SZ: Nerven die ständigen Fragen nach dem Kanzlerkandidaten der SPD?

Frank-Walter Steinmeier: Und wie die nerven! Lieber würde ich über Inhalte reden, aber ich kann Ihr journalistisches Interesse natürlich verstehen. Der Kandidat soll im Januar 2013 nominiert werden, nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Das ist vernünftig. Es ist die letzte Wahl vor der Bundestagswahl. Auf die kann sich der Spitzenkandidat dann voll konzentrieren. Ich habe 2009 selbst die Erfahrung gemacht: Ein Jahr Kanzlerkandidatur ist eher zu lang als zu kurz.

Die Grünen lassen ihren Kandidaten in einer Urwahl bestimmen. Halten Sie das für falsch?

Das haben die Grünen so entschieden - ganz freiwillig sind sie dazu nicht gekommen. Wir haben vereinbart, auf die Urwahl zu verzichten; ich bin ganz zuversichtlich, dass die SPD ihren Kandidaten ohne Streit bestimmen wird.

Was haben Sie gegen eine Urwahl?

Gar nichts. Aber wir brauchen sie in diesem Fall nicht. Denn es wird einen Vorschlag des Parteivorsitzenden geben, der breiteste Unterstützung findet.

Die SPD ist also eine Partei, die ihren Kanzlerkandidaten am liebsten vorgesetzt bekommt.

Unsinn. Die SPD ist eine Partei mit 150-jähriger Tradition, die immer dann, wenn Demokratie in diesem Land gefährdet war, an der richtigen Stelle stand. Weder braucht diese Partei Belehrung über ihre Haltung zur Demokratie, noch ist die Urwahl die Antwort auf alle Fragen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Beteiligung der Mitgliedschaft im Alltag der Partei erhöhen müssen. Aber die Urwahl eines Kanzlerkandidaten ist eben kein Selbstzweck.

Was heißt Selbstzweck? In Schleswig-Holstein hat es auch funktioniert: Da gab es eine Urwahl, die Partei hat sich nicht zerlegt, und der Sieger ist heute Ministerpräsident.

Eine Landtagswahl ist das eine, eine Bundestagswahl das andere.

Gibt es eigentlich ein spannenderes politisches Amt als Bundeskanzler?

Franz Müntefering hätte vermutlich gesagt: Bundeskanzler ist das schönste Amt neben Papst. Und Papst scheidet aus, da ich evangelisch bin. Trotzdem ist das keine Ankündigung von irgendwas!

Eine Frage an den Fraktionsvorsitzenden Steinmeier: In der kommenden Woche spricht das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu Fiskalpakt und ESM. Im Kern geht es darum, ob die Europahilfen vom Parlament ausreichend kontrolliert werden können. Finden Sie es richtig, dass geklagt worden ist?

Wir streiten über Auswege aus der Krise - zwischen Regierung und Opposition, innerhalb der Regierungsparteien, auf europäischer Ebene. Und wir streiten um das notwendige Maß der parlamentarischen Kontrolle. Dies sind grundlegende Fragen unserer Demokratie. Dass dann auch die verfassungsgerichtliche Entscheidung gesucht wird, verstehe ich nicht nur. Die Klärung ist auch notwendig.

Hat das Parlament denn ausreichend Mitsprache?

Ganz ohne Zweifel nicht, deshalb haben wir in den letzten zwei Jahren erfolgreich darauf gedrungen, die parlamentarischen Kontrollbefugnisse zu erweitern.

Was denken Sie, wie das Urteil ausfallen wird?

Ich glaube, dass die parlamentarischen Entscheidungen Bestand haben werden.

Und wenn die Richter entscheiden, das Volk müsse bei den Europahilfen befragt werden: Hielten Sie das für gut?

Ich kann nicht voraussehen, wann in Deutschland über die Möglichkeit weiterer Integrationsschritte in Europa abgestimmt wird. Das Verfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen kenntlich gemacht, wo die Grenzen der Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf europäische Institutionen liegen. Deshalb: Geht der Prozess der europäischen Integration weiter, wird irgendwann auch das deutsche Volk entscheiden müssen.

