Wir wollen in der Europäischen Union einen Einklang zwischen wirtschaftlicher Dynamik und sozialer Verantwortung herstellen. Wir müssen die Chancen der Globalisierung im Interesse Europas und unseres Landes besser nutzen und die Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs meistern. Handlungsmaßstab für unsere Politik ist es dabei, die Menschen vor unerwünschten Auswirkungen auf ihre soziale Absicherung, ihre wirtschaftliche Basis und ihre Lebensplanung zu schützen.

Bundestag und Bundesregierung haben am 22. September 2006 mit großer Mehrheit eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union (BVV) geschlossen. Durch die getroffene Vereinbarung sollten die Informations- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages erheblich ausgeweitet und gestärkt werden. Hierzu zählt beispielsweise die Übermittlung von Dokumenten und Berichten sowohl der Gemeinschaftsorgane Kommission und Rat als auch der Bundesregierung zu europäischen Aktivitäten. Zugleich sind Stellungnahmen des Deutschen Bundestages verbindliche Grundlage für die Verhandlungen der Bundesregierung im EU-Ministerrat. Diese Chance, Europapolitik für die Menschen in unserem Land transparenter zu gestalten, ist durch die Initiative der SPD-Bundestagfraktion möglich geworden. Die Umsetzung der BVV war in den vergangenen zwei Jahren Gegenstand eines ständigen Monitoring-Prozesses durch die Bundestagsverwaltung und die Fraktionen. Ende Mai 2009 haben wir durch den Koalitionsantrag "Vereinbarung über Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union (BBV) ist einzigartig in Europa - Auslegungsfragen müssen geklärt, noch bestehende Defizite beseitigt werden" versucht, bestehende Mängel der BVV zu beseitigen.

Mit der Einigung auf den Vertrag von Lissabon ist es gelungen, den Stillstand im europäischen Reformprozess zu überwinden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am 13. Dezember 2007 den Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Der Vertrag ist formal, wie seine Vorgänger von Maastricht, Amsterdam und Nizza, ein Änderungsvertrag. Mit ihm sollen die wesentlichen Neuerungen in das bestehende Vertragssystem überführt werden.

Der Vertrag von Lissabon soll die Europäische Union demokratischer, transparenter und effizienter machen. Er stärkt die Handlungsfähigkeit der erweiterten Europäischen Union insgesamt als auch ihrer Organe nach innen und nach außen und verbessert die demokratische Legitimation über das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente deutlich: Die Mehrheitsentscheidungen im Rat werden Normalfall und die Möglichkeit einzelner Mitgliedstaaten, die EU durch ein Veto zu blockieren, deutlich eingeschränkt. Einstimmige Beschlüsse sind zukünftig nur noch in besonderen Fragen, wie der Finanz- und Steuerpolitik und in der Außen- und Sicherheitspolitik, vorgesehen. Zugleich wird das Europäische Parlament durch Einführung der Mitentscheidung als Regelverfahren und die nationalen Parlamente und mit ihnen das Demokratieprinzip gestärkt. Durch die Möglichkeit zur Subsidiaritätseinrede und durch die Subsidiaritätsklage erfahren die nationalen Parlamente eine Aufwertung. Durch den Vertrag von Lissabon wird aber auch die soziale Dimension der Europä­ischen Union gestärkt. So betont der Vertrag die soziale Marktwirtschaft mit Preisstabilität und Vollbeschäftigung als zentrales Ziel der Union. Einer reinen Wettbewerbsausrichtung wird damit eine klare Absage erteilt.

Wir haben mit dem Gesetz zum Vertrag von Lissabon die von deutscher Seite erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geschaffen. Für die Wahrnehmung der Rechte bei der Subsidiaritätskontrolle sowie bei institutionellen Entscheidungen schafft das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (sog. Begleitgesetz) die innerstaatlichen Voraussetzungen. Die entsprechenden erforderlichen Änderungen des Grundgesetzes wurden durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23 und 45 und 93) vorgenommen.

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 30. Juni 2009 entschieden, dass das Begleitgesetz nicht konform mit dem Grundgesetz ist. Nach Ansicht der Verfassungsrichter sind in dem Begleitgesetz nach wie vor die Beteiligungsrechte des Bundestages und des Bundesrates nicht im erforderlichen Umfang ausgestaltet. Insgesamt bestätigt das BVerfG damit unser langjähriges Streben nach einer besseren Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages. Damit der Ratifizierungsprozess des Vertrages von Lissabon in Deutschland noch rechtzeitig vor dem zweiten Referendum in Irland am 4. Oktober 2009 abgeschlossen werden kann, wird nun über die Sommerpause ein entsprechendes Gesetz vorbereitet, das Anfang September 2009 durch den Deutschen Bundestag verabschiedet werden soll.

