Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Botschaften und vor allem viele junge Leute kamen am 6. Juni in den SPD-Fraktionssaal im Berliner Reichstagsgebäude, um über Perspektiven einer europäischen Sozialpolitik zu diskutieren. Für letztere ist ein Europa ohne Grenzen eine Selbstverständlichkeit. Viele Jugendliche und junge Erwachsene nutzen die Chance von Austauschprogrammen, studieren eine Weile in anderen europäischen Städten oder sammeln dort berufliche Erfahrungen. Doch augenblicklich erleben sie die dramatische Jugendarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern und hören europafeindliche Töne. Und es ist klar, es geht um die Zukunftsfähigkeit Europas.
Europäischer Rettungsschirm gegen Jugendarbeitslosigkeit
„Deutschland geht es nur gut, wenn es auch den anderen Ländern in Europa gut geht“, mit diesen Worten eröffnete SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer die Diskussion. Die europäische Finanzkrise präge diese Legislaturperiode, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Und sie werde noch länger dauern, auch wenn sie kurzfristig aus den Schlagzeilen verschwinde. Er sorge sich um die Zukunft der europäischen Union, weil sich angesichts der Krise nationales Denken wieder verstärke. Die falsche Analyse, dass die Krise in Europas Süden eine Staatschuldenkrise sei, habe zur falschen Therapie durch radikale Spardiktate geführt. Dadurch seien Länder wie Griechenland tiefer in die Krise geraten. Steinmeier verwies darauf, dass die SPD-Fraktion ihre Zustimmung zum Fiskalpakt nur gegeben habe, weil auf ihren Druck hin auch ein Sozialpakt für Wachstum und Beschäftigung hinzu gekommen sei. Doch davon sei bislang nichts umgesetzt worden.
Mittlerweile sind 26 Millionen Menschen in Europa arbeitslos, fünf Millionen davon sind unter 25 Jahre alt. Darin liegt ein sozialer Sprengsatz, der zu gewalttätigen Jugendprotesten wie in Paris, London und jüngst in Stockholm führen kann. Die bislang von der EU bereitgestellten 6 Milliarden Euro zur Bekämfung der Jugendarbeitslosigkeit reichten nicht aus. Steinmeier fordert deshalb einen europäischen Rettungsschirm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Das Geld dafür ließe sich mit der Finanztransaktionssteuer einnehmen.
Junge Menschen müssen in Südeuropa eine Zukunft haben
Laura Garavini (PD), Mitglied des italienischen Parlaments, warnte davor , dass die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa Europa gefährdeten. Deutschlands Ansehen sei im Moment deshalb nicht gut, weil die Menschen im Süden kein Mitgefühl von den Deutschen erlebten. Die südeuropäischen Länder wollten nicht, dass andere ihre Probleme lösen, aber sie bräuchten Unterstützung, um es selbst tun zu können. Auch Italien wolle eine solide Haushaltspolitik. Dafür seien jedoch mehr Geduld und größere Spielräume nötig. Deutschland habe selbst dreimal die Defizitgrenze überschreiten müssen, dies müsse für eine begrenzte Zeit auch den Ländern Südeuropas zugestanden werden. Garavini sagte, es dürfe nicht sein, dass junge Menschen sich keine Zukunft in Südeuropa aufbauen können. Es sei auch nicht gut für diese Länder, wenn die junge Leute den Süden deshalb verlassen. Im Augenblick käme es in Italien darauf an, in kleine Projekte zu investieren, damit vor Ort Arbeitsplätze entstehen. Das Ziel einer gemeinsamen Sozialpolitik in Europa sollte langfristig verfolgt werden. Dabei käme darauf an, nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, sondern sich an den besten Lösungen in den Mitgliedsländern zu orientieren.Doch dafür brauche die Europapolitik mehr Sozialdemokratie. Vieles an der augenblicklichen Situation hätten die konservativ-wirtschaftsliberale Regierungen in Europa zu verantworten.
