Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland besitzt ein Er­folgsmodell für eine langfristig ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung: das Modell der sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehört beides: innovative, wett­bewerbsfähige Unternehmen mit Unternehmerinnen und Unternehmern, die zu einer höheren Investitionsquote beitragen, und gute Löhne, die der Inflation und der Pro­duktivität Rechnung tragen und den Spielraum für den Wohlstandszuwachs der Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer ausschöpfen.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2014 will die Aufmerk­samkeit auf dieses deutsche Erfolgsmodell soziale Marktwirtschaft richten, das sich nicht zuletzt nach den Erschütterungen in der Finanzmarktkrise so glänzend bewährt hat. Wir sagen: Lassen Sie uns das stärken, was unserem Land in der Vergangenheit gutgetan hat: eine Wirtschaftspolitik – und übrigens auch eine Energiepoli­tik –, die nicht nur einzelne Interessen bedient, sondern die ganze Gesellschaft im Blick hat, und ein Versprechen von Wohlstand, das allen sozialen Schichten etwas zu bieten hat.

Fairer Wettbewerb, die Effizienz der Märkte nutzen sowie eine gerechte Einbettung in soziale und ökologi­sche Rahmenbedingungen sind in der Marktwirtschaft keine Gegensätze, sondern Prinzipien, die sich ergänzen und unsere Gesellschaft produktiver und lebenswerter machen.

 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

 

Meine Damen und Herren, in diesem Jahr liegt der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 100 Jahre zurück und der Beginn des Zweiten Weltkrieges 75 Jahre. Im Rück­blick wird klar: Nicht nur die Demokratisierung unseres Landes war eine Lehre aus dieser Katastrophe, sondern auch die Überwindung der scharfen sozialen Gegensätze – von massenhafter Unsicherheit bis Arbeitslosigkeit und Elend – war und bleibt eine Lehre unserer Ge­schichte. Wenn Historiker heute von der „geglückten Demokratie“ der Bundesrepublik sprechen, meinen sie damit auch und gerade den wirtschaftlichen Neuanfang, für den Ludwig Erhard die Formel „Wohlstand für Alle“ gefunden hat. Natürlich gibt es auch in unserem Land gute und weniger gute Traditionen; aber die soziale Marktwirtschaft gehört zu den besten Traditionen der deutschen Geschichte. An ihr wollen wir auch in Zu­kunft anknüpfen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich verstehe die Wirtschaftspolitik der Bundesregie­rung als Angebot an engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer, an das Handwerk, an den Mittelstand und auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn Wirtschaftspolitik ist eben auch immer Gesellschafts­politik. Sie soll mithelfen, stabile, soziale, gerechte und faire Rahmenbedingungen für unsere Gesellschaft zu schaffen. Das Wirtschaftsministerium steht als Haus der Wirtschaft Unternehmerinnen und Unternehmern des­halb ebenso offen wie den Vertretern der Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Sie alle miteinander sind die Wirtschaft, und sie sind die Sozialpartner unseres Landes.

In der Öffentlichkeit mag man sich vielleicht darüber wundern, dass der Jahreswirtschaftsbericht vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Jahreswirtschafts­berichte ein Dokument ist, in dem steht, dass ein Wirt­schaftsminister den Mindestlohn für richtig empfindet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Protokoll vermerkt: Unruhe im Saal.

(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne­ten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das hatten wir hier aber schon schlimmer, Herr Gabriel.

(Heiterkeit)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie:

Insbesondere bei dem Thema, Herr Präsident. – Ich will gar nicht auf die Frage eingehen, ob die Höhe des Mindestlohns gerechtfertigt ist und ob er schnell genug kommt. Das ist in der politischen Debatte umstritten. Ich will vielmehr darauf hinweisen, dass der Mindestlohn nicht nur wegen seiner Höhe oder wegen seines ökono­mischen Beitrags für den einzelnen Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Es geht im Kern in der Debatte über die soziale Marktwirtschaft nämlich darum, dass Arbeit und Leistung ihren Wert haben müssen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Wert der Arbeit und übrigens auch die Würde und Wertschätzung des arbeitenden Menschen

