Keine Fortschritte in der Flüchtlingspolitik: Europa bleibt zerstritten. Ist Angela Merkel die große Verliererin des EU-Gipfels von Brüssel?
Oppermann: Nein. Ich verstehe, dass die Türkei ihre Teilnahme am Gipfel wegen des schrecklichen Terroranschlags in Ankara abgesagt hat. Dadurch war es in bestimmten Bereichen nicht möglich, Fortschritte zu erzielen. Jedoch hat der EU-Rat immerhin den gemeinsamen Aktionsplan mit der Türkei – Sicherung der EU-Außengrenzen und Hilfe für die Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme – bekräftigt. Da sind sich die 28 EU-Staaten einig. Eine Niederlage für die deutsche Bundeskanzlerin sehe ich nicht. Anfang März wird es ein Sondertreffen mit der Türkei geben. Da muss es allerdings einen Durchbruch geben.
Was macht Sie so sicher, dass die Türkei das Flüchtlingsproblem für Europa löst?
Oppermann: Die Türkei ist in einer schwierigen Situation. Die Terroranschläge, der Konflikt mit den Kurden, der Krieg in Syrien und die hohe Zahl der Flüchtlinge sorgen für größte Anspannung. Die Türkei ist mehr denn je auf gute Beziehungen zu Europa angewiesen. Deswegen sollte sie ihrerseits die Angriffe auf die Kurden einstellen. Helfen wird uns die Türkei aber am Ende nur, wenn wir sie im Gegenzug entlasten und über vereinbarte Kontingente Flüchtlinge aufnehmen.
Was geschieht mit Ländern, die da nicht mitmachen wollen? Wollen Sie denen EU-Subventionen streichen?
Oppermann: Alle EU-Staaten haben zugestimmt, dass Frontex ausgebaut wird und die EU-Außengrenze stärker geschützt werden soll. Auch die 3 Milliarden Euro für die Türkei sind zugesagt. Aber das wird nicht ausreichen. Die EU muss jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag für Fluchtprävention und Stabilisierung der Krisenregionen im Nahen Osten und in Afrika zur Verfügung stellen. Ich bin dafür, den EU-Haushalt entsprechend umzuschichten und weniger Geld für Anderes auszugeben. Damit würden sich die Länder, die bisher am stärksten von europäischen Subventionen profitieren, automatisch an der Finanzierung beteiligen.
Nahezu alle Länder entlang der großen Flüchtlingsrouten überwachen ihre eigenen Grenzen inzwischen schärfer oder winken nur noch nach Deutschland durch. Wie lange schaffen wir das noch?
Oppermann: Jedes Land hat das Recht und die Pflicht, an seinen Grenzen Kontrollen durchzuführen. Es wäre für Europa allerdings fatal, wenn wir jetzt nach dem Motto „Rette sich, wer kann“ in ein Wettrennen um die höchsten Zäune an den Binnengrenzen einsteigen. Grenzschließungen können der Anfang vom Ende Europas sein.
Sind schärfere Grenzkontrollen für Deutschland tabu oder doch die Ultima Ratio?
Oppermann: Wir müssen die Reisefreiheit in Europa durch eine bessere Sicherung der EU-Außengrenze schützen. Ich sehe noch Chancen, dass das gelingt. Wenn nicht, wird der Druck auf alle steigen, nationale Maßnahmen zu ergreifen. Das wollen wir vermeiden und stimmen uns deshalb eng mit unseren Nachbarn in Europa ab.
Stützt die SPD ohne Wenn und Aber den Kurs von Angela Merkel?
Oppermann: Wir brauchen eine europäische Lösung. Nur so können wir die Freizügigkeit sichern und dafür sorgen, dass Europa beieinander bleibt. Für diesen Weg kämpft die SPD. Und wenn die Kanzlerin ihn mitgeht, stützen wir sie natürlich.
Wären Sie dafür, dass Angela Merkel im Bundestag die Vertrauensfrage stellt, um Klarheit zu schaffen?
Oppermann: Nein. Das ist der Wunsch der Opposition. In der Großen Koalition gibt es keinen Anlass, die Vertrauensfrage zu stellen. Trotzdem: Angela Merkel muss sich um das Vertrauen der eigenen Leute bemühen, insbesondere um die Unterstützung der CSU.
CSU-Chef Horst Seehofer spricht von der „Herrschaft des Unrechts“. Können solche Äußerungen folgenlos bleiben?
Oppermann: Horst Seehofer spielt seit Monaten Opposition in der Regierung. Man kann innerhalb einer Koalition unterschiedlicher Meinung sein. Aber das muss intern geklärt werden. Horst Seehofer hat sich aber entschieden, mit der Kanzlerin auf offener Bühne einen Machtkampf um die Flüchtlingspolitik auszutragen. Das ist eine Belastung für die Bundesregierung und schadet allen Beteiligten.
Wäre eine Klage Bayerns gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung das Aus für die GroKo im Bund?
Oppermann: Unseren Staat als „Herrschaft des Unrechts“ zu beschreiben, war völlig deplatziert. Ich rechne aber nicht damit, dass Horst Seehofer tatsächlich eine Verfassungsklage gegen die eigene Regierung einreicht. Dann müsste er ja die CSU-Minister aus dem Bundeskabinett zurückziehen. Wir sind uns ja einig, dass wir die die Flüchtlingszahlen deutlich reduzieren wollen. Die Polemik aber, mit der Seehofer die Kanzlerin öffentlich unter Druck setzt, ist schwer erträglich. Damit betreibt er das Ge-schäft der AfD und erweckt den falschen Eindruck, dass unser Staat handlungsunfähig ist.
Die AfD bleibt auf dem Vormarsch, könnte in Sachsen-Anhalt sogar die SPD überholen. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kämpfen Ihre Genossen bei denen Landtagswahlen gegen den Machtverlust. Wird der 13. März zum Schwarzen Sonntag für die SPD?
Oppermann: Nein. Bis zur Wahl wird noch viel passieren. Die SPD hat in allen drei Ländern sehr gute Leistungen in der Regierung vorzuweisen. Wir müssen um die Menschen werben, die aus Protest oder Verunsicherung der AfD ihre Stimme geben wollen. Wer diese rechten Populisten wählt, bekommt keine andere Flüchtlingspolitik. Nichts würde besser mit der AfD in den Parlamenten. Die AfD ist angetreten, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Deutschland zu spalten. Sie wählt einen Ton in der politischen Auseinandersetzung, wie wir ihn zuletzt am Ende der Weimarer Republik gehört haben.