Die Spekulation an den Warnterminbörsen und die Spekulation um Agrarlandflächen wirken sich negativ auf die Preisentwicklung in Entwicklungsländer aus. Sascha Raabe nennt in seiner Rede wichtige politische Instrumente um der Spekulation in beiden Bereichen einzudämmen.

Dr. Sascha Raabe (SPD):
Heute diskutieren wir zwei Anträge, die sich inhaltlich mit unterschiedlichen Themen beschäftigen, im Wesenskern aber ein immer wieder auftretendes Phänomen aus unterschiedlicher Perspektive beleuchten. Es geht um Spekulationen, Spekulationen um landwirtschaftliches Nutzland und um Nahrungsmittel, die an den großen Warenterminbösen dieser Welt gehandelt werden. Gemein ist beiden Themenfeldern, dass die jeweiligen Spekulationen – sofern sie keinen Regelungen unterlegen sind und unkontrolliertes Ausmaß annehmen – verheerende Folgen für die Menschen in den Entwicklungsländern haben. Hieß es früher noch: „Mit Lebensmitteln spielt man nicht“, müsste es heute heißen: „Mit Lebensmitteln spekuliert man nicht.“ Denn Hunger und Armut entstehen, weil an anderer Stelle mit dem Essen spekuliert wird.
Im Februar 2011 erreichten die Lebensmittelpreise nach Angabe der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, UN Food and Agricultural Organisation, FAO, einen neuen Rekordhöchststand. Innerhalb eines Jahres schnellten die Preise für Grundlebensmittel wie Weizen mit 74 Prozent oder Mais mit sogar 87 Prozent unkontrolliert in die Höhe. Welche Auswirkungen diese Preisexplosionen für die Menschen in den Entwicklungsländern haben, lässt sich schnell beantworten, wenn man weiß, dass die meisten Menschen in den Entwicklungsländern bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden müssen. Solche rasanten Preisentwicklungen sind dann fast nicht mehr zu stemmen und ziehen gravierende Folgen nach sich. Schon nach der enormen Preisexplosion im Frühjahr 2008 stellte die Weltbank fest, dass über 150 Millionen Menschen aufgrund der Preisentwicklungen der Grundnahrungsmittel unter die Armutsgrenze gefallen sind. Aber auch ein Einbruch wirtschaftlichen Wachstums verbunden mit Unruhen und politischen Turbulenzen resultieren aus dem mangelnden Zugang zu Lebensmitteln. Welche Auswirklungen der diesjährige erneute Preisanstieg haben wird, lässt sich schnell erahnen.
Die Ursachen dieser Preisentwicklungen sind vielfältig. Zum einen führen die stetig wachsende Weltbevölkerung und die veränderten Ernährungsgewohnheiten – vorwiegend der steigende Fleischkonsum der Menschen in asiatischen Schwellenländern – zu einem erhöhten Lebensmittelbedarf. Zum anderen tragen der vermehrte Anbau von Bioenergieträgern, die durch Erosion und Versalzung für die Landwirtschaft unwirtschaftlich gewordenen Flächen und die zunehmenden Ernteausfälle, bedingt durch vom Klimawandel verursachte Naturkatastrophen, zu einer Verringerung der fruchtbaren Landflächen und Produktionsmengen von Nahrungsmitteln bei. Diese vorwiegend strukturellen Faktoren führen erstens zu einem erhöhten Bedarf an begrenzten Ressourcen wie Lebensmittel und pflanzliche Energieträger. Zweitens wird fruchtbares Land zu einem noch kostbareren Gut. Begehrte Güter rufen Spekulanten auf die Tagesordnung, die versuchen, sich am Bedarf knapper Güter zu bereichern. Leider ist das nicht nur an den Finanzmärkten der Fall, sondern auch an den zur Ermittlung des Preises für Grundnahrungsmittel zuständigen Warenterminbörsen.Viel wurde in den letzten Wochen und Monaten über Warenterminbörsen geredet, geschrieben und diskutiert und dabei versucht herauszufinden, welchen Anteil die Spekulationen in Bezug auf die hohe Volatilität der Preisentwicklung haben. Hier teile ich die Meinung der Nichtregierungsorganisation Oxfam, die exzessiven Spekulationen mit Agrarrohstoffen seien für die extremen Preissprünge mitverantwortlich. Selbst die Weltbank geht in einem Papier von 2010 davon aus, dass Indexfonds einen wesentlichen Anteil an den Preisexplosionen haben. Grundsätzlich geht es nicht darum, den Handel und die Spekulationen an den Warenterminbörsen zu unterbinden. Das wäre falsch und marktwirtschaftlich nicht dienlich. Genauso falsch wäre es aber, alles so zu belassen, wie es ist. Denn aktuell „funktionieren“ die Warenterminbörsen im Sinne der Steuerung von wareninteressiertem Angebot und Nachfrage nicht. Daher bedarf es klarer Regelungen und einer erhöhten Transparenz in den und abseits der Warenbörsen. Es muss eindeutig feststellbar sein, welche Akteure am Markt zu welchen Konditionen aktiv sind. Die Einführung von Positionslimits ist dabei nur eine von vielen notwendigen Maßnahmen, um der maßlosen Spekulation Einhalt zu bieten. Daher haben wir als SPD-Bundestagsfraktion mit einem Antrag – Drucksache 17/3413 – gegen diese Spekulationen ein Zeichen gesetzt.
