vorspann

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Meine Damen und Herren,
lieber Jim Rakete,

„Ich bin Peter Stein oder Bruno Ganz in meinem Leben nie selbst begegnet“ – schreibt Peter Lindbergh über die Photographien von Jim Rakete – „trotzdem habe ich das Gefühl, sie beide sehr genau zu kennen.“ Ich bin sicher, meine Damen und Herren, wenn Sie gleich mit uns durch die Ausstellung gehen, wird es Ihnen genau so gehen.

Eine Ausstellung von Portraits hier im Willy-Brandt-Haus? - wird der ein oder andere gedacht haben, der den Photographie-Schwerpunkt im Ausstellungsgeschehen des Hauses bisher nicht kennt. Eindeutig ja, sage ich als jemand der Jim Rakete, seine Kunst, seine Ausstellungen, seine Bücher seit Jahren kennt, mag und schätzt.

Nein, es ist nicht Photographie von Jürgen Schadeberg, dem die letzte Ausstellung hier gewidmet war – Photos aus dem Kampf gegen die Apartheit in Südafrika, Photos von den Opfern und den Helden des Kampfes. Es sind nicht Kanzlerportraits, die Sie von Konrad Müller und anderen kennen. Jim Rakete sucht keine Distanz zu Politik, aber er läuft ihr eben nicht nach. „Für einen Fan bin ich mit 57 Jahren zu alt“ hat er vor drei Jahren in einem Interview gesagt – ohne dass ich Ihnen jetzt irgendetwas über sein Alter verraten will. Wer etwas anderes erwartet haben sollte unter den Besuchern heute Abend, dem sage ich gleich: Jim Rakete ist kein Photograph von Politikern, aber er ist ein sehr politischer Photograph – das wissen alle, die nächtelang mit ihm gestritten und diskutiert haben. Vor allem ist er – auch wenn er es nicht so gern hört – ein ganz Großer. Auch deshalb gehört er hier her! Herzlich Willkommen, Jim Rakete!

Dass ich es sein darf, der ein paar Worte zu ihm und seiner Kunst sagen darf, freut mich, macht mich auch ein bisschen stolz. Gleichzeitig ist das bei Jim nicht so einfach. Denn der Platz hinter der Kamera ist für ihn kein zufällig gewählter Ort. Er photographiert Stars, aber hasst den Starkult, will es vor allem um Himmels Willen selbst nicht sein. Verehrung macht ihn skeptisch, Schleimerei ist ihm zuwider. Deshalb, lieber Jim, versuche ich mit wenig Weihrauch auszukommen. Aber ganz ohne geht es dann auch nicht!

Sie hatten jetzt zwei Minuten, um zu rechnen. Und wer vermutet, dass Jim Rakete gleich am Anfang der Fünfziger Jahre geboren ist, liegt richtig. Und nicht irgendwann am Anfang, sondern dem Neujahrstag 1951, alles andere wäre ihm langweilig vorgekommen. Langeweile überließ er den anderen. Geboren in Berlin, über Jahre in der Welt zu Hause, blieb diese Stadt mit all ihren Widersprüchen und Spannungen seine Heimat. Dass er schon als Schüler Photographie liebte, mehr noch als die Schule, dass er schon mit 17 bei der größten Berliner Tageszeitung anheuerte – das alles wird Sie nicht überraschen. Dass er aber über Jahre mit einer gewissen Hartnäckigkeit daran gearbeitet hat, Astronaut zu werden, das dürfte selbst für einige der alten Freunde Jims neu sein. Gut, dass ihm das jemand ausgeredet hat. Die Photos aus dem Weltraum auf unsere Mutter Erde haben andere gemacht; Jim ist der irdischen Photographie treu geblieben. Und zwar da, wo es ganz besonders irdisch zuging – beim Rock’n Roll. Er hat ihn gelebt, und er hatte sie alle vor der Kamera. Von Jimi Hendrix über Mick Jagger bis Bruce Springsteen (und der ist in diesem Jahr auch noch in Berlin). Auch die deutschen von Ulla Meinecke über Wolfgang Niedecken bis Nena. Musik war ihm wichtig, hat ihn sogar für fast 10 Jahr aus der Photokunst entführt. Er hat Bands betreut, war mit Nina Hagen unterwegs. Erst 1986 war er wieder zu Hause in seiner Photographie, und hat das Portrait endgültig zu seiner Kunstform entwickelt. Jim „schießt“ keine Photos, er malt mit der Kamera. Sie werden es gleich sehen – unglaublich sensible Portraits, die viel über die Menschen verraten, die er vor dem Objektiv hatte, aber genau so über die Neugier und Zugewandtheit des Photographen Jim Rakete.

