SPD steht für den Strategiewechsel in Afghanistan

Zunächst war es Frank-Walter Steinmeier, der im September 2009 eine Abzugsperspektive für Afghanistan in einem 10-Punkte-Plan entwickelt hat. In Vorbereitung auf die Mandatsverlängerungen 2010 und 2011 hat die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit dem SPD-Parteivorstand zwei Afghanistan-Konferenzen mit mehreren hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern veranstaltet. Zudem haben die Sozialdemokraten jeweils ein umfangreiches Positionspapier vorgelegt. Die SPD hat sich für einen Strategiewechsel ausgesprochen, der auf eine politische Lösung der Konflikte in Afghanistan setzt und als Voraussetzung einen Versöhnungsprozess innerhalb des Landes auch mit den Taliban vorsieht. Die Sicherheitsverantwortung soll Schritt für Schritt an Afghanistan übergeben werden. Das erfordert eine verstärkte Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Ab 2011 sollte mit dem Rückzug der Kampftruppen begonnen werden.

Bundesregierung ist auf Kurs der SPD für eine Abzugsperspektive eingeschwenkt

Die SPD-Vorschläge lehnte die Bundesregierung ab und bezeichnete sie als „unrealistisch“ und „gefährlich“. Mittlerweile ist die Bundesregierung, trotz interner Auseinandersetzungen, auf den Kurs der SPD-Bundestagsfraktion eingeschwenkt. Auch die internationale Gemeinschaft ist sich einig, der militärische Auftrag in Afghanistan soll 2014 enden. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler erklärte in der Debatte, dass der vorliegende Mandatstext weitgehend der SPD-Position entspricht. Der im Regierungsantrag festgelegte Truppenrückzug im Jahr 2012 von 5 350 Soldaten auf zunächst 4 900 und im weiteren Jahresverlauf auf 4 400 sei laut Erler bereits begonnen worden. So seien Ende November noch 5 329 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert gewesen, und bereits am 7. Dezember waren es nur noch 4 991. Somit sei die erste Stufe des Abzuges bereits fast erreicht. Dieser beginnende Rückzug sei nur durch die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an afghanische Institutionen – der sogenannten Transition – möglich. Erler kündigte an, dass die SPD-Fraktion dem Regierungsantrag auf Fortsetzung der deutschen Beteiligung am ISAF-Mandat im Januar zustimmen werde.

Härtetest für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung steht noch bevor

Dennoch bestünden Sorgen um die Zukunft Afghanistans, die sich zum Teil noch verstärken hätten. So könnte, sagte Erler, die Transition an „mangelhafter Ausbildung und lückenhaften Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte“ scheitern. Mittlerweile sind zwar 305 600 Soldaten und Polizisten in Afghanistan ausgebildet worden, wo mit das Ziel im kommenden Oktober erreicht werden kann. Aber, so mahnte Erler an, es gebe nur „vage Daten zur Qualität und zur Schwundquote und damit zur Nachhaltigkeit der Einsatzfähigkeit afghanischer Sicherheitskräfte“. Der Härtetest für die Übertragung der Sicherheitsverantwortung steht erst noch bevor. Denn seit Juli findet diese Transition in Gebieten mit eher ruhiger Lage statt. Auch die von Präsident Karsai am 27. November verkündete zweite Tranche der Gebiete, für die afghanische Sicherheitskräfte die Verantwortung übernehmen sollen, umfasst vergleichsweise friedliche Gegenden. Dann stellt sich die Frage, welche Kräfte zu Land und in der Luft die afghanischen Sicherheitskräfte brauchen, um auch in den aktuell noch umkämpften Gebieten bis 2014 die Sicherheitsverantwortung übernehmen zu können.

Afghanistan braucht bessere Regierungsführung

Doch für einen Erfolg in Afghanistan kommt es auch auf die Verbesserung der Regierungsführung an. Erler warf die Frage auf, wie lange es noch dauern werde, bis Präsident Karsai und sein Umfeld verstünden, dass es ohne eine bessere Regierungsführung und Erfolge bei der Zurückdrängung der Korruption, der Alltagskriminalität und ohne Null-Toleranzpolitik gegenüber dem Netzwerk von Drogenanbau und -handel nicht möglich sein werde, das Land selbstständig zu regieren.

