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Kern des Bundesteilhabegesetzes ist, dass die Eingliederungshilfe aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe ausgegliedert wird. Die Eingliederungshilfe soll Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen helfen, sich in die Gesellschaft einzugliedern und die Behinderung und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern. Die Eingliederungshilfe wird im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) verankert.

Mit dem Bundesteilhabegesetz wird die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) weiter umgesetzt. Die UN-Konvention fordert als internationales Übereinkommen die Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Inklusion ist somit ein Menschenrecht. Der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes ist gemäß dem Grundsatz der UN-BRK „Nichts über uns ohne uns“ im engen Dialog mit Betroffenenorganisationen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet worden. Er stellt die Person in den Mittelpunkt, damit Menschen mit Behinderungen die Unterstützung bekommen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen.

Mehr ermöglichen – weniger behindern

Bundesozialministerin Andrea Nahles (SPD) stellte in der Debatte klar, dass es wichtig sei, ein bundeseinheitliches Gesetz für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Damit werde eine gute Basis für die Zukunft gelegt. „Wir können es schaffen, mehr möglich zu machen und weniger zu behindern“, bekräftigte Nahles. Sie bezeichnete das Bundesteilhabegesetz als Quantensprung: „Es geht nicht mehr um Politik für Menschen mit Behinderungen, sondern um Politik mit Menschen mit Behinderungen“.

Die Bedenken, die es gegenüber dem Bundesteilhabegesetz seitens der Betroffenen und ihrer Angehörigen gebe, nehme die SPD-Fraktion ernst, betonte SPD-Fraktionsvizin Carola Reimann. Sie versicherte: „Es wird keine Verschlechterungen für Betroffene geben.“ Reimann hob hervor, dass durch die unabhängige Beratung von Betroffenen durch Menschen mit Behinderungen die Leistungsberechtigten stärker als Experten in eigener Sache wahrgenommen würden. So werde mehr mit ihnen, anstatt über sie geredet.

Die Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der SPD-Fraktion, Kerstin Tack, machte in der Debatte auch deutlich, dass die SPD-Fraktion in der parlamentarischen Beratung Verbesserungen erzielen wolle. Dazu gehöre es, die Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und der Pflegekassen ordentlich zu regeln. Des Weiteren werde es darum gehen, dass Menschen mit geistiger Behinderung auch mehr vom Einkommen behalten und mehr Vermögen bilden können sollten. Außerdem werde die SPD-Fraktion ihr Augenmerk auf die Bildung lenken. Zentral sei auch, dass Menschen mit Behinderungen selbst entscheiden könnten, wo und wie sie leben.

Drohender Behinderung entgegenwirken

Mit dem Bundesteilhabegesetz sollen die Träger von Rehabilitationsmaßnahmen wie die Bundesagentur für Arbeit oder die gesetzliche Rentenversicherung verpflichtet werden, drohende Behinderungen frühzeitig zu erkennen und gezielte Prävention zu ermöglichen. Ziel ist, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Um das zu unterstützen, wird der Bund Modellvorhaben mit den Jobcentern und der gesetzlichen Rentenversicherung befristet auf fünf Jahre finanziell fördern. Dabei wird geprüft, mit welchen Maßnahmen einer drohenden Behinderung entgegengewirkt werden kann.

Mehr vom Einkommen und Vermögen behalten

Bezieherinnen und Bezieher der Eingliederungshilfe sollen deutlich mehr von ihrem eigenen Einkommen behalten können. Ab 2017 sollen die Freibeträge für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich erhöht werden. Die Vermögensfreigrenze soll um 25.000 Euro erhöht werden. Sie liegt dann bei 27.600 Euro. Bis 2020 wird die Freigrenze für Barvermögen auf rund 50.000 Euro angehoben werden. Ehegatten und Lebenspartner werden künftig weder mit ihrem Einkommen noch mit ihrem Vermögen herangezogen. Diese Verbesserungen gelten auch beim gleichzeitigen Bezug von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege, wenn die betroffene Person erwerbstätig ist. Auch Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) wird künftig ein geringerer Teil ihres Arbeitsentgeltes auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angerechnet.