Jugendgarantie für Europas Jugendliche
Rudolf Hundstorfer (SPÖ), Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz der Republik Österreich, stellte klar, dass in der Sozialpolitik vieles durch nationales Recht geregelt werde. Deshalb lasse sich vieles wie z. B. das Rentenrecht nur langfristig in ein gemeinsames europäisches Sozialrecht überführen. Eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung könne es wegen der unterschiedlichen System frühestens in 20 bis 30 Jahren geben. Deshalb müssten Initiativen für Wachstum und Beschäftigung kurzfristig im Rechtsrahmen der jeweiligen Länder umgesetzt werden. Wichtig sei es einen aktivierenden Sozialstaat in Europa zu etablieren. Dazu gehöre die Jugendgarantie, ein Modell aus Österreich, mit dem neue Chancen und Perspektiven für Jugendliche in der EU geschaffen werden sollen. In Österreich beinhaltet die Jugendgarantie, dass kein Jugendlicher mehr als sechs Monate arbeitslos sein darf. Wer keinen Arbeitsplatz findet, kann sich weiterbilden, seinen Schulabschluss nachmachen oder einen höheren Schulabschluss erwerben. Jugendliche im Alter zwischen 15 und 19 Jahren erhalten eine Ausbildungsplatzgarantie. Außerdem werden Schülerinnen und Schüler ohne Perspektive in den letzten zehn Monate ihrer Schulzeit betreut, um ihnen Orientierung zu geben. Ein solches Programm sei zwar teuer sagte Hundstorfer, spare aber Geld, denn die Korrektur von Fehlentwicklungen im Nachhinein sei teurer. Nun müsse die Jugendgarantie angepasst auf die Ausbildungssysteme der Länder umgesetzt werden. Auch er halte die dafür vorgesehenen 6 Milliarden Euro für zu wenig. Ausgehend von den österreichischen Ausgaben müsste der europäische Etat für die Jugendgarantie auf mindestens 21 Milliarden erhöht werden. In Europa müsse in der Sozialpolitik enger zusammenarbeiten, dazu brauche es den Druck der Sozialdemokratie.
Mehr Politik für die Menschen in Europa
Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin und Bundestagsabgeordnete, berichtete, dass für sie bis vor wenigen Jahren Europa immer für hohe soziale Standards, gute Bildung und eine gute wirtschaftliche Entwicklung gestanden habe. Doch die Perspektive habe sich verschoben. Anstatt das soziale Europa weiterzuentwickeln, sei es in den letzten Jahren hauptsächlich darum gegangen kapitalistische Finanzstrukturen zu retten. Deshalb schauten junge Leute heute auch skeptisch auf Europa. Nahles sagte, Europa müsse auch gesamtwirtschaftlich vorankommen, sonst seien die jungen Leute, die durch die Jugendgarantie aufgefangen würden, im Anschluss wieder ohne Perspektive. Dazu bedürfe es einer neuen Grundausrichtung in der europäischen Wirtschaftspolitik. Dennoch sei es wichtig, junge Menschen durch Maßnahmen wie der Jugendgarantie zu helfen. Nahles unterstützt ausdrücklich den präventiven Ansatz der Jugengarantie. Sie verwies außerdem darauf, dass in Deutschland und Europa die Kluft zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklaffe. Europa müsse sich deshalb der Frage stellen, wie mit der Verteilungsungerechtigkeit umzugehen sei. Sie forderte ein, Europapolitik mehr auf die Bedürfnisse der Menschen auszurichten anstatt ausschließlich auf Sachzwänge. Das sei nicht gut für die Demokratie in Europa.
In ihrem Schlusswort wies die Europaabgeordnete, Jutta Steinruck darauf hin, dass es wichtig sei, in Europa miteinander zu reden, von einander zu lernen und die Probleme schließlich gemeinsam anzupacken. Moderiert wurde die Veranstaltung vom europapolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Roth.