Besser früher oder besser später?

Ich gehe davon aus, dass der Fall nicht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 12. September eintreten wird.

Ginge es nach der Bevölkerung, wäre Europa tot.

Das sagen Sie.

Können Sie sich denn vorstellen, dass es ein weiteres, drittes Finanzpaket für Griechenland geben wird?

Ob notwendig oder nicht, die Bundesregierung wird dem Bundestag kein weiteres Griechenlandpaket vorlegen. Merkel weiß, dass sie ihre eigene Mannschaft dafür nicht zusammenkriegt.

Dann vielleicht eine Verlängerung der Fristen für Griechenland, um seine Schulden zurückzuzahlen?

Wenn die Griechen nicht bereit sind, dem zweifellos harten Konsolidierungskurs ihrer jetzigen Regierung zu folgen: eindeutig nein. Wenn die griechische Regierung dafür eine Mehrheit in der eigenen Öffentlichkeit und vor allem im Parlament findet, ist die entscheidende Frage, was die Bitte um mehr Zeit bedeutet.

Und: Was sie kostet.

Wenn es nur die Bitte um einen Aufschub von zwölf Monaten ist, muss ein guter Kaufmann kalkulieren, ob die Rückzahlung der gewährten Kredite dadurch wahrscheinlicher wird. Wenn ja, wird er die Forderungen klugerweise nicht durch einen kategorischen Ausschluss jedes Zahlungsaufschubs vorzeitig in den Wind schreiben. Die Unterstützung Griechenlands wird in Zukunft aber nicht mehr über Rettungsschirme stattfinden. Was das Land dringender braucht, ist Hilfe beim Aufbau einer effizienten Verwaltung, und damit gepaart auch Investitionen. Glaubwürdigkeit auf der Konsolidierungsseite ist Voraussetzung für Investitionen auf der anderen Seite.

Nochmals nachgefragt: Sonst muss Griechenland Ihrer Meinung nach den Euro verlassen?

Mit der täglichen Beantwortung dieser Frage ist soviel Schindluder getrieben worden; das will ich nicht anreichern. Glauben Sie doch bitte nicht, dass es Dobrindt, Söder oder Rösler um Europa geht. Die machen damit doch bloß Innenpolitik. Tatsächlich interessiert sie Europa einen Dreck.

Wie lautet also Ihre Haltung zu Griechenland?

Sollte mehr Zeit nur mit zusätzlichen Milliardenpaketen zu erkaufen sein, weiß ich, dass die Parlamente in den meisten europäischen Mitgliedstaaten nicht zustimmen werden. Also müsste eine spätere Rückzahlung der Schulden mit anderen Instrumenten kombiniert werden. Ich habe vor anderthalb Jahren eine Art Treuhand vorgeschlagen: Da wird griechisches Vermögen reingelegt und Griechenland bekommt dafür Geld. Und die europäische Treuhand verkauft das dann irgendwann in den nächsten 20 Jahren. Ich hoffe, dass an solchen Überlegungen jetzt wieder gearbeitet wird.

Derzeit wird auch diskutiert, wie die Politik der drohenden Altersarmut begegnen soll. Wie steht die SPD dazu?

Wir dürfen nicht zulassen, dass große Teile der Bevölkerung in Altersarmut abrutschen. Dieser Verantwortung hat sich die SPD schon als Regierungspartei gestellt. Gegen viel Widerstand haben wir für Veränderungen gestritten, die es überhaupt erst vorstellbar machen, die gesetzliche Altersversicherung trotz demografischen Drucks über die Zeit zu retten. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Ergänzung um private Vorsorge gehören dazu. Aber das reicht nicht. Die gesetzliche Rente wird ihre Glaubwürdigkeit nur behalten, wenn Menschen, die ein Leben lang zu niedrigen Löhnen gearbeitet haben, am Ende eine Rente bekommen, die über der Grundsicherung liegt. Selbst wenn jetzt die Arbeitslosigkeit gesunken ist, ist es auch nicht fair, diejenigen, die unverschuldet länger arbeitslos waren, nur mit Grundsicherung abzufinden. Die Regierungsparteien sind offensichtlich nicht in der Lage, zu Entscheidungen zu kommen. Frau von der Leyen ist mit ihrer Zuschussrente an den eigenen Leuten gescheitert. Selbst die Koalitionsfraktionen haben gemerkt, dass es ihr nicht um die Rentner, sondern nur um ihr Image geht.