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

müssen in einer sozialen Marktwirtschaft zum Ausdruck kommen. Man kann wahrlich nicht sagen, dass ein Min­destlohn von 8,50 Euro eine überschäumende Wertschät­zung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber er ist zumindest eine Abkehr von dem unwürdigen und entwürdigenden Zustand, dass Menschen den gan­zen Tag arbeiten und hinterher trotzdem zum Sozialamt gehen müssen. Damit muss in unserem Land Schluss sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die soziale Marktwirtschaft ist nicht deshalb groß ge­worden, weil die Menschen wussten, dass nach Arbeit unmittelbar paradiesische Zustände eintreten. Aber sie wussten – und das war die Lebenserfahrung auch meiner Generation –, dass Arbeit sich lohnt und dass es Stück für Stück besser werden kann. Der Spruch der Eltern an die Adresse der Kinder „Du sollst es einmal besser ha­ben als wir“ wurde in vielen Generationen der Republik zur Realität.

Wir haben heute – das ist eines der Probleme der Marktwirtschaft – einen gespaltenen Arbeitsmarkt. Wir haben das Nichtvorhandensein von Mindestlöhnen. Wir haben die Zunahme von Leih- und Zeitarbeit. Es gibt das Werksvertragsarbeitnehmerunwesen. Das alles ist nicht nur in ökonomischer Hinsicht ein Problem für die betrof­fenen Menschen, und es ist nicht nur sozial ungerecht, sondern es ist im Kern gegen die Idee der Marktwirt­schaft gerichtet, die besagt, dass Arbeit und Leistung sich lohnen müssen und dass es Menschen durch Arbeit in ihrem Leben besser gehen muss. Das ist das Problem dieser Entwicklung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass der Mindestlohn Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es ist übrigens auch gut, dass er mit dem Angebot verbunden ist, zum System der Tarifverträge zurückzukehren. Denn dass in Ostdeutsch­land 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­mer keinen Tarifvertrag haben, ist ein Zustand, an dem selbst die schnelle Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro nichts ändern würde. Wir wollen nicht nur Mindestlöhne. Wir wollen gute Tariflöhne in unserem Land. Das ist das, was wir eigentlich erzeugen wollen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich mache übrigens für den Gedanken kein Urheber­recht geltend. Einer der Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken, sozusagen der Ordolibe­rale unseres Landes, hat vor mehr als 60 Jahren präzise das Gleiche formuliert. Lohnverfall hat er als Anomaliedes Arbeitsmarktes bezeichnet. Wo der Arbeitsmarkt nachhaltig anomal, weil vermachtet ist, da wird – ich zi­tiere – „die Festsetzung von Mindestlöhnen akut“.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Darauf zu setzen, zeigt eine im Kern ordoliberale Vor­stellung. Das Problem ist, dass in der Vergangenheit manche das Buch von Ludwig Erhard zwar hochgehal­ten, aber möglicherweise nur die Klappentexte gelesen haben.

(Heiterkeit bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: „Wohlstand für Alle“! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch schon was!)

– Das ist auch schon was? – Na ja.

Meine Damen und Herren, die Einführung eines Min­destlohns ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirt­schaftspolitisch geboten. Der Mindestlohn ist sozusagen Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Hatten wir Jahre, in denen die Steigerung von Löhnen und Ge­hältern nicht die Produktivitätsfortschritte und manch­mal nicht einmal die Inflationsentwicklung widerspie­gelten, so werden sich – das ist die Projektion des Jahreswirtschaftsberichtes 2014 – Löhne und Gehälter nun endlich wieder entlang von Produktivität und Infla­tionsrate entwickeln.

Ich habe gestern erleben müssen, dass meine Formu­lierung, es sei gut, wenn sich Löhne und Gehälter ent­lang von Produktivität und Inflationsrate entwickelten, als Aufforderung zur Lohnzurückhaltung kritisiert wor­den ist. Ich habe – das will ich hier einmal deutlich sagen –mit 19 Jahren meinen ersten Lehrgang bei der IG Metall besucht, nämlich den Funktionärslehrgang 1. Das sollten Sie auch einmal tun.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Damit kann man sogar Bundeswirtschaftsminister werden!)