Konzept für Verantwortungsübergabe an Afghanistan notwendig

Der sicherheits- und verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, wies darauf hin, dass eine Mandatsverlängerung keine Routine sei. Der internationale Terror drohe zwar nicht mehr aus Afghanistan, doch benötige die gesamte Region Stabilität. Es kommt nun darauf an, zu beschreiben, wie das Ziel, bis 2014 die komplette Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu legen, erreicht werden kann. Die unterstützenden und logistischen Aufgaben durch die deutschen Streitkräfte in Mazar-e Sharif dürften sich nicht verstetigen. Deshalb sei ein Konzept für die Transition notwendig, das festlegt, welche Aufgaben und Fähigkeiten übergeben werden können. Gerade in der Vorweihnachtszeit mit all den Schwierigkeiten für die Soldaten und ihre Angehörigen sei ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass die deutsche Gesellschaft zwar über die politische Fortsetzung des Einsatzes streite, doch es sei allen klar, dass die Soldaten in Afghanistan eine wichtige Aufgabe wahrnehmen.

Internationales Engagement in Afghanistan auch nach Truppenabzug

Die Botschaft, die von der Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember 2011 in Bonn ausgehen sollte, lautet: Wir lassen Afghanistan nicht im Stich. Dies ist mit Blick auf die Erfahrungen, die Afghanistan nach dem Abzug der Sowjetunion in den 1990er Jahren machte, ein wichtiges Signal.
Doch der Erfolg der Bonner Afghanistan-Konferenz sei laut dem Sprecher der Task-Force-Afghanistan der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Pflug, zu hinterfragen. Es gebe zwar die Zusage, dass sich die internationale Gemeinschaft auch nach 2014 langfristig in Afghanistan engagiere, doch konkrete Ergebnisse dazu werde es erst nach der Geberkonferenz in Tokio im kommenden Jahr geben.

Finanzierung des langfristigen Engagements in Afghanistan ab 2014 festlegen

Der aktuelle Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung stellt fest, dass der Finanzbedarf Afghanistans bei Übernahme der Verantwortung steigen wird. Gleichzeitig haben die USA angekündigt, ihr Engagement in der Entwicklungshilfe von 4,5 Milliarden US-Dollar in 2010 auf eine Milliarde US-Dollar im Jahr 2014 zu reduzieren. Zusätzlich gibt es Anzeichen dafür, dass die USA anstatt der 6 Milliarden US-Dollar, die sie jährlich für die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte aufwenden, künftig nur noch 3 Milliarden US-Dollar übernehmen werden. Die deutschen Aufwendungen im Bereich der Entwicklungshilfe bewegen sich im Millionenbereich, doch es drohen Milliardenbeträge zu fehlen, denn Afghanistan selbst bringt lediglich 1,7 Milliarden US-Dollar an Einnahmen auf. Dieser Widerspruch müsse im kommenden Jahr von der internationalen Gemeinschaft aufgelöst werden, forderte Pflug ein. Dazu müsse Außenminister Westerwelle ein tragfähiges Konzept zum Finanzbedarf und vor allem zur Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte zur NATO-Konferenz in Chicago und zur Geberkonferenz in Tokio vorlegen.

Bedingungen an afghanische Regierung stellen

Des Weiteren kritisierte Pflug, dass in Bonn darauf verzichtet wurde, konkrete Bedingungen an Präsident Karsai zur Umsetzung der Reformen als Voraussetzungen für Zahlungen zu stellen. Auch dies müsse auf den Konferenzen 2012 angegangen werden, sonst könne die Korruption nicht zurückgedrängt werden.

Ende Januar wird der Bundestag über die ISAF-Mandatsverlängerung für die Bundeswehr abstimmen.