehr investieren in die wichtigsten Zukunftsbereiche unseres Landes: Das ist Bildung, die in Deutschland deutlich unterfinanziert ist; das ist eine wirtschaftsnahe Infrastruktur, insbesondere auch mit Blick auf die Breitbandverkabelung im ländlichen Raum, vor allem für mittelständische Unternehmen; das ist insbesondere eine Verbesserung der Finanzlage der Kommunen. Man könnte vielleicht sogar nicht nur die Neuverschuldung auf null bringen, sondern man könnte einsteigen in eine Schuldentilgung. All dies wäre möglich, wenn wir sehr viel ehrgeiziger, sehr viel härter gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung vorgehen würden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist die unabweisbare Pflicht des Staates, die Steuergesetze so durchzusetzen, dass alle Bürger, nicht nur die Normalverdiener, die abhängig Beschäftigten – die auf ihrem Gehaltskonto übrigens nur ihr Nettoeinkommen sehen, nachdem ihnen der Fiskus die entsprechenden Steuern schon mit dem Staubsauger weggenommen hat –, die Steuern bezahlen müssen, die im Gesetzblatt stehen.
Ihre Regierung, Frau Merkel, hat diese Pflicht verletzt. Über vier Jahre lang hat Ihre Regierung fein unterschieden zwischen den Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die – wie gesagt – erst nach Zugriff des Finanzamts den Nettolohn auf ihrem Gehaltsstreifen sehen, also den vielen, die ihre Steuern ehrlicherweise abgeführt haben, und offenbar denjenigen, die den Eindruck haben, sie würden irgendwie über den Gesetzen dieses Landes stehen und es sei quasi ein Kavaliersdelikt, wenn nicht sogar eine Notwehrmaßnahme, am Fiskus vorbei Geld ins Ausland zu schaffen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ihr eklatantestes Versagen – da spreche ich Sie persönlich an, Herr Schäuble – ist der Entwurf eines Steuerabkommens mit der Schweiz, das nur wegen der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat gestoppt worden ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])
Statt auf den automatischen Informationsaustausch zu drängen – übrigens mit einem gleichgelagerten Nachdruck, wie die USA es gemacht haben –,
(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: So wie Sie das gemacht haben!)
sollte eine Steueramnestie verbunden werden mit einer pauschalen Besteuerung.
(Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Wer hat denn die Steueramnestie verhindert?)
Das heißt, es bestand sogar die Möglichkeit, über eine pauschale Nachversteuerung sich günstiger zu stellen als zum Zeitpunkt der Steuerpflicht in Deutschland. Das wäre das Ergebnis Ihres Abkommens mit der Schweiz gewesen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
– Dass Sie deswegen ein schlechtes Gewissen haben, dass Sie jetzt nach dem Fall Hoeneß und nach den jüngsten Recherchen über Steueroasen wissen, dass Sie insoweit ein Vakuum hinterlassen – mehr als das: dass Sie dort versagt haben –, das kann ich sehr gut verstehen.
Gleichzeitig sollte nicht nur die Zahl der Fälle, die pro Jahr in der Schweiz nachgeprüft werden dürfen, begrenzt werden, nein, viel mehr als das: Es sollte sogar ein Verbot geben; die deutschen Behörden und insbesondere die Staatsanwaltschaften und die Steuerfahndung sollten daran gehindert werden, Steuer-CDs aufzukaufen. So schamlos sollte in Deutschland noch nie Steuerbetrügern geholfen werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie waren es mit diesem Abkommen, die deutsche Behörden daran hindern wollten, über den Aufkauf von Steuer-CDs das größte Druckmittel auszuüben, ein Druckmittel, das eine größere Steuertransparenz und Steuerehrlichkeit in Deutschland hergestellt hätte. Anschließend kommen Sie unter dem Druck der öffentlichen Debatte auf die Idee: Wir wollen jetzt ein Steuer-FBI begründen. – Warum haben Sie denn nicht vorher gegenüber der Schweiz durchgesetzt, dass deutsche Staatsanwaltschaften und Steuerfahndungen in der Lage sind, diesen Druck weiter auszuüben?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wie war das denn eigentlich im letzten Jahr vor dem Fall Hoeneß? Noch im August des letzten Jahres mussten wir uns doch von Herrn Schäuble anhören, es gibt kein ernst zu nehmendes Argument gegen das Abkommen. Im Bundestag haben Sie unsere Ablehnung dieses Steuerabkommens mit dem Ausdruck des Abscheus und der Empörung als billige Polemik bezeichnet. Würden Sie das heute noch einmal wiederholen, bitte?
