Wer heute über die digitale Revolution diskutiert, findet sich schnell in einem Glaubenskampf wieder. Auf der einen Seite gibt es Tech-Optimisten, die glauben, dass es für jedes gesellschaftliche Problem eine technische Lösung gibt. Auf der anderen Seite stehen die Pessimisten, die in der Digitalisierung den Abbau von Arbeitsplätzen und Sozialstandards sehen. Wer hat Recht?
Der amerikanische Historiker Melvin Kranzberg hat hierauf eine elegante Antwort gegeben. „Technologie ist weder gut noch schlecht. Noch ist sie neutral.“ Dem stimme ich zu. Technologie ist, was wir daraus machen. Es ist die Aufgabe sozialdemokratischer Politik, dafür zu sorgen, dass die ganze Gesellschaft von der Digitalisierung profitiert. Nicht bloß einige Multi-Milliardäre.
Um die Bedeutung der digitalen Revolution richtig einzuschätzen, sollten wir einen Blick in die Geschichtewerfen. Es gibt nämlich bemerkenswerte Parallelen zwischen der industriellen und der digitalen Revolution.
Wie im 19. Jahrhundert erleben wir heute eine neue Goldgräberstimmung, geniale Geschäftsideen und unfassbare Gewinne. Damals waren es Dampfmaschinen und Lokomotiven, die die bestehende Wirtschaftsordnung umkrempeln. Heute sind es Algorithmen und künstliche Intelligenz. Neue Monopole und Mega-Konzerne entstehen,die den Regierungen vieler Staaten an Reichtum und Macht in Nichts nachstehen. Wie zur Zeit der industriellen Revolution werden manche Jobs wegautomatisiert, während neue entstehen – die strukturelle Veränderung von Arbeit hat längstbegonnen. Gleichzeitig bekommen aber auch immer mehr Menschen Zugang zu Informationen, Produkten und Dienstleistungen, die sich vormals nur Wenige leisten konnten. Licht und Schatten, beides findet zugleich statt.
Google und Co. haben das Internet monopolisiert
Der Börsenwert von Facebook, Amazon, Apple, Google und Netflix macht mittlerweile über 27 Prozent des US-Technologieindex NASDAQ aus. Aus kleinen kalifornischen Startups sind innerhalb kürzester Zeit die mächtigsten Konzerne der Welt geworden. Warum? Weil sie komfortable und vor allem entgeltfreie Dienste zur Verfügung stellen, die die Menschen nicht missen wollen: Videos auf Youtube schauen, per Facebook mit Freunden treffen und mit GoogleMaps den richtigen Weg finden. Keine Frage: Das Internet macht unser Leben einfacher und bequemer. Und je mehr Menschen, diese Plattformen nutzen, umso attraktiver werden sie.
Dass am Ende nur einige wenige Internet-Riesen übrig bleiben, liegt aber nicht alleine an diesem Netzwerk-Effekt. Es liegt auch daran, dass die Internet-Monopolisten ihre marktbeherrschende Stellung brachial ausnutzen. Denken wir an Google. Der Konzern dominiert den Suchmaschinenmarkt (85 Prozent), mobile Betriebssysteme (Android, 85 Prozent) und Web Browser (66 Prozent). Die Marktmacht des Konzerns ist enorm. Und die Kalifornier aus Mountain View wissen genau, wie sie aus ihrer Monopolstellung Profit schlagen können.
Mitte Juli verhängte die EU-Kommission eine Rekordstrafe von 4,3 Milliarden Euro gegen den Konzern. Die größte Kartell-Strafe, die jemals gegen ein Unternehmen verhängt wurde. Der Grund: Google missbraucht seine Marktmacht, indem es Handy-Hersteller und Netzbetreiber vor eine einfache Wahl stellt: Wer das kostenlose Google-Betriebssystem Android auf seinem Gerät nutzt, muss auch alle anderen wichtigen Google-Dienste vorinstallieren. Das Ergebnis ist, dass auf mehr als 85 Prozent aller Handys nicht nur Android läuft, sondern fast immer auch die entsprechenden Google Programme wie Google Maps, Mail und Search.
Für Google ist das praktisch. Denn wer die Dienste von Google nutzt, der produziert die Daten, mit denen der Konzern seine Riesengewinne macht. Wonach wir im Internet suchen, welche Seiten wir aufrufen und wofür wir uns interessieren: Mit all diesen Informationen werden wir digital vermessen und bewertet. Und auf dieser Basis entstehen neue
Geschäftsideen, Dienstleistungen und ganz banal: Personalisierte Werbung im Internet.
Daten sind der Rohstoff der Internet-Ökonomie. Mehr Daten führen zu besseren Produkten und damit größeren Profiten. Wer die Daten hat, hat den Schlüssel für zukünftige Erfolge. Wer keine Daten hat, geht leer aus. Und genau hier liegt das Problem: Denn die Daten dieser Welt werden von einigen wenigen Internet-Konzernen monopolisiert, die ihre heute schon beträchtliche Marktmacht auch in Zukunft sichern. Die Platzhirsche des digitalen Kapitalismus untergraben so allerdings den fairen Wettbewerb unserer sozialenMarktwirtschaft – zum Schaden der Arbeitnehmer, Unternehmen und am Ende auch der Verbraucher.
Einzelhändler können zum Beispiel kaum mehr anders, als ihre Produkte auf der Plattform Amazon anzubieten, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. Denn Amazon ist mit Abstand das größte Kaufhaus des Internets. Wer hier nicht vertreten ist, zieht den Kürzeren.
