Neugestaltung von Hartz IV
Bei den unzureichenden Regelsätzen für Langzeitarbeitslose konnte die Regierungskoalition noch keine substanzielle Antwort auf unsere Vorschläge geben. Auch die Gefahren des systematischen Lohndumpings, die dazu führen, dass Arbeit sich im Vergleich zu Sozialleistungen nicht lohnt, haben nicht alle Beteiligten der Koalition schon verstanden. Unverzichtbar bleiben für uns auch substanzielle Fortschritte beim Mindestlohn und bei der Maxime „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Zeit- und Leiharbeit. Hier ist die schwarz-gelbe Koalition bislang nicht entscheidungsfähig. Die Verhandlungen verzögern sich, weil die Koalitionäre untereinander nicht einig sind. Wir werden weiter Druck machen für die arbeitsmarkt- und sozialpolitisch notwendigen Fortschritte bei leistungsgerechten Löhnen. Die Regierungskoalitionen sind jetzt aufgefordert, sich bis zur Fortsetzung der Verhandlungen am 6. Februar zu bewegen und ihre eigenen Positionen, auch untereinander, zu klären.
Fehlleistungen zu Guttenbergs
Der nach wie vor desolate Zustand der Regierung wird inzwischen auch durch die Fehlleistungen zu Guttenbergs verursacht. Ob es der Todessturz einer Kadettin aus der Takelage der „Gorch Fock“ im November 2010, der Tod eines Hauptgefreiten in Afghanistan durch einen Kopfschuss aus der Pistole eines Kameraden im Dezember, geöffnete Feldpostbriefe von Soldatinnen und Soldaten oder der Umbau der Bundeswehr ist – der öffentlich zelebrierte Aktionismus des CSU-Verteidigungsministers wirft immer mehr Fragen auf. Denn immer wieder geht er einher mit falschen, unvollständigen oder irreführenden Informationen vor dem Parlament. Immer wieder ist zu Guttenberg voreilig, immer wieder verwickelt er sich selbst und sein Ministerium in Widersprüche und sucht dann die Flucht nach vorn mit abrupten, mangelhaft begründeten Wendemanövern und Bauernopfern.
Als vor Weihnachten, am 17. Dezember, ein Soldat in Afghanistan zu Tode kam und am Tag darauf Bundeskanzlerin Merkel und Verteidigungsminister zu Guttenberg die Bundeswehr in Kundus besuchten, ließ die Bundesregierung den Eindruck zu, es handle sich um einen selbstverschuldeten Unfall. Die Obleute des Bundestages bekamen im Dezember die Auskunft, ein Soldat sei tot „aufgefunden“ worden mit einem Kopfschuss, der sich beim Waffenreinigen gelöst habe. Heute wissen wir, dass dies eine eklatante Fehlinformation war. Schon bei der Unterrichtung im Dezember lag ein Feldjägerbericht vor, der zu einem alarmierenden Ergebnis kommt: Der Soldat starb durch den Schuss eines Kameraden, beim fahrlässigen Spielen mit der Waffe. Mehrere Soldaten waren Zeugen des Vorfalls. Kannte der Minister diesen Bericht im Dezember? Übersah er die Tragweite? Und wenn dem so ist, warum wurden Bundestag und Öffentlichkeit mit irreführenden Auskünften abgespeist? Noch am Mittwoch vergangener Woche konnte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium dem Bundestag dazu keine klare Aussage machen.
Es ist kein Einzelfall. Am vergangenen Freitag verkündete zu Guttenberg vom Rednerpult des Bundestages zu den Vorgängen auf der Gorch Fock: Man müsse zuerst aufklären, dann bewerten und schließlich die Konsequenzen ziehen. Es dürfe keine Vorverurteilungen aufgrund irgendwelcher Mutmaßungen geben. Nur Stunden später am selben Tag fiel der plötzliche Beschluss, den Kommandanten der Gorch Fock von seiner Aufgabe zu entbinden. Dieses Muster wiederholt sich. Schon bei der ebenso plötzlichen Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert im Zuge der Kundus-Affäre schob zu Guttenberg Untergebenen die Schuld zu, als er selbst unter Druck geriet. Wir sehen einen getriebenen, einen nervösen, einen kaum berechenbaren Minister, der, wie der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat sagt, gegen die Prinzipien der Inneren Führung verstößt, wonach Beschuldigte erst anzuhören sind, bevor man Entscheidungen fällt. Ein Minister, der nicht in der Sache urteilt, sondern aus Furcht vor seinem persönlichen Imageschaden reagiert.
