Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute beginnt die entscheidende Phase der guten deutsch-kroatischen Zusammenarbeit auf dem Weg Kroatiens in die Europäische Union und in die demokratische Wertegemeinschaft.
Ich bin besonders glücklich, heute hier vor Ihnen als deutscher Bundestagsabgeordneter kroatischer Abstammung   im Herzen deutscher Verfassungspatriot und im Geiste Europäer reden zu dürfen.
(Beifall der Abg. Gabriele Molitor (FDP))

Denn heute erlebe ich zum Teil auch meinen persönlichen Triumph. Als ich vor 30 Jahren als junger Gastarbeiter in die SPD eingetreten bin, verfolgte ich zwei Ziele. Ich wollte mich auch als Gastarbeiter an der politischen Willensbildung in der Gesellschaft, in der ich lebe, beteiligen. Aber mein Traum war auch, meinen Beitrag dazu zu leisten, dass eines Tages auch das damalige Jugoslawien zur demokratischen Wertegemeinschaft dazugehört.
Leider wurde mein Traum nicht einmal zehn Jahre später zum Alptraum. Während sich die Länder des Warschauer Paktes nach dem Prinzip „Selbstbestimmung der Völker“ in Demokratien umwandelten, marschierten die Völker Jugoslawiens in den Nationalismus. Die Folge waren die schlimmsten Kriege der Jahrtausendwende. Es kam zu ethnischen Verfolgungen, zu Flüchtlingsströmen, es gab mehr tote Kinder als Soldaten.
Demokratische Werte und humanistische Gedanken wurden auch nach den Kriegen ignoriert, während gewisse politische Eliten und Nationalisten unter dem Deckmantel der nationalen Befreiung Korruption, Machtwillkür und Despotismus freie Fahrt ließen.
2003 kam dann die erlösende Wende, die Thessaloniki-Erklärung. Die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, den Westbalkan in die Europäische Union zu integrieren, und zwar nach dem Regatta-Prinzip: Einzelnen Ländern, die die Voraussetzungen zum Beitritt erfüllen, steht die Tür offen. Endlich sahen auch die jungen Menschen, die voller Neid nach Europa schauten, eine Perspektive für ihre Zukunft, und Kroatien nutzte seine Chance sehr erfolgreich.

Den alten Strukturen, die auf dem Nationalismus gründeten, wurde der Nährboden entzogen. Eine neue Generation nahm ihr Schicksal auf dem Fundament der demokratischen Werte selbst in die Hand. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Umsetzung der Verhandlungskapitel 23 und 24, die sich mit Justiz und Menschenrechten befassen. Der damals allmächtig erscheinende Ministerpräsident Ivo Sanader musste aufgrund von Korruptionsvorwürfen zurücktreten, übrigens auch auf Druck seiner eigenen Partei. Mittlerweile sitzt er im Gefängnis.

Auch gesellschaftliche Veränderungen wurden durch die Beitrittsverhandlungen möglich. Wer hätte denn vor zehn Jahren gedacht, dass Kroatien einen Präsidenten bekommt, der sich als Agnostiker bezeichnet, oder einen Ministerpräsidenten, der bekennender Atheist ist? Und das in Kroatien, wo der christliche Glaube so stark verankert ist wie in kaum einem anderen Land. Durch die Beitrittsverhandlungen hat sich Kroatien zu einer modernen, demokratischen Gesellschaft entwickelt, in der Argumente und nicht mehr Ideologien das politische Geschehen bestimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige unter uns machen sich Sorgen über die weitere Entwicklung der Europäischen Union. Ich verstehe diese Sorgen. Doch wir dürfen nicht zu dem Fazit kommen: entweder eine EU-Vertiefung oder eine EU-Erweiterung. Wir brauchen sowohl eine Vertiefung als auch eine Erweiterung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich (DIE LINKE))

