Karin Roth zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Wie notwendig die UN-Behindertenrechtskonvention ist, hat, glaube ich, die Debatte gezeigt. Wie wichtig es ist, fraktionsübergreifend Gemeinsamkeiten festzustellen, ist auch unbestritten. Allerdings würden wir unseren internationalen Verpflichtungen nicht gerecht werden, wenn wir uns nur innenpolitisch auf die Notwendigkeit der Veränderungen in diesem Bereich beschränken würden.

Wir können froh sein, dass sich die Situation der Menschen mit Behinderung bei uns Schritt für Schritt verbessert hat. Das wurde hier deutlich. Es ist auch noch viel zu tun. Immerhin leben fast 10 Millionen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in unserem Land. Deren Lebenssituation in allen politischen Bereichen zu berücksichtigen, sie gesellschaftlich nicht auszuschließen und überall politische und gesellschaftliche Teilhabe, aber auch Barrierefreiheit zu gewährleisten, das ist unser Anspruch und auch unsere Verpflichtung.

Wir wären allerdings auf einem Auge blind, wenn wir nicht zur gleichen Zeit die Situation der über 800 Millionen Menschen mit Behinderung in den Entwicklungsländern sehen würden, die meistens ausgegrenzt sind - verbunden mit einem großen Stigma - und nicht die Möglichkeiten der Integration und der Inklusion nutzen können. Sie leben am Rand der Gesellschaft. Wir müssen die Belange dieser Menschen in unserer Politik wahrnehmen und sie insbesondere in den Mittelpunkt unserer Entwicklungspolitik stellen. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Umso beschämender war es,  dass die Bundesregierung im Entwurf zum Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention die internationale Verpflichtung betreffend die Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern schlichtweg vergessen hatte. Umso merkwürdiger ist der Antrag der Koalitionsfraktionen, der vorsieht, sich auf bereits Vorhandenes zu beschränken. Mein Kollege Kekeritz hat dazu bereits alles gesagt, was notwendig ist. Mehr Engagement und mehr Empathie haben die Menschen mit Behinderung in den Entwicklungsländern wahrlich verdient. Auch wenn wir schon einiges auf den Weg gebracht haben, Frau Kollegin Daub: Das reicht allerdings noch nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst auf Intervention der SPD-Bundestagsfraktion und auf Druck engagierter Organisationen, die die Situation der Menschen mit Behinderung gemeinsam mit den Betroffenen verbessern wollen, gibt es nun ein zusätzliches Kapitel im Nationalen Aktionsplan. Man kann sagen: Prima! Die Opposition hat etwas geleistet, und die Regierung ist ihr gefolgt. - So muss es sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ab sofort gilt auch  in der Entwicklungszusammenarbeit, die Belange der Menschen mit Behinderung in allen Bereichen zu verankern und alle beteiligten Akteure in inklusiven Projekten und Strukturen zu verpflichten. Das ist wahrlich ein wichtiger Schritt, um die bisher vergessenen Menschen mit Behinderung in den Entwicklungsländern zu beachten und sie zu unterstützen.

Zukünftig sollen nach dem Willen der SPD alle Neuvorhaben - ich betone: alle - auch zur Verbesserung der Lebenssituation dieser Menschen beitragen. Damals gab es im sozialdemokratisch geführten Entwicklungsressort bereits Sektorenkonzepte, die Menschen mit Behinderung berücksichtigten. So konnten zahlreiche Organisationen wie die Christoffel-Blindenmission, der Verein „Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit“ oder die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe wichtige Projekte in den betreffenden Ländern durchführen. Die Erfahrung dieser Organisationen zu nutzen und gemeinsam mit ihnen eine entwicklungspolitische Strategie zu erarbeiten, wurde zunächst von Ihrem Ministerium unterlassen. Erst durch die Initiative der SPD wurden die Organisationen mit ihrer Kompetenz einbezogen; das ist richtig. Endlich wird zudem der selbstverständliche Anspruch der Menschen mit Behinderung auf Teilhabe - „Nichts über uns ohne uns“ - erfüllt. Auch das ist ein Fortschritt, den wir als Opposition verbuchen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 

