Letzte Proben, Hektik, aufgeregte Kinderstimmen. Im Willi-Graf-Gymnasium in Berlin-Steglitz laufen die Vorbereitungen für das Konzert von Aynur Aydin auf Hochtouren. In wenigen Minuten geht es in der Aula los. Eine Woche lang haben die Schülerinnen und Schüler der achten Stufe dieses Live-Konzert geplant und organisiert. Alle Arbeiten, die ein solches Großevent mit sich bringen, wurden von den Kindern koordiniert und durchgeführt. Dabei standen zwei pädagogische Aufgaben im Vordergrund: einen Wirtschaftskreislauf anhand eines solchen Planspiels kennen lernen und sich mit dem Thema Integration beschäftigen. Der Auftritt der Deutschtürkin Aynur Aydin sollte dabei symbolisch für den Leitspruch des Projektes stehen: Musik verbindet Kulturen.
"Fit im Konflikt"
Dieses einmalige Unterfangen wurde von FIKO initiiert. FIKO ist ein Institut für Handlungskompetenz, das mit Schülerinnen und Schülern verschiedener Altersgruppen deutschlandweit Projekte durchführt. Im Prinzip geht es dabei um Berufsvorbereitung und -orientierung. „Unser Name entstand durch das unternehmenseigene Konzept ‚Fit im Konflikt'“, erklärt Geschäftsführerin Dorothee Feitsma. Die Erziehungswissenschaftlerin hat FIKO 2009 gegründet. Die GmbH führt Projekte durch, die u. a. über Bundes- und Landesmittel finanziert werden. Dieses Schulprojekt wurde im Rahmen des Berliner Programms für vertiefte Berufsorientierung aus Landesmitteln und Geldern der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Ihr Institut ist spezialisiert auf Gewaltprävention und Kompetenzentwicklung, aber auch in der Erwachsenenbildung aktiv.
Besonderen Wert legt FIKO auf kulturelle Vielfalt, ist zum Beispiel Unterzeichner der Charta der Vielfalt. „Unser Team hat vielfältige kulturelle Wurzeln und dass das etwas Schönes, Belebendes ist, wollen wir auch den Schülern weitergeben“, sagt Dorothee Feitsma. Ihre Mitarbeiter stammen aus allen Teilen der Welt. Integration liege ihr sehr am Herzen, betont sie; darum habe sie sofort zugestimmt, als die Schule auf sie zukam mit der Bitte, eine kreative Projektwoche mit den Schülern zu organisieren.
"Menschen die Furcht vor Fremdem nehmen"
Das kam so: Ein ehemaliger Schüler das Graf-Gymnasiums arbeitet inzwischen für das Musiklabel Sono I Music. Und dort ist die Pop-Sängerin Aynur Aydin unter Vertrag. Aynur ist als Tochter europäisch-türkischer Einwanderer in München geboren und aufgewachsen. Mit 10 Jahren entdeckte sie das Singen und wurde schon früh von der Opernsängerin Daniela Dinato gefördert. Mit 18 Jahren hatte Aynur ihre ersten Show-Auftritte. Als Teil der Band Surprize nahm sie für Deutschland am Eurovision Song Contest teil und belegte den dritten Platz. In der Türkei ist sie inzwischen in den Top Ten vertreten und ein echter Star. Und nun will sie Deutschland erobern. Die Idee, ein Konzert von Schülern planen zu lassen und dabei das Thema Integration ins Bewusstsein zu rufen, überzeugte sie sofort. „Integration ist für mich, wenn sich alle Menschen so akzeptieren, wie sie sind, ohne Vorurteile, woher sie kommen oder wie sie ausschauen“, sagt Aynur vor dem Konzert. Sie wolle nun das Land kennenlernen, aus dem ihre Eltern stammen, erzählt sie. Vor einiger Zeit sei sie nach Istanbul gezogen.