Chaotisierung der Bundeswehrreform
Der Bundesregierung muss bewusst sein, dass zu Guttenberg nicht dazu beiträgt, eine stetige und Vertrauen schaffende Politik zu entwickeln. Das zeigt nicht zuletzt die Chaotisierung der Bundeswehrreform und der zutiefst unseriöse Umgang mit der Frage der Finanzierung der Bundeswehr. Die Zukunft der Bundeswehrstandorte ist völlig offen und ungewiss. Die Reform wurde erst mit einem Sparbeitrag von 8,3 Milliarden Euro begründet. Dann hat der Minister wissen lassen, dass mit einem Umfang von 180.000 Soldaten dieser Sparbeitrag, für den er sich selbst in höchsten Tönen gelobt hatte, nicht zu erbringen sei – um nebenbei nachzuschieben, dass auch mit dem Minimalumfang von 160.000 Soldaten die Einsparungen nicht zu schaffen gewesen wären. Inzwischen will zu Guttenberg gar nicht mehr sparen und fordert jetzt sogar laut Medienberichten bis zu 1,2 Milliarden Euro mehr, um die Reform umzusetzen. Dieser CSU-Verteidigungsminister verunsichert die Bürger ebenso wie die Truppe und befremdet das Parlament durch hochfahrende Kaltschnäuzigkeit, durch widersprüchliche Aussagen und durch plötzliche Kurswechsel. Dieses Verhalten schadet der Konsensbildung in den äußerst sensiblen Fragen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Zu Guttenberg schadet damit auch der Vertrauensbildung, die für eine breite parlamentarische Zustimmung zur neuen Afghanistan-Strategie unverzichtbar ist.
Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan
Am Freitag dieser Woche entscheidet der Deutsche Bundestag erneut über den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Zur Abstimmung steht die Verlängerung des Mandats für die Beteiligung Deutschlands an der internationalen Schutztruppe ISAF (International Security Assistance Force) um ein Jahr. Dabei geht es jetzt um die Verwirklichung des von der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion seit 2009 entwickelten, geforderten und politisch durchgesetzten Strategiewechsels in Afghanistan. Es geht um die mit den internationalen Bündnispartnern abgestimmte Beendigung der Mission bis 2014 und um den Beginn des Truppenrückzugs im laufenden Jahr. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Bundesregierung im vorliegenden Mandat nicht nur die Zuversicht äußert, noch im Jahr 2011 mit dem Rückzug des deutschen ISAF-Kontingents zu beginnen, sondern sich auch verpflichtet, „jeden sicherheitspolitischen Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung“ zu nutzen. Dies steht im Einklang mit den Planungen der NATO. In Kenntnis der von Präsident Obama mehrfach bekräftigten Absicht, mit dem Rückzug der US-Truppen im Juli 2011 zu beginnen, gehen wir davon aus, dass in diesem Jahr auch der Rückzug der Bundeswehr beginnt. Um es klar zu sagen: Die Bundesregierung muss liefern! Wenn der Rückzug nicht in 2011 beginnt, kann die Bundesregierung mit unserer Zustimmung zu einer weiteren deutschen Beteiligung an ISAF nicht mehr rechnen.
Bereits Anfang dieses Jahres muss die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Partner eingeleitet werden. Im Verlaufe dieses Jahres, spätestens aber bis zur Bonner Afghanistan-Konferenz im November 2011, muss die Bundesregierung einen konkreten Fahrplan zur weiteren Übergabe der Sicherheitsverantwortung und zur Beendigung der Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen in Afghanistan im Jahr 2014 vorlegen und mit der afghanischen Regierung wie mit den internationalen Partnern abstimmen. Unter diesen Voraussetzungen und mit diesen Erwartungen, die wir in einem ergänzenden Entschließungsantrag noch einmal im Klartext formuliert haben, können wir dem vorliegenden Mandat zustimmen.
Der Bundesregierung muss jedoch klar sein, dass die Verabschiedung des neuen ISAF-Mandates nicht ausreicht, um den Konflikt in der Region zu lösen. Wer nach der Abstimmung im Bundestag die Hände in den Schoß legt und abwartet, wird der großen internationalen Verantwortung unseres Landes nicht gerecht. 2011 muss das Jahr der Diplomatie werden. Deutschland muss mehr tun und politisch aktiv werden. Die Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ist eine große Chance für neue Initiativen zur Stabilisierung der Region. Es gilt, befreundete Staaten und potentielle Bündnispartner für eine längerfristige wirtschaftliche und politische Unterstützung Afghanistans zu gewinnen. Auch die Gastgeberrolle Deutschlands bei der internationalen Afghanistan-Konferenz im November 2011 darf nicht ungenutzt bleiben. Wir brauchen zur politischen Lösung des innerafghanischen Konflikts unter anderem auch die Einbeziehung von Personen und Gruppen der afghanischen Zivilgesellschaft.