Für den amerikanischen Multi ist das ein gutes Geschäft. Er verdient an jedem Verkauf mit. Er bestimmt eigenmächtig, wer nach welchen Regeln auf seiner Plattform handelt. Und gewinnt mit jeder Suche und jedem Verkauf neue Daten.Welche Produkte sind gefragt, zu welchem Preis geht was über die virtuelle Ladentheke? In lukrative Produktbereiche kann der Konzern anschließend selbst einsteigen. Amazon ist damit nicht nur Marktteilnehmer. Amazon ist der Markt. Dagegen hat kein Konkurrent eine Chance.
Die Lehre daraus ist: Von unten sind Imperien wie Google undAmazon nicht zu schlagen. Kein Start-Up kann es mit der Daten-Power und Portokasse dieser Internet-Supermächte aufnehmen. Wer Glück hat, dessen Unternehmen wird von einem der großen Internet-Wale geschluckt. Wer Pech hat, dessen Ideen werden einfach abgekupfert. Auf der Strecke bleiben innovative Unternehmen, die auf einem funktionierenden Markt eine Chance gehabt hätten. Von den unzähligen Kunden und Nutzern ganz zu schweigen, die von mehr Auswahl und Innovation profitieren würden.
Den digitalen Kapitalismus zähmen
Die Digitalisierungsdividende muss unserer ganzen Gesellschaft zugutekommen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung: Wir müssen den Internet-Riesen Grenzen setzen, wenn sie die Prinzipien unserer sozialen Marktwirtschaft verletzen.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz geht zum Beispiel mit aller Macht gegen den weitverbreiteten Umsatzsteuerbetrug auf Amazon vor. Künftig haften Plattformbetreiber mit ihrem eigenen Geld dafür, wenn Händler aus Drittstaaten keine Umsatzsteuer abführen. Das ist eine gute Nachricht für allesteuerehrlichen Unternehmen aus Deutschland, die nicht länger unter unfairem Preiswettbewerb leiden müssen. Und es macht noch einmal klar: Wer eine Internet-Plattform betreibt, der ist auch dafür verantwortlich, was auf seiner Plattform geschieht.
Wenn wir künftig verhindern wollen, dass Google und Co. ihre Monopolstellung zulasten von Unternehmen und Verbrauchern ausnutzen, brauchen wir dafür innovative Instrumente. Ein neues Daten-für-Alle-Gesetz könnte dabei der entscheidende Hebel sein:
Sobald ein Digitalunternehmen einen festgelegten Marktanteil für eine bestimmte Zeit überschreitet, ist es verpflichtet, einen anonymisierten und repräsentativen Teil seines Datenschatzes öffentlich zu teilen. Mit diesen Daten können dann andere Unternehmen und Start-Ups eigene Ideen entwickeln und als Produkt an den Markt bringen. Die Daten gehören dann nicht mehr exklusiv Google, sondern allen.
Ein Daten-für-Alle-Gesetz würde den Wettbewerbsdruck auf die Internet-Multis deutlich erhöhen, die Innovationskraft der IT-Branche entfesseln und die Marktmacht von Daten-Monopolisten wie Google und Amazon brechen. Das Prinzip hinter dem Daten-für-Alle-Gesetz ist zudem bekannt und bewährt. Im Pharmabereich dürfen Medikamente nach Ablauf eines Patents von Mitbewerbern nachgeahmt und verkauft werden. Das System funktioniert.
Darüber hinaus müssen wir schneller auf Entwicklungen im Internet reagieren. Es ist richtig, dass die EU-Kommission gegen Googles unfaire Marktpraktiken durchgreift. EU-Kartellrechts-Verfahren sind wichtig, dauern aber oft viele Jahre. Wir müssen deswegen verhindern, dass Kartellstrafen nicht einfach in Kauf genommen werden, wenn den Mitbewerbern dafür im Gegenzug die finanzielle Puste ausgeht. In solchen Situationen brauchen wir schnell umzusetzende Auflagen, die den fairen Wettbewerb kurzfristig sicherstellen.
Sollten sich die Internet-Multis ihrer Verantwortung für die soziale Marktwirtschaft und den fairen Wettbewerb nicht stellen, werden wir in der EU darüber diskutieren müssen, ob eine Aufspaltung der Konzerne notwendig ist. Aus heutiger Sicht war es z.B. eine schlechte Idee, dass Facebook und Google erlaubt wurde, potenzielle Konkurrenten wie Whatsapp und Waze zu übernehmen. Es wäre kein präzedenzloser Schritt, solche Fusionen notfalls wieder rückgängig zu machen und die Monopolisten aufzuspalten.Die Internet-Multis sollten daher ein wohlverstandenes Eigeninteresse haben, die Kritik an ihren Geschäftsmodellenernst zu nehmen. Dass Facebook inzwischen öffentlich Fehler einräumt, ist hoffentlich ein erstes Zeichen des Umdenkens.
Letztlich wird die Digitalisierung erst dann ihr positives Potenzial entfalten, wenn sie im Dienst der gesamten Gesellschaft steht, anstatt einiger weniger Profiteure. Wir müssen verhindern, dass die Gewinne der Digitalisierung privatisiert werden, während die Gesellschaft die Folgekosten trägt. Es ist die Aufgabe demokratischer Politik, Regeln für Wirtschaft und Gesellschaft zum Wohle der Allgemeinheit festzulegen. Diesen Auftrag nimmt die SPD an.