Kontinuität und Grundkonsens
Zwischen 1998 und 2002 hat die rot-grüne Regierung wichtige Weichenstellungen getroffen, die auch während der Großen Koalition weiterhin Gültigkeit hatten. Aus den Balkankriegen der neunziger Jahre heraus entstand eine wirkliche europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit entsprechenden zivilen und militärischen Fähigkeiten, an deren Schaffung wir uns aktiv beteiligt haben. Als Antwort auf diese Konflikte bekamen die Westbalkanstaaten 1999 auf deutsche Initiative hin zunächst den Stabilitätspakt. Im Juni 2003 erhielten sie auf dem Europäischen Rat von Thessaloniki eine verbindliche EU-Beitrittsperspektive. Das hat sich bis heute als europäische Friedenspolitik bewährt. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat sich bislang nicht eindeutig zu dieser Beitrittsperspektive bekannt.
Bis heute gültig ist auch die wertebezogene europäische Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003, in die auch wichtige Prinzipien, die wir erarbeitet haben, eingegangen sind. Die SPD hat während ihrer elfjährigen Regierungszeit viele Initiativen für eine präventive Friedenspolitik auf den Weg gebracht. Dazu gehören: Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), der Aufbau des zivilen Friedensdienstes, der Aktionsplan für zivile Krisenprävention, die Aufwertung der Menschenrechtspolitik, die Unterstützung der Vereinten Nationen und die Erweiterung der Entwicklungszusammenarbeit, die wir als globale Prävention verstehen. All das hat den Wechsel von 2005 in die Große Koalition dank des sozialdemokratischen Engagements schadlos überstanden und ist in den vergangenen vier Jahren weiterentwickelt worden.
Schwarz-Gelb bricht mit bisherigem Grundkonsens
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP zeigt sich leider, dass die jetzige Bundesregierung im Begriff ist, einen Bruch mit dem bisherigen Grundkonsens zu vollziehen. Das kann an folgenden vier konkreten Punkten aufgezeigt werden:
Erstens: Parlamentsbeteiligungsgesetz
Der Koalitionsvertrag kündigt Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes bei Auslandseinsätzen und die Schaffung eines Vertrauensgremiums an. Das stützt sich auf die widerlegbare Behauptung, dass bei der jetzigen Regelung eine zeitnahe und ausreichende Information des Parlaments in bestimmten Fällen nicht gesichert sei. Tatsächlich hat es dafür in der Vergangenheit nicht ein einziges Beispiel in Form eines Problems gegeben.
Wir warnen vor einer Aufweichung oder gar Demontage der Parlamentsrechte bei bewaffneten Auslandseinsätzen. Deutschland ist mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz bisher gut gefahren. Das ist ein Teil unserer politischen Kultur geworden. Deswegen werden wir an diesem Punkt nicht nur aufmerksam sein, sondern auch die Rechte des Bundestages verteidigen.
Zweitens: EU-Erweiterungspolitik
Die friedenspolitische Bedeutung dieser Politik ist elementar. Im Koalitionsvertrag von 2005 hatte die CDU/CSU noch zugestimmt, Kroatien zu erwähnen und diese Perspektive ausdrücklich zu bestätigen. Ein solches Bekenntnis fehlt in auffallender Weise im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, in dem lediglich von einer „Erweiterungspolitik mit Augenmaß“ gesprochen wird, ohne jeden Hinweis auf ein bestimmtes Land und ohne jede Bestätigung dieser wichtigen europäischen Perspektive. Das ist nicht nur eine Veränderung, die in den Balkanländern mit Sorge wahrgenommen worden ist, sondern das ist auch gefährlich. CDU/CSU tragen die volle Verantwortung für die negativen Folgen für die Sicherheit auf dem Balkan, die sich daraus ergeben.
Drittens: Abrüstung und Rüstungsexporte
Außenminister Westerwelle hat in den letzten Wochen sehr lautstark Initiativen zur Abrüstung angekündigt und den Eindruck vermittelt, er habe das Thema vor allen anderen entdeckt. Nach seinen ersten Gesprächen mit der amerikanischen Außenministerin Clinton musste er in dem konkretesten Fall, dem Abzug von amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland, schon wieder zurückrudern. Schlimmer als die vollmundigen Abrüstungsankündigungen ist jedoch die Absicht von Schwarz/Gelb, die Rüstungsexportrichtlinien „innerhalb der EU zu harmonisieren“ und „für faire Wettbewerbsbedingungen in Europa“ zu sorgen. Wir werden nicht zulassen, dass die im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten in Deutschland besonders strengen Rüstungsexportrichtlinien, die im Jahr 2000 unter Rot-Grün eingeführt wurden, verwässert werden.
Viertens: unser Verhältnis zu Russland
Unser Verhältnis zu Russland spielt im Koalitionsvertrag ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle. Aber es gibt eine sehr auffällige Auslassung. Der Begriff „strategische Partnerschaft“ kommt nicht mehr vor. Dabei weist sogar Westerwelles politischer Ziehvater, Hans-Dietrich Genscher, ausdrücklich darauf hin, dass es „kein Problem auf der Welt (gibt), beginnend beim Umweltschutz, über die Belebung der Weltwirtschaft, über Abrüstung und Rüstungskontrolle, über den Kampf gegen die organisierte Kriminalität und über den internationalen Terrorismus, das man ohne Russland lösen könnte“. Die EU hält daher zu Recht am Begriff der „strategischen Partnerschaft“ für ihr Verhältnis mit Russland fest. In einer Zeit, in der US-Präsident Obama den „Reset-Button“ hinsichtlich der Beziehungen zur Russischen Föderation gedrückt hat, in der er den Stolperstein Raketenabwehr ausgeräumt hat und in der er, durchaus mit unserem Beifall, mit dem russischen Präsidenten bis Dezember zu einem neuen Schritt in der atomaren Abrüstung kommen will, hören wir von Schwarz/Gelb dazu leider nichts.