(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Natürlich!)
– Dann sind Sie ja noch im selben Striemel drin wie damals.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Merkel hat das Steuerabkommen noch kurz vor Weihnachten als ein – ich zitiere – „richtiges und gutes Steuerabkommen“ gelobt. Das Gegenteil ist richtig. Mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen von Frau Merkel und Herrn Schäuble wären Steuerbetrüger im großen Stil davongekommen. Hätten Sie doch nur ansatzweise einmal den Druck ausgeübt, den amerikanische Regierungen und amerikanische Behörden auf die Schweiz ausgeübt haben. Das wäre etwas gewesen, was ich heute sogar gelobt hätte.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Hoeneß hat im Frühjahr an den Focus geschrieben – nachvollziehbar und nachlesbar –, er habe die „Angelegenheit“, womit er einen Steuerbetrug von mehreren Millionen bezeichnete, ursprünglich über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen regeln wollen, das dann – Zitat von ihm – „bekanntlich Mitte Dezember nicht zu Stande gekommen“ ist.
Was soll man dazu sagen? Das spricht doch für sich. Herr Hoeneß hat auf Ihre Regierung, Frau Merkel und Herr Schäuble, und auf Ihr Zitat, das sei schon ein richtiges und gutes Steuerabkommen, vertraut.
(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal zum Thema! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das hat mit dem Thema zu tun!)
Er hat darauf vertraut, dass sein Steuerbetrug niemals herauskommt. Das haben viele andere Tausend Steuerbetrüger übrigens auch.
(Johannes Selle [CDU/CSU]: Sie hätten zahlen müssen!)
Nach den Handelsblatt-Angaben geht es alleine im Fall von Herrn Hoeneß um ungefähr 3 Millionen Euro. Einige schätzen sogar, dass es mehr als 3 Millionen Euro sind.
Insgesamt belaufen sich die Steuerausfälle in Deutschland allein aus Steuerbetrug auf jährlich circa 30 Milliarden Euro. Wenn ich die legale Steuervermeidung, der immer noch kein Riegel vorgeschoben worden ist, hinzufüge, dann sind es insgesamt 180 Milliarden Euro, die dem Fiskus und damit für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben verloren gehen.
(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Warum habt ihr das nicht geändert?)
Nun ist die Frage: Was macht die Regierung von Frau Merkel? Sie versucht, die Leute laufen zu lassen, und wirft mir vor – namentlich auch Sie immer, Herr Schäuble –, ich hätte mich mit dem Begriff „Kavallerie“ nicht sehr diplomatisch verhalten.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das haben Sie nie beherrscht!)
Hätten Sie doch bitte nur einmal eine ähnlich klare Sprache gefunden, eine Sprache, die bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung nicht folgenlos bleibt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Folgenlos war auch Ihre Aussage! – Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sie haben auch nichts erreicht!)
Sie wollten elegant verhandeln und sich von demjenigen ein bisschen absetzen, der vorher eine klare Sprache gefunden hat. Ich sage Ihnen: Diplomatie bei Steuerbetrug heißt, dass Sie immer noch davon ausgehen, das sei ein Kavalierdelikt und deshalb müsste man sich diplomatisch verhalten. Das ist aber nicht der Fall.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch Blödsinn! Sie reden doch Quatsch! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie haben in Ihrer Zeit nichts gemacht!)
Außer der Bundesregierung gibt es noch zwei weitere Regierungen in Deutschland, die, wie Sie, Steuerbetrug offenbar als Kavaliersdelikt ansehen, nämlich die schwarz-gelben Regierungen in Hessen und in Bayern. Nicht die SPD, sondern der Bayerische Oberste Rechnungshof hat festgestellt, dass es in Bayern – ich zitiere wörtlich – zu „massiven Steuerausfällen“ kommt, weil ein – ich zitiere wieder – „erheblicher Personalmangel“ besteht.