Unmittelbar vor ihrem Auftritt trafen sich Aynur und Aydan Özoguz im Backstagebereich, um sich über Integration zu unterhalten. Da stellte sich heraus, dass Aynur sogar die Cousins von Aydan kennt, die ebenfalls in der Türkei Musik machen. Beide Frauen verstanden sich auf Anhieb und betonten, wie wichtig es sei, den Menschen Furcht vor fremden Kulturen zu nehmen. „Integration gelingt da, wo Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft, auf Bildung und Arbeit bestehen und auch genutzt werden“, sagt Aydan Özoguz, die auch stellvertretende Parteivorsitzende der SPD ist.
Passanten auf der Straße befragt
Dann geht es auch schon los. Die Kinder präsentieren die Ergebnisse ihre Gruppenarbeiten. Denn sie waren aufgeteilt in kleine Gruppen, die jeweils einen Teil des Events verantworten mussten. So zeigte etwa das Team Reportage einen Film von Neukölln. Die Schüler hatten auf den Straßen des Berliner Problemviertels Passanten deutscher und ausländischer Herkunft gefragt, was sie unter Integration verstehen und was die Menschen tun sollten, um die Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln zu verbessern. Heraus kommen verblüffende, schöne, wahre, aber auch verstörende Antworten. Es zeigt sich, es gibt noch einiges zu tun.
In ihrem anschließenden Grußwort sagt Aydan Özoguz, dass wenn sich alle Menschen gegenseitig respektierten und in ihrer kulturellen Vielfalt annähmen, bräuchte man das sperrige Wort Integration überhaupt nicht. Großer Beifall brandet auf. Özoguz lobt die Projektarbeiten der Schüler rund um das Konzert. „Ich bin sehr beeindruckt von eurer Leistung und eurem Engagement. Eine Woche lang organisieren, trainieren, Kostüme und Texte entwerfen, gleichzeitig in Berlin unterwegs sein, um Erwachsene für diesen tollen Film über Integration zu befragen – das ist wirklich spitze!“ Die integrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion lobt das Projekt als „interkulturelles Event“, das von FIKO hervorragend entwickelt worden sei. „FIKO hat euch animiert, aktiviert, und ihr könnt zeigen, was in euch steckt. Es ist ein super Team, die Trainer, ihr Schüler und natürlich Aynur.“ Sie ergänzt: „Viele Menschen sind wie Aynurs oder meine Eltern nach Deutschland gekommen und haben hier ihre Heimat gefunden. Was immer ihre Herkunft ist, welche kulturellen Bindungen sie auch immer haben – sie sind bei uns willkommen. Deutschland ist ein offenes Land mit einer offenen Gesellschaft.“ Zum Schluss ihrer Begrüßungsworte lädt sie alle Beteiligten in den Deutschen Bundestag ein.
Musik hilft, Kulturen zu verbinden
Dann wird es dunkel auf der Bühne, begeisterte Rufe hallen durch die Aula, Lichter zucken, die Backgroundsänger – allesamt Schülerinnen und Schüler – kommen auf die Bühne. Und dann, als letztes, in hohen Stiefeln und Lederhose und mit strahlendem Lächeln betritt Aynur die Bühne. Das Konzert beginnt. Ein halbes Dutzend Lieder singt sie, mal sanft, mal rockig, begleitet von den Tänzerinnen und Tänzern. Am Ende donnert es Applaus, standing ovations. Das Event ist rundherum geglückt. Aynur und die Kids strahlen um die Wette. Dorothee Feitsma von FIKO dankt allen Beteiligten; auf diesem Wege sei deutlich geworden, wie sehr Musik hilft, Kulturen zu verbinden, Integration zu fördern, daran wolle man anknüpfen.
Aydan Özoguz sieht Deutschland „mittlerweile reich an Vielfalt und Erfahrung im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sozialisationen.“ Dennoch stehe die Republik vor weiteren und neuen Herausforderungen. Özoguz: „Die Integration aller Menschen ist auch in Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben. Das ist nicht einfach. Es erfordert kontinuierliche politische Arbeit, gesellschaftliche Überzeugungskraft, Anstrengung und natürlich auch Einschnitte.“ Aber es könne gelingen.