Seine Portraits sind einzigartig. Wer nach Vorbildern und kunstgeschichtlicher Tradition sucht, wird am ehesten auf Irving Penn, vor allem aber August Sander stoßen.

Aber selbst wer die Bezüge zur Photographie von August Sander erkennt – und Jim würde sie nicht bestreiten – wird die Unterschiede sehen! Bei August Sander war die Photographie nicht nur künstlerisches, auch biographisches Hochamt. „Einmal im Leben“ – das sprach aus den Bildern von August Sander – der neueste Anzug, die sauberste Schürze, das feierlichste Gesicht auf jeder Photographie. Und wir ahnen, hinter der Kamera ein ebenso feierlich-ernst dreinblickender Photograph, elegant in Anzug, Krawattennadel und Vorhemd. Aus heutiger Sicht sind wunderbare, aber manchmal befremdliche Dokumente einer Selbstinszenierung entstanden. Und nicht nur Photos! Denn vergessen wir nicht, das war künstlerischer Beitrag zur Demokratisierung einer Gesellschaft, in der es bis dahin nur gemalte Portraits von Wohlhabenden gab.

Ich sehe Jim Rakete in dieser demokratischen Tradition von Kunst und doch sind die Photos, die sie heute Abend sehen, ganz anders. Sie sind sogar anders, als viele Photos von Jim Rakete, die Sie aus seiner langen Schaffensgeschichte kennen. Es ist die Ausstellung von Photographien, die für das deutsche Filmmuseum in den Jahren von 2009 bis 2011 entstanden sind; faszinierende Portraits – wie gewohnt – aber erstmals photographiert in Farbe und digital!

Aber Sie werden auch sehen: es geht nichts verloren, was Sie an Raketes Kunst schätzen. Seine Handschrift bleibt die, die Sie aus seinen großen, umfassenden Werk von Schwarz-Weiß-Portraits kennen. Jim hängt keinem Modernismus und keinem Zeitgeist nach, aber er weiß, dass auch seine Philosophie klassischer Photographie, gewachsen im Zeitalter des Analogen, in der digitalen Welt von heute zurechtkommen muss, schon um noch Verbreitung zu finden.

Jim mag darunter mehr leiden als wir Betrachter! Ihm fehlt das eine Original, wenn das Photo zum digitalen Datensatz wird. Aber für uns bleibt sein besonderer, empathischer Blick. In Jim Raketes Photos wird der Respekt für sein Gegenüber sichtbar. Sein Interesse gilt dem Menschen. Schlicht und einfach sollen seine Bilder sein; möglichst wenig inszeniert. Es ist die Suche nach dem Authentischen, das die Bilder, seine Bilder, so einzigartig macht.

