Bislang ist die Beschneidung minderjähriger Jungen ohne medizinische Indikation in Deutschland nicht geregelt. Am 22. November hat der Bundestag in einer sehr sachlichen und dem Thema angemessenen Debatte den Gesetzentwurf der Bundesregierung sowie den der Kinderbeauftragten der SPD-Fraktion, der kinderpolitischen Sprecherinnen der Grünen und Linken und 66 Abgeordneten in 1. Lesung diskutiert.
Strafrecht ist kein Mittel zur religiösen und kulturellen Belehrung
Kein noch so guter Gesetzentwurf zu dem Thema sei 100prozentig zufriedenstellend, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Burkhard Lischka. Es gehe um einen Wertekonflikt. Und es gehe darum, wie viel Freiheit „wir uns gegenseitig zugestehen.“ Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit von Kindern sei genauso elementar wie der mancher Glaubensinhalte einer Religion. Er vermisse in der öffentlichen Debatte den gegenseitigen Respekt. Weder sei denen, die die Beschneidung ablehnten, Antisemitismus und Islamophobie zu unterstellen, noch sei denen, die die Beschneidung befürworteten, der Ausverkauf von Kinderrechten vorzuwerfen.
Video der Rede von Burkhard Lischka
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Lischka persönlich sei eine Beschneidung von kleinen Jungen fremd. Aber er spreche jüdischen und muslimischen Eltern, für deren Religion die Beschneidung identitätsstiftend ist, nicht ab, ihre Kinder zu lieben. Eine gesetzliche Regelung der Beschneidung sei notwendig, um Eltern, Ärzte und Beschneider nicht strafrechtlich zu belangen, räumte Lischka ein. Das Strafrecht sei kein Mittel zur religiösen und kulturellen Belehrung. „Auf Grund unserer Geschichte haben wir die Verpflichtung sehr sensibel gegenüber dem jüdischen Glauben zu sein,“ sagte Lischka.
Das Gesetz solle Kinder vor unnötigen Schmerzen und unsachgemäßen Eingriffen schützen. Der Eingriff müsse medizinisch fachgerecht durchgeführt werden. Über den Eingriff und seine Folgen müsse ärztlich aufgeklärt werden, unnötige Schmerzen seien durch lokale Anästhesie zu vermeiden und die Jungen müssten ein Vetorecht haben. Er forderte ein, dass auf der Grundlage des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sachlich diskutiert und gemeinsam gesehen werde, wo das Gesetz noch verbessert werden könne. Burkhard Lischka hat zusammen mit SPD-Fraktionsvizin Christine Lambrecht einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Regierung initiiert.
Beschneidung nur mit Einwilligung des Kindes
Der alternative Gesetzentwurf zu dem der Bundesregierung stelle das Kinderrecht und das Kindeswohl ins Zentrum, erläuterte Marlene Rupprecht Kinderbeauftragte der SPD-Fraktion und eine der drei Initiatorinnen des Gegenentwurfs.
Video der Rede von Marlene Rupprecht
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Eltern hätten das Recht ihre Kinder auch religiös zu erziehen. „Dieses Recht endet dort, wo das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird“, sagte Rupprecht. Da es sich bei der Beschneidung um einen „massiven, irreversiblen Eingriff“ handele, der medizinisch nicht notwendig sei, müsse das Kind selbst einwilligen und zwar im Alter von 14 Jahren. Der Eingriff solle nur von Kinderchirurgen oder Urologen vorgenommen werden. Rupprecht bedauerte, dass das Gesetz ohne Zeit für eine intensive Diskussion beschlossen werden solle, auch deshalb habe sie gemeinsam mit anderen diesen Entwurf vorgelegt.
Jüdischen und muslimischen Glauben nicht beschneiden
Die Güterabwägung der Kinderrechte, des elterlichen Sorgerechts und der Religionsfreiheit sei im Gesetzentwurf der Bundesregierung gelungen, bescheinigte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. „Eine Gemeinschaft kann nicht ohne Respekt von Unterschieden funktionieren“, sagte er.
Video der Rede von Wolfgang Thierse
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Kinder hätten ein Recht auf religiöse Erziehung und auf Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft. Er wies darauf hin, dass es in der Diskussion um die Beschneidung auch „um die Beschneidung des jüdischen und muslimischen Glaubens“ gehe. Doch ohne Beschneidung von Jungen sei jüdisches und muslimisches Leben legal nicht mehr möglich. „Die Freiheit ist auch die der Andersdenkenden“, sagte Thierse. Er legte nahe die von Lischka und Lambrecht vorgeschlagenen Änderungen am Regierungsentwurf zu erwägen.
