Betreuungsgeld wird nicht besser durchs Herumdoktern

Das Ergebnis der Anhörung kommentierte die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Caren Marks: „Das Betreuungsgeld wird nicht besser, in dem die Koalition an Details herumdoktert. Eine Leistung, die für  die Nichtinanspruchnahme einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege gezahlt wird, ist und bleibt falsch.“ Ebenso verwies Prof. Dr. Wieland, der für die SPD-Fraktion als Rechtsexperte an der Anhörung teilnahm und das Rechtsgutachten für sie verfasst hatte, erneut darauf, dass der Gesetzentwurf verfassungswidrig ist. Zu diesem Urteil kam auch Prof. Dr. Sacksofsky, die als Rechtsexpertin für die Fraktion von Bündnis90/die Grünen zugegen war.

Zu dem skurilen Aufgebot an Expertinnen und Experten, das die Union geladen hatte, titelte die „Süddeutsche Zeitung“: „Entweder Betreuungsgeld - oder eure Kinder werden krank“. Die Zeitung aus Bayern mutmaßte, dass die CSU „offenbar erhebliche Schwierigkeiten“ hatte, „Fachleute zu finden, die das Betreuungsgeld im Familienausschuss verteidigen“. Sie machten mit Einzelmeinungen und nicht haltbaren Behauptungen auf sich aufmerksam.

Für die SPD-Fraktion ist und bleibt das Betreuungsgeld „bildungs-, integrations- und gleichstellungspolitisch fehlgeleitet“, wie Caren Marks unterstrich. Deshalb forderte sie die Kanzlerin auf, die bildungs- und frauenpolitische Fernhalteprämie sofort zu stoppen.

Schwarz-Gelb vertagt Abstimmung zum Betreuungsgeld erneut

Die abschließende Abstimmung im Deutschen Bundestag über die Einführung eines Betreuungsgeldes hat Schwarz-Gelb erneut verschoben. War die 2./3. Lesung zunächst noch für den 28. September geplant, so ist jetzt der 18. Oktober vorgesehen. Doch niemand weiß, ob es dabei bleibt.

SPD-Fraktion lehnt Betreuungsgeld seit 2007 ab

Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt das Betreuungsgeld als kontraproduktiv für die Bildungschancen von Kindern sowie für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab. Und zwar seit es die CSU - noch in der Großen Koalition – in die Verhandlungen über einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem 13. Lebensmonat als Forderung eingebracht hat.

Rechtsanspruch auf Kitaplatz gilt ab August 2013 – Klagewelle droht

Der Rechtsanspruch gilt ab August 2013. Schätzungen gehen davon aus, dass noch rund 160.000 Plätze in Städten und Gemeinden fehlen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat nichts getan, um den Ausbau der Krippenplätze wirklich voran zu treiben. Sie hat immer nur mit dem Finger auf die Länder und Kommunen gezeigt, die auf Grund ihrer klammen Kassen nicht in der Lage sind, ihren Finanzierungsanteil zum Krippenausbau aufzubringen. Die Kommunen befürchten nun Klagewellen von Eltern, die 2013 ohne Betreuungsplatz für ihre Kleinsten dastehen.