– Ein bisschen Humor muss auch in dieser Debatte sein.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)

Dort habe ich gelernt, was eine gewerkschaftliche Lohn­forderung ist. Diese setzt sich zusammen aus dem Aus­gleich der Inflationsrate, der Zunahme der Produktivi­tätsrate und, wenn Gewerkschaften richtig kräftig sind, aus dem Element der Umverteilung. Zwei Drittel der Forderung der IG Metall hinsichtlich der Zusammenset­zung der Lohnsteigerung sind in diesem Jahreswirt­schaftsbericht zu finden, und Sie von der Opposition kri­tisieren das immer noch. Also, ich verstehe Sie nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist volkswirtschaftliche Normalität und Grundlage je­der Tarifverhandlung, Tariferhöhungen daran zu orien­tieren, wie sich Produktivität und Inflationsrate entwi­ckeln. Dann muss man schauen, ob man die Kraft hat, noch ein bisschen mehr zu erreichen.

In unserem Land hatten wir in den letzten Jahren eher sinkende Reallöhne. Jetzt haben wir mit einer Reallohn­steigerung von 1,1 Prozent die stärkste Steigerung seit 2010. Wir gehen in der Prognose davon aus, dass die durchschnittliche Erhöhung der Löhne bei 2,7 Prozent liegen wird. Das ist aber der Durchschnitt für die ge­samte Volkswirtschaft. Natürlich wird es Tarifbereiche geben, in denen die Lohn- und Gehaltsentwicklung da­rüber liegen wird.

Ich finde diese Lohnentwicklung in Deutschland gut; denn wir sehen anhand der Jahresprojektion, dass das wirtschaftliche Wachstum unseres Landes in den nächs­ten Jahren im Wesentlichen durch die Binnenkonjunktur getragen werden wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Mindestlohn, die Verhinderung von Rentenkürzun­gen nach langen Arbeitsjahren und die gesellschaftliche Akzeptanz von Erziehungsleistungen, die mit einer hö­heren Rente verbunden sind – das sind die Beschlüsse der Bundesregierung zur Rentenpolitik –, stärken die Kaufkraft im Land. Das ist auch wichtig, weil das pro­gnostizierte Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent in diesem Jahr sowie im kommenden Jahr und im weiteren Verlauf von sogar 2 Prozent ganz wesentlich von der Binnenkonjunktur getragen wird.

Deshalb gibt es die Entwicklung, dass Menschen wie im letzten auch in diesem Jahr mit steigenden Einkom­men rechnen können. Die Menschen in Deutschland ha­ben übrigens das Gefühl, dass sich die Wirtschaft gut entwickelt und sie keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze haben müssen. Das ist die Grundlage für den wirtschaft­lichen Aufschwung. Das ist die Grundlage dafür, dass wir auch im europäischen Vergleich einen Teil der Kri­tik, die die Europäer an uns haben, nämlich dass wir zu geringe Löhne hätten, zurückweisen können; denn dann, wenn sich die ökonomische Entwicklung unseres Landes gut darstellt, gibt es Tarifabschlüsse mit höheren Löh­nen.

Wir sehen, dass in diesem Jahr die Importe erheblich zunehmen werden. Der Export, obwohl er nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der deutschen Wirtschaft ist, treibt nicht alleine das Wirtschaftswachstum an. Deshalb freuen wir uns darüber, dass die gute Lohn- und Einkom­mensentwicklung im letzten und in diesem Jahr dazu führen wird, dass sich die Binnenkonjunktur in unserem Land stärker entwickeln wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, die Exporte nehmen zu. Das ist Ausdruck der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Für die Importe gilt das aber eben auch. Nur eine Bemerkung zum Thema Leistungsbilanz­überschuss: Durch die Importsteigerungen reduzieren wir diesen Überschuss ein bisschen. Man sollte aber auch noch einmal deutlich sagen, dass die hohen Exporte unseres Landes vor allen Dingen Ausdruck der Innova­tionskraft und der hohen Produktivität unserer Unterneh­men sind – nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Grundlage dieser hohen Produktivität sind For­schung und Entwicklung und die hohe Qualifikation un­serer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Grundlage des Erfolges der Unternehmen und der guten Exportzahlen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die deutsche Industrie zieht Vorleistungen ins Land, die wir übrigens auch dringend brauchen; denn sie sind Teil unserer und Teil der europäischen Wertschöpfungs­kette. Diese stützen auch die Erholung in Europa; denn ein Großteil der Einfuhren der europäischen Länder kommt von ihren europäischen Handelspartnern.