Zu Beginn des Jahres 2007 hat der Bundestag ein Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel eingerichtet. Das Verbindungsbüro soll ebenfalls zu einer Verbesserung der Europafähigkeit des Bundestages beitragen. Jede im Bundestag vertretene Fraktion hat hierfür Mitarbeiter nach Brüssel entsandt. Aufgabe des Verbindungsbüros ist, möglichst ausführliche und aktuelle Informationen über EU-Vorhaben zu beschaffen und das dafür notwendige Informationsnetzwerk, also Kontakte zu den Institutionen und Gremien der Europäischen Union, insbesondere zum Europäischen Parlament, zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union und den Vertretungen der Bundesländer auszubauen. So kann zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die europäische Gesetzgebung beobachtet und mitgestaltet werden.

Im Dezember 2006 ist die EU-Dienstleistungsrichtlinie in Kraft getreten. Die Mitgliedsstaaten müssen die Vorschriften nun bis zum 28. Dezember 2009 in nationales Recht umsetzen. Durch eine frühzeitige Befassung mit dem Thema und durch zielgerichtete Verhandlungen ist es der SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament gelungen, den ursprünglichen Entwurf maßgeblich zu verändern. Dies war ein wichtiger Etappensieg auf dem Weg zu einer sozial verträglichen Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte. Das ursprünglich von der EU-Kommission geplante Herkunftslandprinzip ist nicht mehr in der Richtlinie enthalten. Mit dem jetzt verankerten Prinzip des freien Marktzugangs für Dienstleistungen wurde ein Rahmen geschaffen, der das notwendige Gleichgewicht zwischen einer im gemeinsamen Binnenmarkt notwendigen Marktöffnung und der Sicherstellung angemessener Lohn-, Sozial- und Umweltstandards ermöglicht. Insbesondere wurde klargestellt, dass das Sozial- und Arbeitsrecht in den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie nicht berührt wird. Der gefundene Kompromiss ist das Ergebnis sozialdemokratischer Überzeugungsarbeit auf europäischer Ebene.

In die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2007 fiel der 50. Jahrestag des Bestehens der so genannten "Römischen Verträge". Am 25. März 1957 unterzeichneten sechs europäische Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien sowie Belgien, die Niederlande und Luxemburg in Rom die Römischen Verträge. Dieses 50. Jubiläum hat der Deutsche Bundestag im März 2007 mit einer Debatte begleitet. Aus Anlass des Jahrestages haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und die Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments im März 2007 zu einem Festakt in Berlin getroffen. Dort haben sie die sog. "Berliner Erklärung" unterzeichnet. Diese Erklärung würdigt die historischen Leistungen der Europäischen Union für Frieden und Demokratie. Darüber hinaus skizziert sie den Weg, wie sich Europa auf seine zentralen Herausforderungen vorbereiten will.

Die mit den Römischen Verträgen auf den Weg gebrachte Gemeinschaft ist inzwischen zu einer Union von 27 europäischen Staaten angewachsen. Im Oktober 2006 hat der Deutsche Bundestag den Vertrag für den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union in Deutschland ratifiziert. Die beiden Staaten sind seit dem 1. Januar 2007 Mitglieder der Europäischen Union. Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese Beitritte begleitet und unterstützt, dies auch durch einen fraktionsübergreifenden Antrag "EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Erfolg führen".

Die Beitritte Bulgariens und Rumäniens waren sowohl im europäischen als auch im deutschen Interesse. Ein besonderes Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion ist nach wie vor die Heranführung der Türkei an die Europäische Union. Selbstverständlich müssen bei der Erweiterung die geltenden Beitrittskriterien eingehalten werden. Die Türkei kann eine wichtige Brücke zu islamischen Staaten sein.

Im April 2008 haben wir das Gesetz zu dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften beschlossen. Der Artikel 269 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft bestimmt, dass der Haushalt der Europäischen Union vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird. Das System der Eigenmittel, d. h. die Struktur der Finanzierung und die Verteilung der finanziellen Lasten zwischen den Mitgliedstaaten, legt der Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der Kommission fest. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist es gelungen, die förmliche Verabschiedung des neuen Eigenmittelbeschlusses am 7. Juni 2007 zu erreichen. Er ersetzt den entsprechenden Beschluss vom 29. September 2000. Ziel ist es, die Lasten innerhalb der Europäischen Union gerechter zu verteilen. Kein Mitgliedstaat soll, gemessen an seinem relativen Wohlstand, überhöhte Haushaltsbelastungen schultern. Dazu werden spezielle Ausgleichsregelungen getroffen und die Korrektur zugunsten des Vereinigten Königreichs (sog. Britenrabatt) reduziert. Für Deutschland ergeben sich insgesamt geringere Eigenmittelabführungen von durchschnittlich knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat ein Eckpunktepapier für eine kohärente Migrationspolitik in Deutschland und in Europa erarbeitet. Migration ist für unser Land eine alltägliche Realität. Eine moderne Migrationspolitik muss zwei Herausforderungen annehmen: Wir müssen Zuwanderungsprozesse steuern und gestalten, ohne unsere humanitären Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Flüchtlingsschutzes zu vernachlässigen. Und wir müssen die Integration der Migrantinnen und Migranten als eine wichtige Daueraufgabe der Politik und der Gesellschaft insgesamt begreifen.