Bayern ist bei der Personalausstattung im Ländervergleich absolutes Schlusslicht. Laut Bayerischem Obersten Rechnungshof und nicht irgendwelcher ausgedachter Zahlen meiner Partei fehlen in Bayern etwa 700 Stellen bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Darüber hinaus gibt es weitere 1 000 unbesetzte Stellen in anderen Bereichen der Steuerverwaltung in Bayern. Das hat doch System! Das fällt jedenfalls auf.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Einerseits will Ihr Finanzminister, dass der Ankauf von Steuer-CDs unterbunden wird, und andererseits betreibt die CSU in Bayern eine systematische Personalunterbesetzungspolitik. Wer da nicht aufmerkt, der muss ziemlich eingeschlafen sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Olav Gutting [CDU/CSU]: Deswegen geht es denen in Bayern auch so schlecht!)
Aber auch das ist noch nicht genug; denn Sie drücken nicht nur bei dem Steuerbetrug beide Augen zu, sondern Sie haben für international aufgestellte Konzerne mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz auch noch die Steuervermeidung erleichtert.
(Joachim Poß [SPD]: Ja! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was?)
– Ja. – Sie haben nämlich zum einen die Zinsschranke aufgehoben.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aufgehoben?)
Die Unternehmen können jetzt Zinsausgaben aus dem Ausland wieder als volle Ausgaben geltend machen. Damit haben Sie ein riesiges Scheunentor geöffnet, um legale Steuervermeidung zu betreiben.Zum anderen haben Sie die Regeln der Hinzurechnungsbesteuerung gelockert, was bei der Gewinnverlagerung zwischen ausländischen Töchtern und inländischen Zentralen viele optimierte Verrechnungsmöglichkeiten erlaubt. Das haben Sie zu verantworten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Statt die Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Steuerbetrüger und vor allen Dingen auch die Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung zu verbessern, hätte Ihre Regierung längst auf einen automatischen Informationsaustausch in ganz Europa massiv hinwirken müssen. Sie hätten längst die Umsetzung einer neuen EU-Zinsrichtlinie vorantreiben müssen. Sie hätten längst sich auf internationaler Ebene für neue schwarze Listen einsetzen müssen, so wie uns das gemeinsam 2009 in der Großen Koalition gelungen ist. Sie hätten längst die Doppelbesteuerungsabkommen mit Steueroasen neu verhandeln müssen. Sie hätten längst die Straffreiheit bei Selbstanzeigen nach einer Übergangsfrist auf Bagatellfälle begrenzen müssen. Sie hätten längst die Verjährungsfristen bei Steuerbetrug auf einheitlich zehn Jahre verlängern müssen. Sie hätten längst die Beihilfe von Finanzinstituten zum Steuerbetrug über ein Unternehmensstrafrecht bestrafen müssen. Sie hätten längst die Bundesländer auffordern müssen, eine bundesweite Steuerfahndung aufzubauen.
(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat elf Jahre lang mit seiner SPD nichts gemacht! Nichts gemacht hat er! – Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Was hat denn Rot-Grün gemacht?)
– Ich merke, da sind Sie empfindlich. Da merkt man, dass Sie nicht sehr glaubwürdig sind. Da merkt man, dass Sie drei Jahre lang nichts gemacht haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie hätten längst für eine stärkere Harmonisierung in Europa bei der Steuerbemessungsgrundlage eintreten können.
(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat nichts gemacht! Das ist super! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
– Der Lärm von Ihnen soll darüber hinwegtäuschen. Treffer, gesunken! Wir haben Sie bei diesem Thema schon am Wickel.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie hätten längst die Hinzurechnungsbesteuerung verschärfen müssen, um Gewinne ausländischer Töchter von deutschen Unternehmen als inländische Gewinne besteuern zu können.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Hätte, hätte, Fahrradkette!)
Von all dem ist nichts geschehen.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Können Sie auch mehr als ablesen?)
– Wir vergleichen gerne Ihre und meine rhetorischen Möglichkeiten. Das können wir machen.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
– Komisch, da sind Sie schon wieder nervös. – Das, was Sie im Bereich der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug betrieben haben, ist in den letzten drei Jahren so schwach gewesen, dass Sie jetzt, wenige Monate vor der Bundestagswahl, merken: Da ist ein ziemlich großes Lindenblatt auf unserem Rücken. – Das merkt man auch an Ihrer Reaktion.
Sie sind die Parteien, die die geringste Glaubwürdigkeit bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug in Deutschland haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das wird eine Regierung unter meiner Führung ab September dieses Jahres ändern. Bleiben Sie nervös! Das freut mich sehr.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)