Wie die Altersversorgung in Zukunft aussehen soll, das ist auch in der SPD sehr strittig. Wie sieht Ihre Lösung aus?

Wir werden einen Vorschlag vorlegen, der aus zwei Elementen besteht. Einerseits aus einem Instrumentenmix von Teilrente und Erwerbsunfähigkeitsrente, die den Übergang vom aktiven Berufsleben in den jetzt später eintretenden Ruhestand möglich macht. Andererseits aus einer Solidarrente, die Niedrigverdienern eine Altersversorgung oberhalb der Grundsicherung zur Verfügung stellt. Die muss aus Steuermitteln finanziert werden.

Die ehemalige rot-grüne Bundesregierung hatte beschlossen, dass das Rentenniveau von jetzt 51 Prozent des Nettodurchschnittslohns auf 43 Prozent im Jahr 2030 sinken wird. Ist diese Zahl für Sie in Stein gemeißelt?

Das Rentenniveau ergibt sich aus einer sehr bewusst getroffenen Entscheidung, über einen Nachhaltigkeitsfaktor eine tragfähige Balance zwischen Rentner- und Beitragszahlergenerationen herzustellen. Da würde ich nicht drangehen, sondern drohende Altersarmut über andere Instrumente auffangen. Was wirklich hilft, sind geringe Arbeitslosigkeit und ordentliche Löhne. Wo das nicht reicht, sollten wir schauen, ob wir Zeiten von Arbeitslosigkeit neu bewerten oder ein Mindestentgelt als Lohn unterstellen. Erst wenn das alles Altersarmut noch nicht vermeidet, kommt für mich eine erhöhte Grundsicherung für diejenigen in Betracht, die lange gearbeitet haben und trotzdem nicht über den heutigen Satz der Grundsicherung im Alter kommen.

In der kommenden Woche haben Sie wichtige Termine: Im Bundestag wird über den Haushalt debattiert, am Wochenende legt die Fraktion ihre Vorschläge zum Wahlprogramm der SPD vor.

Meine Fraktion stellt am übernächsten Wochenende in einer Konferenz die Arbeitsergebnisse vor, an denen wir in den letzten eineinhalb Jahren hart gearbeitet haben. Unsere Kernbotschaft lautet: mehr Bildung, weniger Schulden. Wir müssen uns aus dem Klammergriff der Finanzmärkte befreien. Und wenn wir das größte Problem des nächsten Jahrzehnts, den Fachkräftemangel, lösen wollen, dann darf kein Kind mehr durch den Rost fallen. Deshalb wollen wir acht Milliarden in den nächsten vier Jahren in Ganztagsschulen investieren und das Kooperationsverbot im Bildungsbereich abschaffen. Wir werden aber auch Vorschläge machen, wie wir wieder Akzeptanz für Infrastrukturprojekte schaffen, ohne die wir als Industrieland nicht überleben.

Und das ist sicher nicht das Wahlprogramm des Kandidaten Steinmeier?

Quatsch. Es sind acht ausgewählte Schwerpunkte zu denen die Fraktion gearbeitet hat; also kein Wahlprogramm. Aber natürlich möchte sich die Fraktion in die laufende Debatte um das Wahlprogramm einmischen. Das tun wir.

Zum Abschluss des Treffens sprechen alle drei denkbaren Kanzlerkandidaten. Dann wird sicherlich wieder der Applaus gestoppt.

Die Journalisten können gerne stoppen, so viel sie wollen. Wir sind da sehr entspannt.

Interview: Jan Heidtmann und Susanne Höll