Betreuungsgeld auch für Kinder mit Nanny-Betreuung

Im vorliegenden Gesetzentwurf aus dem Hause Schröder wird nun argumentiert, dass das Betreuungsgeld eine Wahlfreiheit „bezüglich der Form der Betreuung für Eltern mit Kleinkindern“ herstelle und eine neue „Anerkennungs- und Unterstützungsleistung für Eltern mit Kleinkindern, die ihre vielfältigen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben im privaten Umfeld erfüllen,“ sei. Außerdem solle damit eine „Förderlücke“ geschlossen werden. Damit ist die schwarz-gelbe Bundesregierung von ihrer urspünglichen Argumentation, das Betreuungsgeld solle für die Kindererziehung zu Hause als Alternative zur Kita gezahlt werden, abgerückt. Denn nun sollen absurderweise andere – privat finanzierte und zum Teil qualitativ zweifelhafte Betreuungsangebote – trotz der Zahlung des Betreuungsgeldes in Anspruch genommen werden können. Das heißt Betreuungsgeld gibt es auch, wenn das Kind von einem Aupair-Mädchen betreut wird. Nur für bei öffentlich geförderter Betreuung soll es verwehrt werden. Und ein Instrument für die Schaffung einer Wahlfreiheit ist das Betreuungsgeld auch nicht, denn es fehlen ja die notwendigen Betreuungsplätze. Dadurch haben die Eltern und vor allem Alleinerzeihende ja gar keine Wahl. Vielmehr soll das Betreuungsgeld helfen, die Versäumnisse von Kristina Schröder zu vertuschen.

Alarm von WissenschaftlerInnen und EX-Bundesfamilienministerinnen

Die Zahlung des Betreuungsgeldes verhindert nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion den weiteren Ausbau der frühkindlichen Bildung in Krippen und bei Tageseltern. Darin werden die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unter ihnen Prof. Dr. Jutta Almendinger, Prof. Dr. Hans Bertram und Prof. Dr. Klaus Hurrelmann unterstützt. Unter der Überschrift „Zurück in die Vergangenheit“ appellierten sie in der Wochenzeitung „Die Zeit“ am 13. September an Bundeskanzlerin Merkel und die Bundesregierung nicht „ihre erst vor wenigen Jahren eingeleitete moderne Familienpolitik“ in Abrede zu stellen. Die Ökonomen, Erziehungswissenschaftler, Psychologen, Soziologen, Rechtswissenschaftler und Mediziner machten deutlich, dass das Betreuungsgeld „ein großer Rückschritt auf dem Wege, Familien- und Kinderpolitik in Deutschland auf die heutigen veränderten Lebensbedingungen zuzuschneiden und mit einer zukunftsfähigen Gleichstellungs- und Arbeitsmarktpolitik zu verbinden,“ sei. In der gleichen Ausgabe des Hamburger Wochenmagazins forderten die vier ehemaligen Bundesfamilienministerinnen Christine Bergmann (SPD), Renate Schmidt (SPD), Ursular Lehr (CDU) und Rita Süßmut (CDU) „Tut das nicht!“. Ihr gemeinsames Urteil: Das Betreungsgeld schadet den Familien. In einem Artikel in KiTa aktuell vom März 2012 heißt es dazu, die Einführung des Erziehungsgeldes in Thüringen 2010 habe z. B. dazu geführt, „dass zweijährige Kinder – insbesondere Mädchen – eher in der Entwicklung bestimmter Fähigkeiten zurückgeworfen werden, wenn sie keine Kita besuchen“.

Auf Gedeih und Verderb: Schwarz-Gelb bleibt beim Betreuungsgeld

Die schwarz-gelbe Koalition hält am Betreuungsgeld fest, obwohl es auch in CDU und FDP viele Stimmen dagegen und in der Bevölkerung dafür keine Mehrheit gibt. Die CSU pocht auf die Erfüllung des Koaltionsvertrages gegen alle Regeln der Vernunft. Es wird wild geschachert, um doch noch eine Mehrheit im Bundestag zusammen zu bekommen. Das Betreuungsgeld soll an die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen oder eine Besserbewertung der Erziehungszeiten gekoppelt werden. Doch davon wird ein schlechtes Gesetz eben nicht besser.

Drei Gutachten und Präsident des Anwaltsvereins: Betreuungsgeld ist verfassungswidrig

Mittlerweile liegen drei Gutachten vor, die im Auftrag von der SPD-Bundestagsfraktion, der Friedrich Ebert Stiftung und von Bündnis 90/Die Grünen erstellt wurden. Sie attestieren, dass das  Betreuungsgeld nicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Die SPD-Bundestagsfraktion plant gegen die Einführung des Betreuungsgeldes vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Und das hat auch die grüne Fraktion vor.