Wir benötigen eine kohärente Migrationspolitik. In einer europäischen Gemeinschaft ohne Binnengrenzen ist eine gemeinsame, aufeinander abgestimmte europäische Zuwanderungs- und Asylpolitik zwingend. Dabei gilt der Grundsatz: "Soviel einheitliche, vergemeinschaftete Politik wie möglich und soviel nationale Besonderheiten wie nötig". Das heißt, dass wir umfassende Konzepte brauchen, die die wirtschafts-, entwicklungs-, sozial- und sicherheitspolitische Erwägungen und verschiedene Zuwanderungsgeschichten miteinander verknüpfen. Die Entwicklung eines umfassenden Systems der Zuwanderungssteuerung ist für uns daher eine Aufgabe mit hoher politischer Priorität.

Mit unserem Positionspapier "Europa 2020" haben wir unsere Strategie für Wohlstand und Vollbeschäftigung in Europa vorgestellt. Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig gestalten, das ist das Ziel. Diese Strategie soll die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung aus dem Jahre 2000 ablösen, die im Jahr 2010 ausläuft. Es geht darum, den Kurs Europas und seiner Mitgliedstaaten für die kommenden zehn Jahre zu bestimmen. Die EU braucht eine wirksame Strategie, die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Wohlstand, sozialen Schutz und Beschäftigung dauerhaft sichert und mit dem Schutz natürlicher Ressourcen verbindet. Umsetzen wollen wir die Strategie in enger Zusammenarbeit mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern. Eine zentrale Rolle spielen dabei die nationalen Parlamente, die einen wichtigen Beitrag leisten können, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Trotz Wirtschafts- und Finanzkrise setzen wir weiter auf Wohlstand und Vollbeschäftigung in Europa.

In Einklang mit den Beschlüssen des Europäischen Rates vom Dezember 2005 hat die EU-Kommission im Oktober 2007 mit einem Grünbuch zur Haushaltsrevision eine Diskussion über die zukünftige Struktur des EU-Finanzrahmens angestoßen. Zu diesem Konsultationsverfahren hat die SPD-Bundestagsfraktion mit einem Positionspapier zur Zukunft des EU-Finanzrahmens Stellung bezogen. Unsere wesentlichen Forderungen sind dabei u.a. eine Vereinfachung der Einnahmestruktur durch die Abschaffung des Mehrwertsteuer-Anteils und die Fokussierung auf den BNE-basierten Beitrag zum Haushalt, die Abschaffung des Briten-Rabatts zugunsten eines allgemeinen Ausgleichsmechanismus zur Vermeidung übermäßiger Ungleichgewichte bei den Nettosalden, die Umstrukturierung der Ausgaben zugunsten von Maßnahmen, die sich an der Lissabon-Strategie orientieren sowie der Abbau der Ausgaben für die Subventionierung von Produktion in der Landwirtschaft.

Die Gemeinsame Agrarpolitik soll zukünftig vor allem die Entwicklung der ländlichen Räume und die nachhaltige Landnutzung im Sinne der Lissabon-Strategie und der Göteborg-Strategie fördern. Zugleich muss die Strukturpolitik in den strukturschwachen Regionen durch eine zielgerichtete Förderung wirtschaftliche Prozesse nachhaltig anschieben. Anstelle des Briten-Rabatts und diverser Sonderregelungen für andere Mitgliedstaaten fordern wir einen allgemeinen Korrekturmechanismus, der nicht gerechtfertigten Ungleichgewichten entgegenwirkt, unabhängig davon, welches Land betroffen ist. Das Verschuldungsverbot für die EU muss erhalten bleiben. Zur Umsetzung unseres perspektivischen Ziels einer eigenen Einnahmequelle, vorzugsweise in Form einer europäischen Körperschaftssteuer, bedarf es noch weitergehender Diskussion. Gegenwärtig bietet sich diese Option nach unserer Auffassung noch nicht an.

Der im Dezember 2008 vorgelegte Vorschlag für eine EU-Richtlinie zum Mutterschutz war Gegenstand eines Fraktionsbeschlusses zur Mutterschutzrichtlinie am 12. Mai 2009. Während die Bundesregierung unter Federführung des Bundesfamilienministeriums die im Richtlinienvorschlag vorgesehene Verlängerung des Mutterschutzes von 14 auf 18 Wochen ablehnt, hat sich die Fraktion mit ihrem Beschluss deutlich dafür ausgesprochen. Die Ausweitung des Mutterschutzes sehen wir als konkretes Vorhaben zur Stärkung des sozialen Europas. Zugleich hat sich die Fraktion in ihrem Beschluss für stärkere Anreize zu mehr Partnerschaftlichkeit ausgesprochen. Hierfür sollten zusätzliche Partnermonate eingeführt werden, die in den ersten zwei Monaten nach der Geburt eines Kindes genommen werden sollten. Wir begrüßen außerdem den Vorschlag eines Kündigungsschutzes von 6 Monaten. Gerade der Kündigungsschutz ist für die betroffenen Frauen besonders wichtig.