Bei der Spekulation mit agrarischer Landfläche stehen wir vor einem ähnlichen Problem. Staatliche Akteure – vorwiegend aus Schwellenländern und arabischen Ländern –, insbesondere aber private Investoren aus Industrie- und Schwellenländern versuchen, mit langfristigen Pacht- oder Kaufverträgen großer Agrarflächen in Entwicklungsländern die Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln und Energiepflanzen zu sichern. Fast 90 Prozent der Investitionen im Bereich „Land Grabbing“ werden von privaten Kaufinteressenten – die Investoren sind zum einen dem Bereich Agrobusiness, zum anderen der Finanzindustrie zuzuordnen – getätigt, die dabei auch mit der Erwartung steigender Landpreise in Agrarflächen als Spekulationsgut investieren, und das aus gutem Grund: Die Welthungerhilfe stellt in einem Bericht fest: „Bis 2030 müsste die heute verfügbare landwirtschaftliche Fläche um 515 Millionen Hektar wachsen, um eine ausreichende Produktion von Agrar-, Energie- und Forsterzeugnissen zu sichern.“ Das entspräche ungefähr der Hälfte der Fläche Europas. Gerade die in Deutschland aufkeimende Debatte um die Biokraftstoffbeimischung E10 zeigt, dass der Anbau von Biokraftstoffen in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmitteln steht und damit unbewusst auch vermehrt zum Kauf von Landflächen beiträgt. Das kann politisch nicht gewollt sein.
Zwar hat es schon immer ausländische Landpacht oder Landkäufe gegeben, und neben der zu Recht angebrachten Kritik gibt es bei Direktinvestitionen in Land auch viele positive Effekte, auf die im Einzelnen einzugehen ich verzichte. Neu sind jedoch das Ausmaß und die Geschwindigkeit dieses Landerwerbs, und das ist ungesund. Laut einer Studie von FAO/IFAD wurden allein seit 2004 in nur fünf afrikanischen Ländern Vereinbarungen über mehr als 2,5 Millionen Hektar Land abgeschlossen. Schätzungen des International Food Policy Research Institut, IFPRI, gehen davon aus, dass innerhalb der letzten 5 Jahre Verkäufe und Verpachtungen von 15 bis 20 Millionen Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche in Entwicklungsländern getätigt wurden. Doch diese Einschätzung erscheint recht konservativ. Die Weltbank hat in ihrer neuesten Studie ermittelt, dass es in über 450 Projekten mit insgesamt 46,6 Millionen Hektar weltweit bereits weit großflächigere Landakquise gibt als angenommen. Mit ein Grund für diese rasante Entwicklung sind die auf den Finanzmärkten als Investment getätigten Land-Deals. Die Erwartung steigender Renditen bei Investitionen in Land scheint Anleger zu locken, die auf den Kaufpreis spekulieren. Investmenthäuser wie Morgan Stanley oder Goldman Sachs sind dick im Geschäft, so dick, dass in einem Artikel in der „Wirtschaftswoche“ unreflektiert den Lesern die Investition in Landfläche schmackhaft gemacht wurde, ohne auf die möglichen negativen Folgen der Investitionen in Ackerfläche hinzuweisen – und die können verheerend sein. Oftmals werden beim Erwerb von Landflächen – bewusst oder unbewusst – Landrechte der lokalen Bevölkerung missachtet, die Einbindung oder eine Beteiligung der ansässigen Dorfgemeinschaften oder Kleinbauern findet so gut wie nicht statt. Das Recht auf Eigentum ist in vielen dieser Länder nur selten einklagbar – sodass Kleinbauern, die jahrzehntelang ihren Acker bewirtschafteten, von ihrem Land vertrieben werden. Mögliche Ausgleichszahlungen liegen meist ein Vielfaches unter dem Wert des verkauften oder verpachtenden Landes. Dabei bildet vor allem in Afrika für viele Haushalte die Verfügbarkeit über Land die eigentliche Lebensgrundlage. Trotz dieser existenziellen Relevanz fehlen klare gesetzliche Grundlagen, die die Menschen vor meist illegitimen Landverlusten schützen. In Sambia beispielsweise ist ein Viertel der ländlichen Bevölkerung landlos.