Allerdings hat Minister Niebel im Haushalt keine finanzielle Zielgröße verankert und damit die Chance vertan, Programme und Projekte nachvollziehbar zu finanzieren. Es bleibt beim Versprechen ohne Geld. Aber das kennen wir ja schon. Im Übrigen hat das Außenministerium - es war bis gerade eben hier noch vertreten -, das für die humanitäre Not- und Übergangshilfe zuständig ist, bei seinen Leitlinien zu Maßnahmen für Menschen mit Behinderung vieles vergessen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf seitens des Außenministers Westerwelle; denn diese Leitlinien sollen im Rahmen der Not- und Übergangshilfe besonders Menschen mit Behinderung helfen. Hier muss nachgebessert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt auf eine kohärente Politik, in der alle Maßnahmen ineinandergreifen und keine Maßnahme isoliert betrachtet wird. Dazu gehören auch die international abgestimmte und intensivierte Politik der Friedenssicherung und Konfliktprävention, um den Ursachen von Behinderung, wie zum Beispiel Landminen - ein großes Thema -, entgegenzuwirken, aber auch eine Verstärkung der entwicklungspolitischen Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Das sind wichtige Punkte, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderung mehr Lebenschancen bekommen. Das ist nicht selbstverständlich, aber notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer Menschen mit Behinderung helfen will, der muss auch die Forschung zur Vermeidung von Behinderung intensivieren; denn oft entsteht Behinderung durch armutsbedingte und vernachlässigte Krankheiten. Das wissen wir. Deshalb müssen wir in diesem Bereich die Forschung verstärken, nicht nur deutschlandweit, sondern auch europaweit und international.  (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)  Die spezielle Situation von Menschen mit Behinderung muss auch in den jetzt stattfindenden MDG-Prozess Eingang finden. Das finde ich deshalb so wichtig, weil darüber zurzeit debattiert wird. Beim letzten Mal waren bei den Millenniumszielen die Menschen mit Behinderung vergessen worden. Beim nächsten Mal müssen wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass sie nicht vergessen werden. Das ist unsere internationale Verpflichtung. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dem kann auch die FDP zustimmen.

Kohärente Politik bedeutet, dass auch in Regierungsverhandlungen mit den Partnerländern die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sowohl rechtlich als auch im Regierungshandeln nicht nur thematisiert wird, sondern gleichzeitig auch Unterstützung angeboten wird und die Zivilgesellschaft einbezogen wird; denn auch dort gibt es diese Kompetenzen, so wie in Deutschland auch. Nur wenn es uns gelingt, in diesen Ländern Menschen mit Behinderung zu integrieren, anstatt sie zu diskriminieren, haben wir den Auftrag der UN-Konvention erfüllt. Deshalb muss auch bei uns und in diesen Ländern die Inklusion in den Köpfen beginnen. Dass Ausgrenzung eine nicht akzeptable Diskriminierung ist, muss im Bewusstsein der gesamten Gesellschaft verankert sein. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 

Wir in Deutschland haben einen langen Weg zurückgelegt - auch haben wir eine schwierige Geschichte; darauf ist schon von meiner Kollegin Schmidt hingewiesen worden -, um die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung aufzubrechen und allmählich eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen zu ermöglichen. Auch bei uns gibt es noch viel zu tun, um das Denken zu ändern und um diskriminierungsfreie Bedingungen zu schaffen. Dabei dürfen wir uns nicht nur auf unsere nationale Verantwortung beschränken, sondern wir müssen alles tun, um Menschen mit Behinderungen weltweit zu helfen.

Lassen Sie mich mit einem Zitat des Direktors der Christoffel-Blindenmission schließen. Er sagte: Ein Leben in Armut führt oft zu Behinderungen und ein Leben mit Behinderungen zu Armut. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, und die internationale Entwicklungszusammenarbeit muss Menschen mit Behinderungen stärker berücksichtigen.

Genau dies will die SPD mit ihrem Antrag erreichen. Da es so viele Gemeinsamkeiten am heutigen Tage gibt, schlage ich vor, auch unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)