Bedeutung der Beschneidung für Juden und Muslime akzeptieren
„Juden und Muslime gehören zu Deutschland“, stellte Kerstin Griese, Beauftragte der SPD-Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften, fest. Das gelte vor allem für die Zukunft einer multireligiösen Gesellschaft. Erst seit dem Kölner Urteil stünde das Ritual der Beschneidung zur Diskussion, die viele Juden und Muslime verunsichert habe.
Video der Rede von Kerstin Griese
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Es sei wichtig die Diskussion mit Juden und Muslimen über die Beschneidung und ihre Bedeutung auf Augenhöhe zu führen. Es gehe um die Akzeptanz der Bedeutung der Beschneidung für Juden und Muslime. Griese führte aus, dass der UN-Kinderrechtsausschuss die Beschneidung von Jungen nicht generell in Frage stelle, sondern nur die hygienisch nicht einwandfreien Bedingungen z. B. in Afrika. Sie wies auch darauf hin, dass Kinder vor der Religionsmündigkeit mit 14 Jahren erst einmal die Religion kennenlernen müssten, um sich für oder gegen sie zu entscheiden. Bei der gesetzlichen Regelung käme es darauf an Standards für die Beschneidung festzulegen. Hier seien die Empfehlungen des Ethikrates hilfreich gewesen. Auch Kerstin Griese forderte dazu auf, die Änderungsanträge ernsthaft zu diskutieren.
Hier können Sie alle Hintergründe im Kompaktinfo der SPD-Bundestagsfraktion nachlesen
Hintergrund
Das Köner Urteil und was daraus folgte
Das Kölner Landgericht hat am 7. Mai 2012 ein Urteil über die Beschneidung eines vierjährigen Jungen gefällt. Seine Eltern hatten die Beschneidung aus religiösen Gründen durchführen lassen. Der Eingriff wurde nach den Relgen der ärztlichen Kunst vorgenommen. Das Gericht hatte entschieden, dass es sich dabei um eine rechtswidrige Körperverletzung handelt. Die Einwilligung in die Beschneidung sei laut Urteil irrelevant, da die Beschneidung nicht dem Wohl des Kindes diene. Der Arzt, der den Jungen beschnitten hatte, wurde freigesprochen, da er aufgrund der unklaren Rechtslage davon ausgehen konnte, dass die Beschneidung in Deutschland erlaubt ist.
Bisher ist die Beschneidung von minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Das heißt sie ist weder erlaubt noch verboten. In der Praxis galt bisher, dass Eltern in eine religiöse Beschneidung einwilligen können. Dies stellt das Kölner Urteil in Frage.
Aus dieser gerichtlichen Entscheidung ist eine Rechtsunsicherheit entstanden. Angehörige des jüdischen und muslimischen Glaubens und Ärztinnen und Ärzte sind verunsichert. Die jüdische und die muslimische Relegionsgemeinschaft sehen dadurch die Ausübung ihres religiösen Lebens als erschwert an. Auf Grund der unsicheren Rechtslage raten ärztliche Berufsorganisationen, medizinisch nicht notwendige Beschneidungen von minderjährigen Jungen bis zur rechtlichen Klärung nicht durchzuführen.
Bundestag fordert Gesetzentwurf der Regierung
Auf Grund der unsicheren Rechtslage hat der Deutsche Bundestag in einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD am 19. Juli 2012 beschlossen, dass die Bunderegierung im Herbst dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen soll. Darin sei sicher zu stellen, dass in Deutschland eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von minderjährigen Jungen ohne unnötige Schmerzen zulässig ist.
Dabei sollten die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:
- Religionsfreiheit: Die Beschneidung von Jungen hat für Juden und Muslime eine zentrale religiöse Bedeutung. Die gesetzliche Regelung soll jüdisches und muslimisches Leben weiterhin ermöglichen.
- Körperliche Unversehrtheit: Die Beschneidung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes. Bei nicht fachgerecht durchgeführten Beschneidungen kann es zu Komplikationen kommen.
- Kindeswohl: Bei Beschneidungen von Minderjährigen dürfen Eltern eine Einwilligung erteilen, soweit es dem Kindeswohl dient. Die Eltern bestimmen damit das Kindeswohl im Rahmen des Rechts.
- Rechtssicherheit: Jüdische und muslimische Gläubige sowie Ärztinnen und Ärzte sind durch das Urteil des Kölner Landgerichts verunsichert, ob Beschneidungen an minderjährigen Jungen ohne medizinische Indikation erlaubt sind. Deshalb muss die Beschneidung rechtlich schnell klargestellt werden.
