Vor einigen Wochen hätte kaum jemand gedacht, dass auch Schwarz-Gelb versuchen wird, den Wiedereinstieg in den Atomausstieg zu schaffen – mal abgesehen von schwarz-gelber Symbolpolitik: Wie müsste jetzt eine echte Energiewende aussehen?

Ein wichtiger Schritt wäre die Wiederaufnahme der Energiewende, die es ja vor der Laufzeitverlängerung und vor Schwarz-Gelb längst gegeben hat. Die Bundesregierung hat nicht nur die Laufzeiten der ältesten Schrottmeiler verlängert, sondern ganz viele unserer Maßnahmen für Energieeffizienz und für Erneuerbare Energien gestoppt, gekürzt und gestrichen. Schwarz-Gelb hat die sozialdemokratische Erfolgsstory „Mehr Klimaschutz, mehr Arbeitsplätze“ damit massiv beschädigt.

Umweltminister Röttgen und Wirtschaftsminister Brüderle rühmen sich aber damit, im vergangenen Herbst das erste langfristig angelegte Energiekonzept für Deutschland aufgestellt zu haben. Widerspruch von Ihnen als Sozialdemokrat?

Minister Röttgen sollten wir mal zur Eiskunstlauf-WM schicken. Jemand, der in ein und derselben politischen Angelegenheit vierfache und fünffache Toeloops drehen kann, könnte Deutschland da ganz gut repräsentieren. Röttgen vertritt mit Verve und weit ausholenden Gesten innerhalb von 24 Stunden völlig gegensätzliche Positionen. Das so genannte Energiekonzept der Bundesregierung war eine Laufzeitverlängerung für die Atomkonzerne, garniert mit ein paar Stichworten außen rum. Mehr nicht. Wichtige Aspekte haben völlig gefehlt.

„Unser Ziel: sicher, sauber und bezahlbar.“

Im Bereich der Energieeffizienz gab es beispielsweise nur Lippenbekenntnisse, während gleichzeitig in anderen Gesetzen die Rahmenbedingungen verschlechtert wurden.

„Schwarz-Gelb hat die Erfolgsstory ‚mehr Klimaschutz, mehr Arbeitsplätze‘ massiv beschädigt.“

Unter der SPD-geführten Bundesregierung ist unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen worden. Ziel des Gesetzes war auch, die ökonomischen Chancen und die Job-potenziale des Klimaschutzes zu nutzen. Wie sieht die Bilanz dieser Politik heute aus?

Bei der Energiewende geht es immer auch um Arbeitsplätze. Wir erfüllen mit ihr unsere Klimaschutzverpflichtungen, wir werden wahrscheinlich sogar eine friedlichere Welt haben, weil es weniger Konflikte um Ressourcen gibt. Und gleichzeitig haben wir dadurch noch ökonomische Vorteile und schaffen neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Eine Kombination, die es sonst so nicht gibt – das ist das Spannende daran. Und das hat Schwarz-Gelb nie verstanden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz allein hat in Deutschland 350 000 neue Arbeitsplätze entstehen lassen. Und diese Zahl könnten wir in absehbarer Zeit verdoppeln, wenn wir auf dem eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und nicht abbremsen – wie CDU, CSU und FDP es jetzt machen. Aber auch im Bereich der energetischen Gebäudesanierung, die wir massiv gefördert haben, ist eine gute Viertelmillion Arbeitsplätze geschaffen und gesichert worden – auch hier streicht Röttgen die Förderprogramme um 60 Prozent zusammen.

Zur Energiefrage gehört immer auch die richtige Infrastruktur. Ist Deutschlands Infrastruktur für die Zukunft gut gewappnet?