Leistungen wie aus einer Hand

Künftig soll ein einziger Reha-Antrag ausreichen, um ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren zu starten, auch wenn Sozialamt, Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung für unterschiedliche Leistungen zuständig bleiben. Es wird nicht mehr nötig sein, sich mit verschiedenen Behörden auseinandersetzen zu müssen, denn es wird Hilfen wie aus einer Hand geben. Dabei steht die Unterstützung, die jemand benötigt, im Vordergrund. Dazu ist eine trägerübergreifende und unabhängige Teilhabeberatung vorgesehen, die beitragen soll, dass Betroffene ihre Rechte besser wahrnehmen können. In den Beratungsstellen soll auch die sogenannte „Peer-Counseling-Methode“ angewandt werden. Das bedeutet Beratung von Menschen mit Behinderungen durch Menschen mit Behinderungen. Das Angebot soll auf bestehenden Strukturen aufsetzen.

Mehr Teilhabe durch Arbeit und Bildung

Menschen mit Behinderungen sollen wählen können, ob sie in einer WfbM, bei einem anderen Leistungsanbieter oder auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten wollen. Mit dem „Budget für Arbeit“ werden Arbeitgeber unterstützt, wenn sie Menschen mit wesentlicher Behinderung beschäftigen. Sie erhalten dann Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 Prozent. Ergänzend dazu werden die Kosten für die notwendige Anleitung und Begleitung an der Arbeitsstelle übernommen. Außerdem wird die Teilhabe an Bildung eine eigene Reha-Leistung. Somit können Assistenzleistungen für höhere Studienabschlüsse wie ein Masterstudium oder in bestimmten Fällen eine Promotion ermöglicht werden.

Elternassistenz wird eingeführt

Mit der Elternassistenz erhalten Eltern mit Behinderungen einen Anspruch auf erforderliche Leistungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder.

Mehr Mitbestimmung und Vertretungsrechte

Die Schwerbehindertenvertretungen in Unternehmen werden gestärkt. Sie erhalten mehr Ansprüche auf Freistellungen und Fortbildungen. Auch die Werkstatträte in den WfbM erhalten mehr Rechte. Für besonders wichtige Angelegenheiten wie Entlohnungsgrundsätze hat der Werkstattrat künftig ein Mitbestimmungsrecht. Zudem werden ab Herbst 2017 Frauenbeauftragte in den WfbM gewählt. Sie vertreten die Anliegen der weiblichen Beschäftigten.

Leistungen gemeinsam in Anspruch nehmen – Poolen

Es ist vorgesehen, dass bestimmte Leistungen für eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen zusammengelegt werden können (Poolen), wie die Beförderung über einen Fahrdienst. Damit wird sowohl die Wirtschaftlichkeit der Leistungen im Auge behalten, aber es werden auch Leistungsangebote geschaffen, die für Einzelpersonen gar nicht erbracht werden könnten. Das Poolen soll nur dann zum Zuge kommen, wenn es den Betroffenen zuzumuten ist. Das für die Eingliederungshilfe geltende individuelle Bedarfsdeckungsprinzip wird durch das Poolen nicht eingeschränkt.

 

Das Wichtigste zusammengefasst:

Kernziel des Bundesteilhabegesetzes ist es, mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, um ihre umfangreichere gesellschaftliche Teilhabe sicherzustellen. In Zukunft soll ein Antrag zur Gewährung von Leistungen ausreichen. Außerdem können Menschen mit Behinderungen mehr von ihrem Einkommen und Vermögen behalten, und es wird mehr Teilhabe durch Arbeit und Bildung ermöglicht. Des Weiteren wird es Verbesserungen bei Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten geben.

 

Interview mit SPD-Fraktionsvizin Carola Reimann zum Bundesteilhabegesetz

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