In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestages am 15. Dezember 2016 zieht der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bilanz und verweist auf die Fortschritte und Entwicklungen in Afghanistan in den vergangen Jahren aber auch auf die Rückschläge und verbleibenden Probleme. Niels Annen begrüßt es, dass die Bundesregierung diejenigen Kräfte, die sich in Afghanistan für eine Versöhnung einsetzen, unterstützt. Der Bundeswehreinsatz leiste in diesem Kontext einen wichtigen Beitrag.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 5. Dezember 2001, also fast auf den Tag genau vor 15 Jahren, ging auf dem Bonner Petersberg die erste Afghanistan-Konferenz zu Ende. Einige werden sich an die Debatten noch erinnern. Es gab so etwas wie eine Aufbruchstimmung. Man darf auch nicht vergessen: Die afghanische Bevölkerung hatte damals schon auf 20 Jahre Krieg zurückgeblickt. Aber wenn wir heute über Resolute Support diskutieren und beschließen werden, dann gehört es zu unserer Verantwortung, dass wir eine ehrliche Bilanz ziehen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Oh ja!)

Die Erwartungen, die damals im Land herrschten, der Enthusiasmus, haben sich nicht realisieren lassen. Das ist ein Teil der Ernüchterung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Leider prägen immer noch Gewalt und Angst vor Unsicherheit den Alltag der Menschen in Afghanistan. Auch das Thema Korruption beschäftigt unsere Kolleginnen und Kollegen im afghanischen Parlament. Es gibt in Teilen des Landes ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit. Das drückt sich in der Tatsache aus, dass Menschen Afghanistan verlassen. Ich komme aus Hamburg und vertrete einen Wahlkreis mit einer der wahrscheinlich größten afghanischen Gemeinden in Deutschland und in ganz Europa.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Der Abschiebung, ja!)

Trotzdem ist es richtig – das ist auch ein Teil der Debatte, die wir führen müssen –, dass es seit 2001 wichtige Fortschritte in Afghanistan gegeben hat. Es gibt zumindest in den großen Städten freie Medien. Es gibt Debatten. Es gibt politische Demonstrationen. Das ist für uns nichts Besonderes, aber für die afghanische Kultur ist das bemerkenswert.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist wahr!) 

Sie prägen damit auch das afghanische Gemeinschaftsgefühl, den Zusammenhalt dieser zerrissenen Gesellschaft.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt!)

Dies ist ein Teil der Realität. Deswegen möchte ich das auch ansprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Ich will hier keinen Katalog herunterbeten, aber erwähnen muss man das schon, wenn wir über Afghanistan diskutieren. Es gibt auch Erfolge im Kampf gegen Analphabetismus, gegen Armut, gegen fehlende medizinische Versorgung. Vor allem in den großen Städten – auf dem Lande bleiben große Defizite – gibt es Zugang zu Bildung in einer Art und Weise, wie es das in der afghanischen Geschichte niemals gegeben hat.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den Rückschlägen, über die wir miteinander diskutiert haben, darf ich daran erinnern, dass wir über ein Bundestagsmandat zu entscheiden haben, dessen Charakter darin liegt, die afghanischen Sicherheitskräfte – Armee und Polizei – zu unterstützen, zu trainieren, zu beraten. Ich will auch daran erinnern, dass wir hier Menschenleben zu beklagen haben, auch von deutschen Soldatinnen und Soldaten, im Kampf gegen die Feinde der Demokratie in Afghanistan, die Taliban und andere Aufständische. Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist, dass die Bundesregierung die afghanische Regierung, die afghanischen Akteure, die sich für eine Versöhnung einsetzen, unterstützt. Das ist der richtige Weg für Afghanistan. Nach so vielen Jahren Krieg wissen wir doch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass es am Ende nur eine politische Lösung geben kann.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ihr tut ja nichts!)

Deswegen finde ich es erfreulich, auch wenn es nur einen kleinen Teil der Aufständischen betrifft, dass wir trotz der Schwierigkeiten, mit denen unsere Kolleginnen und Kollegen in Kabul konfrontiert sind, mit dem jüngst abgeschlossenen Abkommen mit Herrn Hekmatjar sehen, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, Gewaltakteure in den politischen Prozess zu integrieren. Ich bin mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Taliban werden das, was dort vereinbart worden ist, sehr genau beobachten. Umso wichtiger ist es natürlich, dass jetzt die Versprechen, die vonseiten der afghanischen Regierung gemacht worden sind, eingehalten werden.

Ich will hier an diesem Podium auch sagen: Präsident Ghani und CEO Abdullah, die beiden beherrschenden politischen Figuren des Landes, haben, nicht weil unsere Hilfen konditioniert sind – sie sind es übrigens aus gutem Grund –, sondern aus eigener Initiative, ihrer Bevölkerung große Versprechen gemacht. Ein Land, das sich im Kriegszustand befindet, kann nicht alles eins zu eins umsetzen. Aber vieles ist nicht umgesetzt worden, weil die beiden sich nicht verständigen konnten, weil die Umfelder dieser beiden wichtigen Politiker nicht zusammengearbeitet, nicht kooperiert haben. Das hat zur aktuellen Instabilität und Unsicherheit beigetragen. Wir erwarten von Präsident Ghani und von Herrn Abdullah, dass die Versprechen, die sie ihren eigenen Menschen gegeben haben, eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann muss sich auch jeder in Afghanistan darauf verlassen können, dass wir mithelfen – mit Resolute Support, um die Sicherheitskräfte auf ihre schwierige Aufgabe in diesem Umfeld weiter so professionell wie möglich vorzubereiten, aber eben auch mit den Zusagen, die wir in Brüssel gemacht haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zum Schluss, weil das ja nun die Debatte ist, die wir hier alle miteinander führen, doch noch ein Wort zur aufgeregten Diskussion über die Abschiebungen sagen. Eines ist doch in der Tat richtig: Afghanistan ist kein sicheres Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum schiebt ihr ab?)

Man kann zur Sicherheit in Afghanistan keine pauschale Aussage treffen. Ich kenne übrigens auch kein Gerichtsurteil, das zu einem solchen Ergebnis kommt.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber?)

Ich glaube, trotzdem ist es richtig, dass es, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, zurückzuschicken. Ich sage „grundsätzlich“,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr konkret wird zurückgeschickt!)

weil ich das mit einem Appell verbinden möchte: Ich erwarte, dass die Gerichte, aber auch das BAMF weiterhin sehr sorgfältig jeden Einzelfall prüfen. Ich warne vor dem Populismus, den ich aus Bayern höre, wo es heißt, man könne jetzt Tausende von Menschen nach Afghanistan abschieben. Das hätte mit der Realität und übrigens auch mit der Rechtslage nichts zu tun.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Man darf niemanden nach Afghanistan abschieben!)

Gerade Menschen, die hier unsere Sprache sprechen, die gut integriert sind, sollen weiter bei uns eine Perspektive haben. Also lassen Sie uns keine populistische, sondern eine an der Sache orientierte Debatte führen. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)