Deutschlands Infrastruktur ist eindeutig nicht gut gewappnet für die Herausforderungen, die vor uns liegen. Weder bei den Kraftwerken, noch bei den Netzen, noch bei Gebäuden und auch nicht bei der Art und Weise, wie wir Verkehr organisieren. Die ganze Situation hat sich seit Amtsantritt von Schwarz-Gelb allein dadurch verschlechtert, dass keiner mehr wusste, in welche Richtung er investieren soll. Eine Volkswirtschaft, in der nicht mehr investiert wird, schrumpft und fällt zurück im Wettbewerb mit anderen. Chinesen, Koreaner und Japaner nehmen bei Investitionen in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz ebenso Tempo auf wie Brasilien oder einige US-Bundesstaaten. Und während diese Länder Fahrt aufnehmen, bremsen wir unter Schwarz-Gelb ab. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Warum nicht?

Bei den notwendigen Investitionen in die Infrastruktur sprechen wir über erkleckliche Summen. Über die Jahre hinweg werden das, alle Bereiche zusammen genommen, Hunderte Milliarden Euro sein. Investitionen in die Infrastruktur und in die Energiewende sind aber gute und wichtige Investitionen, die uns auch volkswirtschaftlich nach vorne bringen. Übrigens müsste Deutschland auch ohne Energiewende Milliarden investieren – in die Modernisierung überholter Atommeiler und fossiler Großkraftwerke. Ansonsten findet da unter Schwarz-Gelb bisher aber gar nichts statt. Das Wirtschaftsministerium ist ein Totalausfall. Und der Umweltminister denkt nur an die Schlagzeile von morgen, nicht aber an die Versorgungssicherheit von übermorgen oder bezahlbare Energie auch in zehn Jahren.

„Deutschlands Infrastruktur ist eindeutig nicht gut gewappnet für die Herausforderungen, die vor uns liegen.“

Sie sprechen von Investitionen in Milliardenhöhe – wird durch die Energiewende Strom zwangsläufig teurer? Oder ist das ein Mythos?

Energie wird teurer werden. Mit oder ohne Energiewende. Das ist ziemlich klar. Die fossilen Energieträger werden teurer, die nuklearen übrigens auch. Der neue finnische Reaktor, einer von zwei, die in Europa im Augenblick gebaut werden, wird subventioniert werden müssen, damit er seinen Strom überhaupt los wird. Auch eine Energiewende wird erstmal Kosten verursachen, weil sie Investitionen erfordert. Wir haben jetzt einige Jahrzehnte von der Substanz bestehender Kraftwerke gelebt. Die hätten ohnehin erneuert werden müssen. Auch unser Stromnetz muss so oder so erneuert werden. Jetzt geht es darum, so zu investieren, dass die Kosten insgesamt stabil bleiben: weil man nachher weniger Energie verbrauchen muss. Dann bleibt alles bezahlbar. Und genau darum geht es der sozialdemokratischen Energiepolitik. Wir setzen in Zukunft auf die preisstabilen Erneuerbaren Energien, wir wollen in der Übergangsphase mit modernisierten Kraftwerken arbeiten, und wir wollen dabei helfen, dass die Stromrechnungen dadurch klein bleiben, dass man insgesamt viel weniger Energie verbraucht. Dann haben wir unser Ziel erreicht: sicher, sauber und bezahlbar.

Wenn es um Export deutscher Technik geht, scheint Schwarz-Gelb da vor allem an die Atomtechnik zu denken. Und die SPD-Bundestagsfraktion?

In der Tat. Schwarz-Gelb hat selbst staatliche Hermes-Bürgschaften für Atomkraftwerke in Erdbebengebieten genehmigt – und es soll noch weitere geben. Das werden wir weiterhin bekämpfen. Ich glaube, die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrer Politik gezeigt, dass Deutschland viel erfolgreicher ist, wenn auch andernorts unsere Technologie für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz eingesetzt wird. Wie gesagt: 350 000 Arbeitsplätze sind so entstanden – die gesamte Atomindustrie stellt gerade einmal 30 000 Arbeitsplätze. Wir in Deutschland zehren momentan noch von einem Technologievorsprung aus sozialdemokratischer Regierungszeit, aber die heutige Regierung füttert nicht mehr nach. Das ist der Fehler von Schwarz-Gelb.

Für einige wird die Energiewende möglicherweise auch den Verlust des angestammten Arbeitsplatzes bedeuten. Gibt es für diese Menschen eine Perspektive?