Die Probleme, die die EU mit sich selbst hat, dürfen nicht ignoriert werden, aber sie dürfen auch nicht auf Kosten der kroatischen Demokraten behoben werden, auch nicht auf Kosten der demokratischen Bestrebungen in anderen Ländern des Westbalkans.
Das Nobelpreiskomitee hat das erkannt. Der Friedensnobelpreis ging an die Europäische Union, verbunden mit der Aufforderung, den Frieden in Europa durch eine Beitrittsperspektive für den Westbalkan zu sichern. Der Beitritt Kroatiens ist ein klares Signal an die Staaten, die noch auf dem Weg in die EU sind. Er wird vor allem den jungen Menschen Hoffnung geben. Das kroatische Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, weiterhin auf die europäische Perspektive zu setzen. Kroatien hat innerhalb von zehn Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht und ist nun zum Vorbild und Maßstab für andere Staaten geworden.

Kroatien wird nicht nur ein wertvoller Partner innerhalb der EU sein, sondern es wird auch eine zentrale Rolle für die Entwicklung auf dem Westbalkan einnehmen. Kein EU-Mitglied kennt die sechs Kleinstaaten auf dem Balkan, die noch nicht in der EU sind, so gut wie Kroatien. Diese sechs Staaten bringen große Akzeptanz und Wohlwollen für eine Vermittlerrolle Kroatiens auf. Doch alleine wird Kroatien Frieden und Stabilität auf dem Westbalkan nicht garantieren können. Mit der Erklärung von Thessaloniki hat die EU gezeigt, dass sie verstanden hat, dass nur mit einer europäischen Integration des Westbalkans Frieden und Stabilität gewährleistet werden können. Die EU hat damit recht behalten.

Deshalb darf der Beitritt Kroatiens nicht das Ende der EU-Erweiterung sein, sondern er ist der erste Schritt in Richtung Integration des gesamten Westbalkans in die EU. Es ist wichtig, dass für alle weiteren Kandidaten das Beitrittsdatum offen bleibt; denn entscheidend ist, ob ein Land beitrittsreif ist. Aussagen, dass es in den nächsten zehn Jahren keinen weiteren Beitritt geben wird, sind zwar angesichts der derzeitigen Lage nachvollziehbar; aber wenn ein Land enorme Anstrengungen aufbringt und bereits früher alle Bedingungen erfüllt, dann dürfen wir ihm den EU-Beitritt nicht verwehren. Der Balkan braucht die EU und vor allem Deutschland als verlässlichen Partner. Dazu gehört, dass wir objektive Kriterien für einen EU-Beitritt haben, die wir nicht aufweichen dürfen. Die Erfüllung dieser Kriterien dürfen wir aber auch nicht durch weitere Hürden erschweren.
Bei den Verhandlungen mit Kroatien haben sich die Kapitel 23 und 24 als besonders wichtig erwiesen, weil dadurch die Voraussetzungen für Rechtsstaatlichkeit und für die Stärkung der individuellen Rechte geschaffen werden. Deswegen ist es konsequent, dass die EU-Kommission diese künftig an den Beginn der Verhandlungen setzen will.
In unserem SPD-Antrag gehen wir einen Schritt weiter: Wir wollen, dass die Kapitel 23 und 24 bereits vor der Aufnahme der eigentlichen Verhandlungen in einer Art Vorverhandlung behandelt werden. Damit stärken wir die demokratischen Kräfte in den einzelnen Ländern. Ich bitte Sie deswegen, nicht nur den Beitritt Kroatiens, sondern auch unseren Antrag wohlwollend zu begleiten.

Kolleginnen und Kollegen, wir Demokraten werden außerhalb der EU häufig als Schwächlinge betrachtet und auch so behandelt. Doch wie man in Kroatien sagt: Die stillen Gewässer bringen die Berge zum Einstürzen. Der EU-Beitritt Kroatiens ist ein weiterer Sieg der demokratischen Werte wie Recht und Freiheit durch den Zusammenhalt auf dem Weg zum Frieden in Europa.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)