Daher ist es richtig und wichtig, die Verbesserung der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz von Besitz und Eigentum in den jeweils betroffenen Staaten einzufordern. Allerdings muss dabei sehr sensibel vorgegangen werden, wenn es gilt, festzustellen, welches Land legal und welcher Besitztum illegal erworben wurde. Hier müssen aus dem jeweiligen spezifischen historischen Kontext die ursprünglich vorhandenen Besitztümer mit den aktuellen Besitzansprüchen in Einklang gebracht werden. So wie ein nicht vorhandener Landtitel den Anspruch auf Landbesitz nicht zwangsläufig auszuschließen hat, bedeutet es im Umkehrschluss nicht, dass ein bereits erworbener Landtitel legalen Landbesitz definiert. Denn in vielen Entwicklungsländern existiert seit Jahrzehnten eine himmelschreiende Ungerechtigkeit bei der Landverteilung. Viele Großgrundbesitzer haben zwar Landtitel, diese sind aber nicht gerecht erworben worden. Deswegen müssen Landreformen teils gegen den Willen der Großgrundbesitzer auch künftig möglich sein. Deshalb ist an dieser Stelle die zweite Forderung des Koalitionsantrages zumindest sehr missverständlich.

Bei einer neuen Vergabe von Landtiteln ist somit sehr sensibel abzuwägen, wem das Recht auf Eigentum zugesprochen werden kann und wem nicht. Genauso wichtig wäre es aber auch, auf mehr Transparenz beim Vertragsabschluss von Landkäufen oder Pachtverträgen zu pochen – so wie es im Bereich der extraktiven Rohstoffe durch Extractive Industries Transparency Initiative, EITI, bereits eingefordert wird. Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist daher in seinen Forderungen nicht falsch, jedoch einseitig und unzureichend, unzureichend deshalb, weil die Forderungen nur auf die Stärkung lokaler Regelungen abzielen. Die Umsetzung solcher Gesetzesvorhaben ist jedoch meist langwierig und selten erfolgreich. Wichtig wäre, an die Verantwortung unternehmerischen Handelns – insbesondere der westlichen und arabischen Investoren – zu appellieren. Die Selbstverpflichtung von Investoren ist ein zusätzliches geeignetes Instrument, bei dem die Einbindung der lokalen Bevölkerung in für sie relevante Entscheidungsprozesse möglich ist. Die FAO arbeitet aktuell an einer neuen Version der Voluntary Guidelines, die in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden diesen Prozess begleiten und uns dafür einsetzen, dass durch die Anerkennung solcher freiwilligen Leitlinien der öffentliche Druck dazu führt, beispielsweise das Menschenrecht auf Nahrung durchzusetzen. Neben diesen flankierenden freiwilligen Maßnahmen wäre es jedoch noch wichtiger, die lokale Bevölkerung durch verbindliches internationales Recht vor den negativen Auswirkungen von Agarinvestitionen zu schützen. Diese Perspektive findet sich in den Forderungen des Koalitionsantrages nicht. Im Rahmen der G-20-Verhandlungen bestünde die Möglichkeit gegen sittenwidrigen und menschenverachtenden Landraub vorzugehen. Die Verankerung internationaler Regelungen gilt es auch deshalb zu forcieren, damit die durchaus vorhandenen positiven Effekte von Investitionen in Land in die richtigen Bahnen gelenkt werden und dort ankommen, wo sie benötigt werden: bei den Menschen vor Ort.