„Eine Volkswirtschaft, in der nicht mehr investiert wird, schrumpft.“  

Wir werden bei der Energiewende erleben, dass bestimmte Branchen schrumpfen. Das fängt mit der Kernenergie an. Die Atomwirtschaft hat Zusagen gemacht, dass jeder Beschäftigte aus einem Atomkraftwerk, das ausläuft, eine Ersatzbeschäftigung bekommt. Aber auch andere Branchen werden im Zuge der Energiewende schrumpfen – das ist normal in der Wirtschaft. Wir sind uns ganz sicher, dass die Arbeitsplatzeffekte der Energiewende unterm Strich positiv sind. Die Sozialdemokratie wird aber in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften dafür sorgen müssen, dass nachher nicht nur eine schwarze Null unter der Stellenbilanz steht. Wir wollen auch sicherstellen, dass die Menschen, die in einer schrumpfenden Branche beschäftigt sind, mit ihren hohen Qualifikationen in eine der wachsenden Branchen wechseln können. Wie können wir das fördern? Wie organisieren wir das für jeden einzelnen Beschäftigten? Und wie helfen wir Regionen, die zurzeit noch von den künftig schrumpfenden Branchen leben? Wie sorgen wir dafür, dass gerade dort Neues wachsen kann? Wir sind die einzige Partei, die auch diese Fragen in ihren Energieprogrammen berücksichtigt. Das ist der Strukturwandel, den die Politik steuern und unterstützen muss.

Das Interview ist in der Ausgabe 3/2011 der Zeitung “Gute Arbeit” erschienen.

 

Sicher, sauber und bezahlbar...

...ist das Credo moderner sozialdemokratischer Energiepolitik. Während Schwarz-Gelb mit dem „Atom-Moratorium“ auf die Verzögerungstaktik setzt, zeigt die SPD-Bundestagsfraktion, was jetzt getan werden muss, um die Energiewende zu schaffen. Die beiden Fraktions-Anträge „Energiewende jetzt“ und „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen, effizienten, bezahlbaren und sicheren Energiesystem“ liegen dem Bundestag vor und machen deutlich: Die Energiewende ist auch für ein Industrieland wie Deutschland machbar und finanzierbar. Wichtiger Eckpunkt: Der Energiemarkt muss sich für einen zunehmenden Anteil variabel und dezentral eingespeisten Stroms aus direkt vermarkteten Erneuerbaren Energien öffnen.

Investieren in die Infrastruktur

Damit das gelingt, setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion unter an derem dafür ein, dass alle Akteure der deutschen Energieversorgung an einem Runden Tisch „Energiesystem“ zusammenkommen. „Deutschlands Infrastruktur ist eindeutig nicht gut gewappnet für die Herausforderungen, die vor uns liegen“, meint der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber: weder bei Kraftwerken noch bei den Stromnetzen oder der Gebäudestruktur und auch nicht beim Verkehr. „Die ganze Situation hat sich seit Amtsantritt von Schwarz-Gelb allein dadurch verschlechtert, dass keiner mehr wusste, in welche Richtung er investieren soll“, kritisiert Kelber. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich deshalb auch für einen zukunftsfähigen Investitions- und Infrastrukturkonsens ein. Er soll sowohl Investitionen und Finanzierung als auch die gesellschaftliche Akzeptanz für wichtige Infrastrukturprojekte sichern.

Konsequent und transparent  

Die SPD-Bundestagsfraktion ist auch überzeugt: Diese gesellschaftliche Akzeptanz kann nur gelingen, wenn die künftige Infrastruktur- und Energiepolitik wieder öffentlich und in demokratisch gewählten Gremien stattfindet – und nicht über Geheimverträge und Hinterzimmer-Deals. Ein neuer Energiekonsens nebst Atomausstieg muss gemeinsam mit allen Fraktionen im Bundestag erarbeitet und nicht in andere Gremien ausgelagert werden. Die SPDBundestagsfraktion hat deshalb einen Gesetzentwurf für eine beschleunigte Stilllegung von Atomkraftwerken vorgelegt und einen Sonderausschuss des Bundestags zum Thema vorgeschlagen.