Das Kabinett wollte den verfälschten 4. Armuts- und Reichtumsbericht eigentlich am 19. Dezember vergangenen Jahres beschließen, dann wurde es Januar, und jetzt heißt es, er solle am 6. März beraten werden. Am 21. Februar hat der Bundestag über den Umgang der Bundesregierung mit dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht heftig debattiert.

Schwarz-Gelb tritt die Wahrhaftigkeit mit Füßen

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel warf der Bundesregierung vor, mit ihrer Fälschung des Armuts- und Reichtumsbericht den „bürgerlichen Wert“ der Wahrhaftigkeit mit Füßen zu treten. Er erinnerte an Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), der die an die Öffentlichkeit gelangte erste Fassung des 4. Armuts- und Reichtumsbericht von Ministerin von der Leyen (CDU) als „Unsinn“ bezeichnet hatte und auf die Ressortabstimmung verwies - was die Kanzlerin als Suche nach dem gemeinsamen Standpunkt unterstützte. „Der Bericht fordert keinen Standpunkt, sondern er sagt, was los ist. Die Wirklichkeit kann man nicht ressortabstimmen,“ sagte Gabriel. Damit enthalte die Regierung der Öffentlichkeit Informationen zur sozialen Wahrheit vor. Das komme „einer Entmündigung der Staatsbürger“ gleich, die sich eigentlich in „totalitären Staaten“ wiederfinde. Wenn der Lebensalltag von Menschen ausgeblendet werde, schade das der Demokratie, machte Gabriel klar. Denn sie erlebten eine „politische Fälscherwerkstatt“, die in der Regierung am Werke sei. Ministerin von der Leyen habe mit der ersten Fassung Mut gezeigt, sei aber „mundtot“ gemacht worden, fügte Gabriel hinzu.

 

Rede von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, MdB

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„Arm trotz Arbeit das ist das Problem“

In der ersten Fassung des Berichtes gehe es um die neue soziale Frage, wie die Lasten des Gemeinwohls gerecht verteilt werden könnten. Dazu trügen der Mindestlohn von 8,50 Euro genauso bei wie Korrekturen bei der Leiharbeit und Investitionen in die Bildung. „Es kann nicht sein, dass „Menschen, die voll arbeiten, zum Sozialamt gehen müssen“, sagte der SPD-Parteichef. Der Bericht nennt dazu eindeutige Zahlen: Sechs Millionen Menschen arbeiten heute für weniger als 8 Euro in der Stunde. 25 Prozent der Beschäftigten arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. Arbeitsverträge, die heute geschlossen werden, sind zu 50 Prozent befristet. Frauen verdienen noch immer fast ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. 12 Millionen Menschen in Deutschland leben an oder jenseits der Armutsgrenze. „Arm trotz Arbeit – das ist das Problem“, sagte Gabriel.

Flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen

Es sei nicht mehr Leistung, die zum Aufstieg führe, sondern Beziehungen, Herkunft und Erbschaften, stellte Gabirel fest. Lohnuntergrenzen, die jeweils ausgehandelt würden, seien eine Mogelpackung und nicht das Gleiche wie ein gesetzlicher, flächendeckender Mindestlohn, wie ihn die SPD fordere. Es gehe nicht nur um die Höhe des Lohns, sondern „um den Wert und die Würde von Arbeit“. „Sozial ist nicht, was Arbeit schafft. Sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann“, sagte Gabriel.

Steuern für einige erhöhen

Die erste Fassung des Berichts enthielt u. a. die Schlussfolgerung, dass große Vermögen in die Finanzierung öffentlicher Aufgaben stärker einbezogen werden müssen, doch diese Passage hat die Regierung gestrichen. Anstatt dessen schlägt sie vor zu prüfen, wie Spenden von Vermögenden eingeworben werden können. Das heißt, sie will notwendige Einnahmen des Staates vom goodwill reicher Leute abhängig machen. Sigmar Gabriel machte deutlich, dass die SPD die Steuern für einige erhöhen werde, damit die „normalen Menschen“ nicht alles bezahlen müssten. Herkunft dürfe nicht über die Chancen von Menschen bestimmen. „Dafür braucht das Land eine neue Regierung“, schloss Gabriel.

 

Schwarz-Gelb setzt sozialen Frieden aufs Spiel

Die Sprecherin der Arbeitsgruppe Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration der SPD-Bundestagfraktion, Hilde Mattheis, warf der Bundesregierung vor, den Auftrag des Parlaments mit dem geschönten Bericht nicht erfüllt zu haben. Denn der Armuts- und Reichtumsbericht solle ein „Lagebild der gesellschaftlichen Zustände“ liefern.

Rede von Hilde Mattheis, MdB

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Die Zahlen im Bericht machten jedoch deutlich, dass die Spaltung der Gesellschaft sich weiter vertieft habe. Auch Umfragen würden zeigen: 64 Prozent der Bevölkerung empfinden soziale Ungerechtigkeit. Seit Veröffentlichung des 3. Armuts- und Reichtumsberichts im Jahr 2008 sei die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinandergegangen und die Einkommensspreizung wachse. Trotz guter konjunktureller Lage habe das Armutsrisiko weiter zu- anstatt abgenommen und liegt mit 15,1 Prozent auf dem höchsten Stand seit der 
Wiedervereinigung.

Die wenigen Kernindikatoren des Entwurfs des Armuts- und Reichtumsberichtes 
zeigten unabweisbar eine tiefgehende Umverteilung von unten nach oben 
zugunsten der Reichen und Superreichen. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft 
nicht mehr viel zu tun.

Doch die Handlungsoptionen dieser Regierung fehlen komplett. Durch das Betreuungsgeld und die Ausdehnung der Minijobs verschärfe sich die Situation. Schwarz-Gelb beschneide die Zukunftsperspektiven für Kinder aus schwierigen Verhältnissen und „setzt den sozialen Frieden aufs Spiel“, sagte Mattheis.

 

Anja Linnekugel

 

Ein paar Wahrheiten, die Schwarz-Gelb verschweigt oder glättet:

Die Aussage, dass die Privatvermögen in Deutschland sehr ungleich verteilt sind, die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens verfügen und die vermögenstärksten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinen, wurde gestrichen.

Die Schlussfolgereung, dass die öffentlichen Vermögenswerte seit 20 Jahren abschmelzen und es im Gegenzug beträchtliche Vermögenszuwächen im privaten Sektor gibt, wurde ausgelassen, dafür hat man nur ein paar Sätze zum wachsenden Privatvermögen stehen lassen.

Dass die Lohnentwicklung im oberen Bereich in Deutschland steigend war, während die unteren Löhne preisbereinigt gesunken sind, wordurch die Einkommenspreizung zugenommen habe, das Gerechtigkeitsempfinden verletzt werde sowie der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet werden könne, ist Schwarz-Gelb keiner Erwähnung wert. Anstatt dessen wird gelogen und behauptet die Einkommenspreizung sei rückläufig.

Auch dass Stundenlöhne, die bei Vollzeitarbeit zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Alleinstehenden nicht ausreichen, sowie eine einseitige und polarisierende Lohnentwicklung generieren, Armutrisiken verschärfen und den sozialen Zusammenhalt schwächen, hat Schwarz-Gelb gestrichen.