Empfehlungen des Ehtikrates
Der Deutsche Ethikrat hat am 23. August 2012 öffentlich über die Beschneidung von minder-jährigen Jungen aus religiösen und weltanschaulichen Gründen diskutiert. Dabei wurden medizinische, religiös-kulturelle, straf- und verfassungsrechtliche sowie ethische Aspekte thematisiert.
Der Ethikrat empfiehlt, rechtliche Standards für die Beschneidung von minderjährigen Jungen einzuführen. Folgende Mindestanforderungen sollen dabei gelten:
- Umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten
- Qualifizierte Schmerzbehandlung des betroffenen Jungen
- Fachgerechte Durchführung des Eingriffs
- Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen
Fachliche Standards für die Beschneidung sollen gemeinsam mit den Betroffenen und den beteiligten Gruppen entwickelt werden. Sie müssen zudem evaluiert werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat am 5. November 2012 einen Getzentwurf „Über den Umfang der Personensorge einer Beschneidung des männlichen Kindes“ vorgelegt. Er basiert auf den Leitsätzen des Antrages von CDU/CSU, FDP und SPD.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die Beschneidung im Bürgerlichen Gesetzbuch im Recht der elterlichen Sorge zu regeln:
- Eltern können in die Beschneidung ihres minderjährigen Sohnes einwilligen, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird. Dies gilt auch, wenn sie nicht medizinisch indiziert ist. Wenn durch die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet ist, dürfen die Eltern nicht einwilligen. Jedoch muss der Zweck der Beschneidung bei der Definition des Kindeswohls berücksichtigt werden.
- In den ersten sechs Monaten nach der Geburt dürfen auch von einer Religionsgemeinschaft bestimmte Personen die Beschneidung vornehmen. Sie müssen aber besonders ausgebildet und wie ein Arzt oder eine Ärztin dazu befähigt sein.
Änderungsanträge zum Gesetzentwurf
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wurden zwei Gruppen-Änderungsanträge vorgelegt. Ein Änderungsantrag wurde von SPD-Fraktionsvizin Christine Lambrecht und dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion Burkhard Lischka initiiert.
Er sieht folgende ergänzende Regelungen vor:
- Eine Ärztin oder ein Arzt muss die Eltern vor der Beschneidung über den Eingriff aufklären. Dies gilt auch, wenn die Beschneidung selbst von einem nichtärztlichen Beschneider durchgeführt wird.
- Die Ausbildungs- und Prüfungsinhalte nichtärztlicher Beschneider sind bundesweit einheitlich zu regeln.
- Für die Durchführung der Beschneidung müssen allgemeine Standards gelten. Eine qualifizierte Schmerzbehandlung und Nachsorge sowie eine angemessene und wirkungsvolle Betäubung sind zu gewährleisten.
- Die Feststellung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit es Eingriffs muss standardisiert und konkretisiert werden.
- Der Wille des Kindes soll unabhängig von seinem Alter berücksichtigt werden.
- Die Wirkung des Gesetzes ist zu evaluieren.
Der weitere Änderungsantrag wurde von Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, initiiert. Er sieht Ergänzungen in zwei Punkten vor.
- Wenn der geäußerte Wille auch von nicht einsichts- und urteilsfähigenden Kindern der Beschneidung entgegen steht, darf diese nicht vorgenommen werden
- Die Beschneidung durch nicht-ärztliche von der Religionsgemeinschaft dafür vorgesehene Personen soll nur bis 14 Tage nach der Geburt möglich sein und nicht wie im Gesetzentwurf der Regierung bis zu sechs Monaten nach der Geburt.
Gegenentwurf von 66 Abgeordneten
Ein weiterer Entwurf für ein „Gesetz über den Umfang der Personensorge und die Rechte des männlichen Kindes bei einer Beschneidung“ wurde am 8. November vorgelegt. Er wird von 66 Abgeordneten getragen. Dieser Entwurf regelt die Beschneidung wesentlich enger. Die Beschneidung soll auch im Bürgerlichen Gesetzbuch im Recht der elterlichen Sorge geregelt werden:
- Eltern können in die Beschneidung ihres Sohnes einwilligen, auch wenn sie medizinisch nicht erforderlich ist. Dabei müssen jedoch bestimmte Anforderungen eingehalten werden.
- Der Sohn muss seine Einwilligung zur Beschneidung geben. Er muss das 14. Lebensjahr vollendet haben, um einsichts- und urteilsfähig zu sein. Wenn durch die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet ist, reicht auch die Einwilligung des Betroffenen nicht aus.
- Die Beschneidung muss von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Kinderchirurgie oder Urologie durchgeführt werden.