Heute hat auch der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, erklärt, dass der Bund dafür gar nicht die erforderliche Gesetzgebungskompetenz habe: „Keine der möglichen Zuständigkeiten des Bundes sind für eine solche Regelung erfüllt“. Der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins kommt zwar zu der Einschätzung, dass der Bund gemäß des Grundgesetzes Regelungen treffen dürfe, wenn es die Bundesländer nicht selbst tun. Er wertete es jedoch als problematisch, weil nach dem Gesetzentwurf „ein und derselbe Betrag in allen Fällen zur Auszahlung kommt, ohne dass zwischen den Bedarfslagen im Einzelnen differenziert wird.“ Der Pauschalbetrag von 100 Euro und später 150 Euro, der als Betreuungsgeld unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Eltern gezahlt werde, zeige deutlich, dass es nicht um Fürsorge gehe. Es handele sich „um eine bedarfsgesteuerte Belohnung für den Verzicht auf eine bestimmte Leistung,“ sagte Ewer. Und dafür habe der Bund keine Gesetzgebungskompetenz.

Vieles bleibt unklar: Finanzierung und die Mehrheit in der Koalition

Derzeit ist übrigens nicht klar, wie die schwarz-gelbe Koalition das milliardenteure Betreuungsgeld im Bundeshaushalt seriös finanzieren will. Die SPD-Bundestagsfraktion geht deshalb davon aus, dass hier weiterer Streit innerhalb der schwarz-gelben Koalition vorprogrammiert ist. In den parlamentarischen Beratungen wird es nun darauf ankommen, dass diejenigen Abgeordneten in den Reihen von Schwarz-Gelb, die sich gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen haben, bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben. Denn im Bundestag gibt es nach wie vor keine Mehrheit für den Gesetzentwurf.

Länder lehnen Betreuungsgeld mehrheitlich ab

Die nächste Etappe nach einer möglichen Verabschiedung dieses umstrittenen Gesetzentwurfs im Bundestag wäre der Bundesrat. Auch hier bahnt sich bereits Widerstand an: 11 von 16 Fachministerinnen und -ministern der Länder haben in einer Pressemitteilung vom 24.08.2012 angekündigt, in der Länderkammer gegen die Einführung des Betreuungsgeldes vorzugehen und sich für den Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung einzusetzen.

 

Hintergrund: Was spricht für den Ausbau der frühkindlichen Bildung:

Nach dem aktuellen Stand in der pädagogischen Forschung fördert frühkindliche Bildung soziale Kompetenzen, die Sprachentwicklung und die Hilfsbereitschaft gegenüber anderen. Frühkindliche Bildung will nicht in erster Linie Wissen vermitteln, sondern Basiskompetenzen, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft grundlegend sind. Deshalb sprechen sich Entwicklungspsychologen wie Prof. Dr. Wassilios Fthenakis dafür aus, anstatt der Einführung des Betreuungsgeldes mehr Geld in den Ausbau der Infrastruktur für frühkindliche Bildung zu investieren.

Selbstverständlich soll frühkindliche Bildung und Betreuung in Krippen oder bei Tageseltern nicht die Erziehung durch die Eltern ersetzen, wie die Befürworterinnen und Befürworter des Betreuungsgeldes so gern behaupten. Frühkindliche Bildung ist ein ergänzendes Angebot. Die Aufgabe der Erziehung bleibt weiterhin Aufgabe der Eltern.

Es ist auch ein Märchen, dass Versäumnisse in der frühkindlichen Bildung in einer späteren Lebensphase des Kindes nachgeholt werden könnten. Denn Studien belegen, dass der Besuch einer Kinderkrippe für Kinder unter drei Jahren die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Kinder später einen höhren Bildungsabschluss erreichen, auch wenn die Eltern höchstens einen Hauptschulabschluss haben.

Zum Artikel der "Süddeutsche Zeitung": Entweder Betreuungsgeld oder eure Kinder werden krank.