Meine Damen und Herren, zentrale Stütze des Auf­schwungs in diesem Jahr wird aber, wie schon gesagt, der private Konsum sein. Nach einer Steigerung des pri­vaten Konsums um real 0,9 Prozent im letzten Jahr – das entspricht einem Wachstumsbeitrag von 0,5 Prozent­punkten – erreichte der Konsumklimaindex im Januar den höchsten Wert seit der Finanzkrise.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist relativ!)

– Das Leben ist immer relativ, auch im Parlament.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass die Deutschen der Meinung sind, dass sie mehr konsumieren können, weil sie höhere Einkünfte haben, und glauben, dass ihre Jobs sicher sind, macht das doch nicht schlecht.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist schwer, das zu kritisieren. Selbst Sie müssten sich eigentlich darüber freuen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich dachte, 240 000 zusätzliche Arbeitsplätze und ein Beschäftigungsstand mit einem Rekordwert von 42,1 Millionen Personen sind ein Grund zur Freude – auch für Sie.

(Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: In der Tat!)

Die zweite wichtige Stütze für das Wirtschaftswachs­tum in diesem Jahr sind die Investitionen. Bei den Unter­nehmensinvestitionen haben wir im vergangenen Jahr die Trendwende geschafft. Für das Jahr 2014 erwarten wir einen spürbaren Anstieg um 4 Prozent.

Angesichts der zunehmenden Kapazitätsauslastung investieren die Unternehmen verstärkt in neue Maschi­nen und Ausrüstungen. Das ist ein ausgesprochen positi­ves Signal. Das Land braucht dringend neue Investitio­nen. Wir dürfen nicht zusehen, wie das Anlagekapital der Unternehmen veraltet, wie die öffentliche Infrastruk­tur auf Verschleiß läuft und wie Straßen, Schienen, Brü­cken oder auch kommunale Gebäude vor die Hunde ge­hen, und wir dürfen auch die digitale Moderne nicht verschlafen und müssen die Investitionen in Breitband­netze vorantreiben – insbesondere im ländlichen Raum, weil die kleinen und mittelständischen Betriebe dort an­sonsten einen massiven Wettbewerbsnachteil hätten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der Blick auf die aktuell günstige Konjunkturlage darf uns aber nicht die Augen davor verschließen lassen, dass es natürlich auch erhebliche Risiken und Herausfor­derungen gibt. Ich will ein paar davon nennen:

Da ist erstens die Entwicklung im Euro-Raum. Wir müssen nach wie vor um die Stabilisierung des Euro-Raums und Europas kämpfen. Das heißt, neben der Kon­solidierung und Strukturreformen müssen wir in Wachs­tum und Arbeit in Europa investieren.

Zweitens. Wir sehen es gerade in den Schwellenlän­dern: Die Regulierung der Finanzmärkte, insbesondere des Schattenbankenwesens, ist nach wie vor eine der wichtigsten Aufgaben, vor denen wir stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dort entstehen die Risiken für die Realwirtschaft, und ich kann nur hoffen, dass es uns trotz der Schwierigkei­ten gelingt, die Bankenunion in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bekommen. Aufgrund der aktuellen Debatte darauf zu schließen, dass sie ein Jahr später oder noch später kommt, wäre, glaube ich, ein ganz schlechtes Si­gnal für die Stabilität im Euro-Raum.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber auch im Inland gibt es eine ganze Reihe von He­rausforderungen. Eine davon ist zum Beispiel die zu ge­ringe Investitionsquote. Wenn wir das von der OECD geforderte Niveau erreichen wollen, dann müssen wir wesentlich mehr tun, als wir derzeit schaffen. Selbst die erhöhten Investitionen durch die Bundesregierung im Verkehrssektor, in Hochschulen und im Städtebau rei­chen nicht aus.

