Mehrere Male hat Bundeskanzlerin Merkel die letzten Jahre versprochen, dass sie die ODA Quote gemäß dem in der Europäischen Union vereinbarten Stufenplan erhöhen wird. Doch sie hat sich nicht daran gehalten und ihr Versprechen gebrochen.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klein, da das Ihre erste Rede war, werde ich jetzt nicht weiter auf diese Rede eingehen, insbesondere nicht darauf, wie Sie die Entschuldungsinitiative von Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul irgendwie dem Vorgänger Kohl zugeordnet haben. Das war schon ziemlich kabarettreif. Wir wollen es aber aufgrund Ihrer ersten Rede dabei belassen – Schwamm drüber.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe heute Vormittag einen Berliner Radiosender gehört, der zu Spenden für die Erdbebenopfer in Haiti aufgerufen hat. Da hat ein junger Mann angerufen und gesagt, er habe selbst genug Probleme und auch Deutschland habe genug Probleme; er halte es für einen Skandal, dass so viel Geld für Haiti gespendet werde und so viele Steuergelder dorthin fließen würden. Ich habe mich in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Dirk Niebel wenige Monate zuvor ganz ähnlich argumentiert hat, als wir den ärmsten Ländern zur Milderung der Folgen der Krise 100 Millionen Euro im Rahmen der Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt 80 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wollten. Damals hat Dirk Niebel gesagt, wir sollten mit dem Geld lieber 2 000 Lehrer in Deutschland einstellen, als es in Afrika zu verpulvern.
Ich bin stolz auf die Bürgerinnen und Bürger, die sich durch solche Stammtischparolen nicht davon abhalten lassen, zu spenden. Das ist eine hervorragende Haltung.
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Niebel, ich habe mich damals als Kollege für Sie geschämt. Es wird Sie vielleicht wundern, wenn ich sage, dass ich über den Haushaltsentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, nicht enttäuscht bin; denn ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet.
Enttäuscht bin ich aber von der Bundeskanzlerin, von Frau Merkel, die die Gesamtverantwortung für diesen Haushalt trägt; denn sie hat in den letzten Jahren immer wieder versprochen, dass sie die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit gemäß dem im Jahr 2005 in der Europäischen Union vereinbarten ODA-Stufenplan steigern wird, sodass im Jahr 2010 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Frau Merkel hat sich dafür auf Kirchentagen und bei Zusammentreffen mit Künstlern wie Bono feiern lassen. Auch gestern auf der ZDF-Spendengala hat sie ein entsprechendes Bild abgegeben. Sie hat gönnerhaft 2,5 Millionen Euro für Haiti zugesagt. Aber an der Stelle, auf die es ankommt, nämlich für die ärmsten Menschen der Welt – das sind 3 Milliarden Menschen, die in Armut leben, und 1 Milliarde Menschen, die hungern – im Haushalt eine Hilfe vorzusehen, hat sie ihr Versprechen eiskalt gebrochen.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Was ist das für eine Wortwahl?)
Das dürfen wir ihr nicht durchgehen lassen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Raabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?

Dr. Sascha Raabe (SPD): Ja, gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Hendricks.
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Herr Kollege Raabe, Sie haben gerade en passant mitgeteilt, dass die Bundeskanzlerin die Erhöhung der Mittel aus dem Bundeshaushalt zugunsten der Opfer in Haiti von 7,5 Millionen Euro um 2,5 Millionen Euro auf nunmehr 10 Millionen Euro im Rahmen einer Spendengala mitgeteilt hat. Wir haben vorhin schon einmal über Würde gesprochen. Halten Sie es der Würde des Amtes der Bundeskanzlerin für angemessen, dass sie dies bei einer solchen Gelegenheit tat, bei der es doch eigentlich darum ging,
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ihr Geschwätz wird immer dümmlicher!)

Spenden von Privaten und Unternehmen zu generieren? Wäre es nicht angemessener gewesen, wenn dies im deutschen Parlament geschehen wäre?

