Richtig bleibt auch: Die Wehrpflicht stellt die beste denkbare Klammer zwischen Gesellschaft und Bundeswehr dar. Denn Soldat sein ist kein „Job“, keine beliebige Dienstleistung. Deshalb ist es legitim, dass die Bundeswehr mit der Wehrpflicht über eine völlig andere Rekrutierungsmöglichkeit verfügt als etwa ein Wirtschaftsunternehmen oder der Öffentliche Dienst.
Die Wehrpflicht ist aber nicht irgendeine selbstverständliche allgemeine Bürgerpflicht. Ihre Beibehaltung, ihre Ausgestaltung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen zwingend sicherheitspolitisch begründet werden können. Das heißt, die Wehrpflicht muss für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland unbedingt erforderlich sein. Das betrifft den Auftrag der Streitkräfte und das konkrete soldatische Tun.
Rede des Sprechers der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik Rainer Arnold zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 am 11.06.2010
Drei große Probleme im derzeitigen Wehrpflichtmodell
Das 6-Monats-Modell löst keines der drei Probleme, die sich derzeit bei der Wehrpflicht zeigen. Zum einem die Fragen der Dienstgerechtigkeit. Längst können nicht mehr alle tauglich gemusterten und dienstwilligen jungen Männer einberufen werden. Rechnet man die Zivildienstleistenden als stärkste Gruppe der Wehrersatzdienstleistenden hinzu, liegt der Anteil der jungen Männer, die Dienst nach dem Wehrpflichtgesetz leisten, inzwischen unter 50 Prozent eines Jahrganges. Fast die Hälfte wird als „untauglich“ ausgemustert oder zurückgestellt.
Zum anderen sind die Einberufungskriterien nicht mehr mit der veränderten Berufs-, Ausbildungs- und Studienwelt kompatibel. In Zeiten von Studiengebühren, politisch gewollten beschleunigten Ausbildungs- und Studiengängen, wie auch dualen Ausbildungsgängen, ist das Ableisten des Grundwehrdienstes für junge Männer ein spürbarer Nachteil auf dem Stellenmarkt. Hinzu kommt der demographische Wandel – für Wirtschaft und Industrie stehen durch den Geburtenrückgang immer weniger junge Menschen zur Verfügung. Die Ressource „Mensch“ wird knapp, ein Problem auch für die Bundeswehr.
Das dritte Problem ist: Die Wehrpflicht legitimiert sich aus der Landesverteidigung. Das heißt, das soldatische Tun muss für den Grundwehrdienstleistenden im Mittelpunkt seiner Ausbildung und seiner Verwendung stehen und das gelingt bei sechs Monaten natürlich noch viel weniger als es im Moment der Fall ist. Mittlerweile besteht die aktuelle Dienstzeit von 9 Monaten zum großen Teil aus Tätigkeiten am Schreibtisch, als Kraftfahrer oder in der Logistik. Ob solche Aufgaben noch mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag „zum Zwecke der Verteidigung“ zusammengehen, kann durchaus bezweifelt werden.
Das Sechs-Monats-Modell wird die Wehrpflicht nachhaltig beschädigen. Es bedeutet für die Soldaten am Ende, dass mehr finanzielle Ressourcen bei knappen Kassen für die Wehrpflicht eingesetzt werden, dass mehr personelle Ressourcen für Ausbildungszwecke benötigt werden und der Nutzen der Grundwehrdienstleistenden für die Truppe dramatisch zurückgeht. Die Akzeptanz der Wehrpflicht wird dadurch nachhaltig beschädigt.
Verkürzung ist keine Alternative
Schon der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung versuchte, mit der einmaligen Erhöhung von rund 6.000 zusätzlichen Wehrpflichtigen dem Problem der mangelnden Wehrgerechtigkeit zu begegnen. Dies führte jedoch nur zu steigenden Kosten und ging zu Lasten der freiwillig länger Wehrdienst Leistenden (FWDL).
Die Verkürzung auf 6 Monate ist ein weiterer Sargnagel für die Wehrpflicht. Militärisch macht ein sechsmonatiger Dienst, in dem dann auch noch der Urlaub enthalten ist, keinen Sinn mehr. Die Wehrpflicht verkommt zum Schnupperkurs, der lediglich das Ziel hat, Wehrpflichtige zu bewegen, sich als Freiwillige weiter zu verpflichten. Denn die Bundeswehr braucht jedes Jahr 20.000 neue länger dienende Soldaten. Mit einer weiteren Verkürzung der Wehrpflichtdauer könnte zwar die Wehrgerechtigkeit verbessert werden. Ein sinnvoller Dienst der Wehrpflichtigen in den Streitkräften wäre so aber kaum mehr möglich. Der Ausbildungsaufwand, die Kosten an Personal, Material und Infrastruktur nähmen enorm zu.
Die ursprüngliche Begründung der Wehrpflicht, nämlich im Verteidigungsfall eine Reserve für die Streitkräfte zur Verfügung zu haben, entfällt. Die Wehrpflicht in erster Linie zur Nachwuchsgewinnung ist kein überzeugendes Argument für einen Zwangsdienst.
Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben ganz unterschiedliche Auffassungen über die Zukunft der Wehrverfassung. Wir Sozialdemokraten begrüßen deshalb die Einberufung einer Wehrstrukturkommission durch das Bundesministerium der Verteidigung, die sich unserer Auffassung nach auch mit diesen Fragen beschäftigen muss. Alle gesellschaftlichen Gruppen und Fachleute sollten darin vertreten sein, um unsere Wehrverfassung auf den Prüfstand zu stellen und sorgfältig die möglichen Alternativen zu analysieren. Entscheiden muss dann die Politik. Die Frage der zukünftigen Wehrform ist viel zu wichtig für unsere Gesellschaft, um sie Gerichten zu überlassen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Allgemeine Wehrpflicht wäre verheerend für die politische Klasse.
Wir fordern daher noch für dieses Jahr:
- Die beabsichtigte Verkürzung des Grundwehrdienstes auf sechs Monate fallen zu lassen und stattdessen einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vorzüge der Allgemeinen Wehrplicht beibehält, aber auf die Freiwilligkeit bei der Einberufung setzt.
- Das Modell des freiwilligen Grundwehrdienstes in ein Konzept des bürgerschaftlichen Engagements als ein Element der Freiwilligendienste aufnehmen.
- Die Strukturen der Bundeswehr so anpassen, dass zukünftig nur noch Freiwillige zum Grundwehrdienst eingezogen werden.
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In das Programm zur Steigerung der Attraktivität in den Streitkräften auch materielle und immaterielle Anreize für das Freiwilligenmodell aufnehmen.
Die Frage der zukünftigen Wehrform muss und sollte politisch entschieden werden. Die geplante Wehrstrukturkommission, die sich unbedingt auch mit dieser Frage beschäftigen sollte, kann dazu nur ein erster Schritt sein. Notwendig ist eine breite gesellschaftliche Diskussion. Die SPD geht diesen Weg.