Ich bin gestern gefragt worden, welche Chance wir haben, die öffentlichen Investitionen zu verstärken. Die Debatte über die Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden, die wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben – es geht dabei darum, Aufgaben und Finanzver­antwortung endlich wieder zusammenzubringen –, muss im Ergebnis zur finanziellen Entlastung der Kommunen führen; denn zwei Drittel der öffentlichen Investitionen tätigen nicht Bund und Länder, sondern Städte und Ge­meinden.Diese müssen wir in ihrer Finanzkraft wieder stärken. Dann sind wir auch in der Lage, mehr zu inves­tieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben erheblichen Nachholbedarf in der öffentli­chen Infrastruktur. Wir haben Schwierigkeiten im Be­reich der Energiekosten. Natürlich erhöhen wir mit unse­ren Beschlüssen zur Rente, zur Pflegeversicherung und zum Arbeitsmarkt die Arbeitskosten der deutschen Wirt­schaft. Das darf niemand verschweigen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Kosten nicht auch noch im Energiebe­reich und in anderen Bereichen weiter ansteigen lassen. Unser ganzes Augenmerk muss daher darauf gerichtet sein, im Rahmen der Energiewende Versorgungssicher­heit und Kostenentwicklung in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich verzichte heute auf eine Reihe von Bemerkungen zur Energiepolitik, weil wir im Haus noch ausreichend Gele­genheit haben werden, darüber zu sprechen.

Die Dynamik der Unternehmensgründungen ist zu­rückgegangen. Wir haben Schwierigkeiten bei der Um­setzung von Forschungsergebnissen in industrielle Pro­zesse. Es gibt also eine Reihe von Herausforderungen, die wir in unserem Land bewältigen müssen, um Rah­menbedingungen zu erhalten, mit denen wir dafür sor­gen, dass diese wirtschaftliche Entwicklung nicht nur im Moment als positiv erscheint, sondern auch nachhaltig fortgeschrieben wird.

Ostdeutschland – das wird in der nächsten Woche die Debatte um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit zeigen – hat bei allen Erfolgen immer noch er­hebliche Investitions-, Produktivitäts- und Lohnlücken. In der ostdeutschen Wirtschaft haben sich inzwischen in­dustrielle Kerne gebildet. Gerade in dieser Woche war ich bei einem Unternehmen in Leipzig, in dem eine halbe Milliarde Euro in die Produktion investiert wurde. Viele gute Beispiele zeigen: Die Reindustriealisierung in Ostdeutschland ist in vielen Bereichen gelungen. Aber wir dürfen bei der regionalen Wirtschaftsförderung nicht nachlassen.

Diesem Ansatz entspricht auch die Idee, dass wir im Zusammenhang mit der Reform der Gemeinschaftsauf­gabe für die Förderung der regionalen Wirtschaft nicht nur die Mittel wieder anheben, sondern in Zukunft auch Förderstrukturen entwickeln, bei denen wir, wie das meine Kollegin in Nordrhein-Westfalen immer sagt, nicht nach Himmelsrichtungen fördern, sondern da för­dern, wo der wirtschaftliche und soziale Nachholbedarf am größten ist. Ohne Zweifel ist das auch in Zukunft in weiten Bereichen Ostdeutschlands der Fall. Wir haben Erfolge. Aber wir dürfen uns mit ihnen nicht zufrieden­geben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Nicht zuletzt ist auch die Deckung des Fachkräftebe­darfs in den kommenden Jahren eine der größten He­rausforderungen. Wir haben uns deshalb im Koalitions­vertrag die Allianz für Fachkräfte auf die Fahne geschrieben. Ich bin allerdings – das gebe ich zu – bei solchen Allianzen gelegentlich ernüchtert. Da wird oft sehr viel besprochen. Aber am Ende muss man aufpas­sen, dass das, was verabredet ist, auch umgesetzt wird. Wenn der Streit um Zuständigkeiten unsere einzige Akti­vität ist, werden wir am Ende scheitern. Deswegen soll­ten wir uns konkrete Ziele setzen: weniger Schulabbre­cher, mehr Ausbildungsplätze, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Chancen für Frauen und natür­lich auch ein für Zuwanderinnen und Zuwanderer offe­nes Land, das sich über diese Zuwanderung freut.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir mobilisieren in dieser Legislaturperiode 6 Mil­liarden Euro zur Entlastung von Ländern bei der Finan­zierung von Kitas, Schulen und Hochschulen. 3 Milliar­den Euro kommen dem Aufwuchs bei der universitären Forschung zugute. Wir investieren in Köpfe, vor allem auch in umsetzungsfähige und anwendungsnahe Ideen.