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Kollegin, ich würde mir wünschen, dass man im Rahmen einer solchen Gala die privaten Spenden hervorhebt und nicht die Zusage von staatlichen Mitteln bekannt gibt. Sie haben vor allem dahin gehend recht, dass es sich bei dieser ZDF-Gala um einen sehr späten Zeitpunkt gehandelt hat, sich zu dieser Katastrophe zu äußern. Als es die Tsunamikatastrophe gab, ist Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeinsam mit der Entwicklungsministerin vorangeschritten und hat in vorbildlicher Weise große Summen zur Verfügung gestellt. Er hat in der Europäischen Union bei der Hilfe eine Führungsrolle übernommen. Ich muss schon sagen, dass das Krisenmanagement der Bundesregierung einschließlich des Entwicklungsministers, was das Erdbeben auf Haiti angeht, sehr zurückhaltend gewesen ist. Ich hätte mir das Engagement gewünscht, das damals Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul bei der Tsunamikatastrophe an den Tag gelegt haben. Ich gebe Ihnen da vollkommen recht.
Ich möchte auf das Versprechen der Bundeskanzlerin, das sie immer wieder gegeben hat, zurückkommen. Da sie heute in ihrer Rede nichts zur internationalen Armutsbekämpfung gesagt hat, zitiere ich aus ihrer Regierungserklärung vom 30. November 2005:
Wir haben uns deshalb dazu verpflichtet, ... bis 2010 mindestens 0,51 Prozent ... des Bruttoinlandsproduktes für die öffentliche Entwicklungsarbeit aufzubringen. Ich weiß, was ich da sage.
Frau Merkel sagte am 30. Januar 2009 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos:
Wir dürfen die weltweite Armutsbekämpfung nicht aus dem Blick verlieren. Deutschland hat auch für das Haushaltsjahr 2009 – und das wird auch im Haushaltsjahr 2010 so sein – Steigerungsraten beträchtlicher Art bei den Ausgaben für Entwicklungshilfe. Entwicklungszusammenarbeit jetzt einzuschränken, würde nicht nur politische Instabilitäten bedeuten, sondern vor allen Dingen auch ein weiteres Auseinanderklaffen der Entwicklung in der Welt; gar nicht zu sprechen
– jetzt hören Sie gut zu –
von den Enttäuschungen in den Ländern, denen wir mit unseren Millenniumszielen viele Versprechungen und Zusagen gemacht haben.
Auf den letzten Punkt möchte ich eingehen. Frau Merkel hat in ihrer Rede heute in Bezug auf die Entwicklungsländer nur eine negative Bemerkung gemacht. Sie hat nämlich gesagt, dass der Klimagipfel in Kopenhagen an Indien und anderen Entwicklungsländern gescheitert sei, weil diese Länder sich weigerten, ambitionierten Klimazielen zuzustimmen und die Ergebnisse überprüfen zu lassen. Aber es ist doch kein Wunder, dass die Entwicklungsländer misstrauisch sind angesichts der Tatsache, dass unsere Bundeskanzlerin wenige Tage vor dem Weltklimagipfel ein Versprechen gebrochen hat, das die Europäische Union und Deutschland verbindlich gegeben haben. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Entwicklungsländer bei den Konferenzen der Welthandelsorganisation sagen: Wir glauben es euch schlichtweg nicht mehr. Man darf sich auch nicht wundern, wenn die Entwicklungsländer bei der Klimakonferenz sagen: Wir lassen uns doch nicht wieder über den Tisch ziehen. Frau Merkel hat also eine Mitschuld am Scheitern von Kopenhagen, weil sie das Versprechen gebrochen hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen den ODA-Stufenplan, weil jeden Tag 25 000 Menschen an den Folgen von Hunger und Armut sterben. Das entspricht, auf zehn Tage gerechnet, einem stillen Tsunami oder einem stillen Erdbeben in der Dimension der Katastrophe von Haiti. Insofern ist es unglaubwürdig, wenn man sich jetzt herausredet und behauptet, dass man schon irgendwie bis zum Jahr 2015 eine ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen wird.
Es ist in der Tat peinlich, wenn sich ausgerechnet der Entwicklungsminister gegen eine Finanztransaktionsteuer wehrt. Eigentlich müsste er mit der Fahne voranschreiten und dafür werben, dass nicht die Entwicklungsländer die Misere ausbaden müssen, die ihnen Börsenzocker eingebrockt haben. Die Entwicklungsländer könnten mit dem Geld ihre Not lindern. Herr Niebel schont aber Börsenzocker und lässt dafür die Ärmsten in der Welt im Stich. Das ist eine Schande. Das spiegelt auch der Haushaltsentwurf wider.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)