Menschen mit Behinderungen sollen ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben führen können – so wie alle anderen auch. Das ist der Grundgedanke von Inklusion. Und das ist das Ziel des Bundesteilhabegesetzes, das der Bundestag am Donnerstag beschlossen hat (Drs. 18/9522, 18/9954, 18/10102 Nr. 16). Kern des Gesetzes ist, dass die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe ausgegliedert wird.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast sprach im Bundestag von der größten Sozialreform seit 15 Jahren. „Das Gesetz verbessert das Leben der Menschen mit Behinderungen und ihrer Angehörigen substanziell.“

Mehr Spielräume für Vermögensaufbau

SPD-Fraktionsvizin Carola Reimann nannte das Gesetz einen „Wendepunkt in der Behindertenpolitik“. Künftig werde der Blick nicht mehr darauf gerichtet, was Menschen mit Behinderungen nicht können, sondern darauf, was sie zu leisten im Stande seien.

Fachleistungen der Eingliederungshilfe werden künftig klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt. Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen sollen deutlich mehr finanziellen Spielraum erhalten. Bisher konnten erwerbstätige behinderte Menschen, die Eingliederungshilfe beziehen, praktisch kein eigenes Vermögen aufbauen. Sämtliche Beträge über 2600 Euro wurden auf die Sozialleistungen angerechnet. Jetzt wird diese Vermögensfreigrenze verzehnfacht. 2020 soll sie auf rund 50.000 Euro angehoben werden. Auch Partnereinkommen und -vermögen werden dabei nicht mehr angerechnet.

Das Budget für Arbeit soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am ersten Arbeitsmarkt verbessern. Zudem werden Reha-Leistungen wie aus einer Hand erbracht. Ein einziger Reha-Antrag reicht dann aus, um ein umfassendes Prüf- und Endscheidungsverfahren in Gang zu setzen.

Koalition reagiert auf Kritik

Katja Mast lobte den umfangreichen Beteiligungsprozess und die intensiven Diskussionen, die es im Vorfeld gegeben habe. Das zeige: „Menschen mit Behinderungen sind aktive politische Akteure, sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Die Verbände von Menschen mit Behinderungen hatten nach Vorlage des Gesetzentwurfs Kritik geäußert. Die Koalitionsfraktionen haben darauf reagiert und in den vergangenen Wochen entscheidende Verbesserungen vorgenommen. Die Behindertenverbände haben diese Korrekturen am Gesetz begrüßt.

Dazu gehört, dass der Zugang zur Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt wird, sondern die derzeitigen Zugangskriterien bis zum 1.1.2023 bestehen und erst nach einer gründlichen Evaluierung und einer Erprobungsphase durch neue ersetzt werden. Zudem werden Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflege weiterhin gleichrangig nebeneinander stehen. Auch das Wunsch- und Wahlrecht wird gegenüber dem Gesetzentwurf weiter gestärkt. Wünsche zur Wohnform und damit verbundene Assistenzleistungen im Bereich der persönlichen Lebensgestaltung werden besser berücksichtigt. Ambulantes Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen hat außerdem Vorrang, wenn Betroffene das wünschen.

Zudem ist es der SPD-Fraktion gelungen, auch den Vermögensfreibetrag für Menschen, die Sozialhilfe beziehen, von derzeit 2600 Euro auf 5000 Euro anzuheben und damit die finanziellen Spielräume von vielen Werkstattbeschäftigten oder Beziehern von Blindenhilfe auszuweiten.

„Für uns als Sozialdemokraten ist wichtig, dass wir das Selbstbestimmungsrecht der Menschen stärken“, sagte dazu die Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen der SPD-Fraktion Kerstin Tack. Diese Regelung betreffe zudem alle Menschen, die Grundsicherung bezögen, also auch diejenigen ohne Behinderung. „Das ist ein echter sozialpolitischer Erfolg.“

Das Bundesteilhabegesetz sei ein wichtiger Schritt hin zur weiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, betonte Kerstin Tack. „Weitere Schritte müssen und werden folgen.“

Gero Fischer