Das, was der Jahreswirtschaftsbericht abbildet, ist ei­nerseits das Ergebnis einer guten wirtschaftlichen Ent­wicklung. Politische Rahmenbedingungen haben in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass Unternehmen fle­xibel und innovativ sein konnten und Arbeitnehmerin­nen und Arbeitnehmer ihre Qualifikation zugunsten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einsetzen konnten. Der Bericht markiert andererseits die Herausforderun­gen, denen wir uns in diesem Jahr und in den kommen­den Jahren stellen werden und bei denen wir auch nach­haltige Erfolge haben werden.

Eine der Möglichkeiten, den Erfolg fortzuschreiben, ist die Neuverhandlung des Transatlantischen Freihan­delsabkommens. Ich sage das deshalb, weil in der öffent­lichen Debatte zu Recht Sorgen geäußert werden: hin­sichtlich der Gefahr einer Absenkung von sozialen Rechten, hinsichtlich der Gefahr von Lohndumping, auch hinsichtlich der Absenkung von kulturellen Stan­dards, die wir in unserem Land erreicht haben. Aber nur die Sorgen zu formulieren und die Chancen eines Frei­handelsabkommens zu verschweigen, ist auch nicht der richtige Umgang mit diesem Thema. Ich finde, woran wir ein Interesse haben müssen, ist, dass das Freihan­delsabkommen nicht zum Dumpingabkommen wird, in keinem Bereich. Dafür werden wir uns miteinander ein­setzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen keine neue Runde der blinden Privatisie­rung öffentlicher Dienstleistungen. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber wir wollen die Chance nutzen, zwischen der Euro­päischen Union und Amerika den größten Freihandels­markt der Welt zu erzeugen und übrigens damit in unse­rem Land und in anderen Ländern ganz erheblichen wirtschaftlichen Erfolg und neue Arbeitsplätze zu schaf­fen. Ich glaube, wir brauchen beides.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Bundesregierung ist dazu bereit, eine transparente Debatte über das Freihandelsabkommen zu führen. Ich jedenfalls bin auch persönlich dazu bereit, zu erläutern, wo aus meiner Sicht Risiken und Aufgaben liegen und worauf man achten muss, damit erreichte europäische und deutsche Standards nicht nivelliert werden. Aber ich finde, wir müssen in der Öffentlichkeit auch darstellen, was wir für Chancen mit diesem Freihandelsabkommen haben, damit nicht der Eindruck entsteht, dies sei sozu­sagen ein Freihandelsabkommen für amerikanische Spionage. Darum geht es gerade nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Nein, es geht darum, dass wir eine Chance schaffen für viele, viele Leute in diesem Land, die Zukunfts­perspektiven für sich und übrigens auch für ihre Kinder brauchen. Das, glaube ich, geht, wenn man Debatten un­ideologisch, pragmatisch und unter Wahrung der eigenen Interessen führt. So können wir gemeinsam wirtschaftli­chen Erfolg für unser Land herstellen, und der bedeutet immer Erfolg für Unternehmen, aber auch Erfolg und faire und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Beides ist Ge­genstand der sozialen Marktwirtschaft, und die wollen wir weiterentwickeln.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)