Das werden Sie auch in der Ausstellung heute sehen, die – für das Filmmuseum entstanden – nicht ganz zufällig deutsche Filmschaffende portraitiert. Ein ganzes Panorama deutscher Schauspieler, Regisseure und Produzenten. Und wenn Sie Ihren Blick noch vor der Besichtigung kurz schweifen lassen – dann erkennen Sie die dramaturgische Idee: jeder durfte sich mit einem selbstgewählten Gegenstand abbilden lassen. Warum das bei mehr als nur einem eine Axt, ein Messer, eine Pistole, ein Gewehr ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ihm bei diesen Photos noch eines zusätzlich gelungen ist, was diese von früheren Photos unterscheidet: Es ist mehr als nur der empathische Blick des Photographen als Teilnehmer einer Begegnung mit seinem Gegenüber. Ich fand in dieser Ausstellung ganz spannend, wie in den Portraits privates Selbstbild und öffentliches Image miteinander neue Verbindungen eingegangen sind. Von Prinzessinnen-Träumen bis Rambo-Verschnitt ist alles dabei: Zartes und Leises genauso wie aufdringlich Lautes! Vieles passt! Manches bleibt ein Geheimnis des Portraitierten.

Die Auswahl der Darzustellenden trifft der Photograph „innerhalb des deutschen Personals“, wie er sagt. Außerhalb dieser Ausstellung gehören dazu nicht nur Künstler, erst vor kurzem jugendliche Straßenkids, auch andere, die auf die schiefe Bahn geraten sind wie Politiker. Wer immer das Glück hatte, vor seiner Kamera stehen zu dürfen, wird die unwirkliche - weil für den Berufsstand völlig untypische - Ruhe genossen haben, die bei „shootings“ mit Jim entsteht. Er vertraut nicht auf Staffage, er setzt nicht auf Spektakuläres, er bastelt keine Kulissen. Seine Bühne ist die Atmosphäre, die er schafft in seinem wunderschönen Atelier, beginnend mit dem ersten und zweiten und dritten Espresso. Sein Werkzeug ist die große Erfahrung und hohe Professionalität, die er immer ganz gern in äußerer Bescheidenheit versteckt. Nur so gelingt ihm, das einzufangen, was ihn an seinem Gegenüber interessiert, manchmal vielleicht fasziniert! Diese Ausstellung wird zum ersten Mal außerhalb des Filmmuseums in ihrer ganzen Größe gezeigt. Das ist gut, wenngleich schon die schiere Größe zu einer fast atemlosen Hängung geführt hat. Ich muss Sie dennoch bitten, sich beim Anschauen Zeit zu nehmen, um diese Photographien „einzuatmen“.

Sie werden viel „Neues“ entdecken, bei Menschen, von denen viele Ihnen wie alte Bekannte vorkommen. „Vertraute Fremde“ heißt im übrigen ein verwandtes, ebenso großartiges Photographie-Projekt von Jim Rakete!

Nehmen Sie sich Zeit und Sie werden bald den Unterschied sehen, zu den Millionen flüchtigen, äußerlichen und inszenierten Photos in Magazinen, Illustrierten und im Internet. Jim Rakete führt keinen unsinnigen Streit gegen das, was nicht aufzuhalten ist, aber er bewahrt, was mit der Veränderung der Technik nicht verloren gehen darf. Das ist Deine „Verbeugung vor den Wurzeln des Handwerks“.

Auch wenn wir uns lange kennen und mögen, unser Alltag, lieber Jim, ist ganz verschieden. Was uns eint, ist, dass wir beide Photographie noch mit „ph“ schreiben. Und vermutlich beide unsere Vinyl-Platten wieder aus dem Keller geholt haben, weil uns die digitale Perfektion gelegentlich schreckt. Wenn das konservativ ist, dann bist Du auch ein konservativer Photograph:

Ein Photograph, bei dem jeder Photoshop pleite macht, weil er Schönungen wie sie in der digitalen Welt üblich sind, konsequent ablehnt. „Für mich ist es einfach schön, die Zeit anzuhalten, zu verweilen und zu schauen, wie die Leute wirklich sind – jenseits von Make-up, Pose und Requisiten.“ hast Du im Interview gesagt. Auch wenn’s dem einen oder anderen von uns schwer fällt, Jim Rakete verlangt ein Gegenüber, das zu seinem Gesicht steht. Das Leugnen von Falten gilt nicht – nicht bei ihm. Er liebt den Fehler, unsere Fehler – nachträgliches Retuschieren gilt nicht. Seine Portraits leben von der Kraft der Begegnung. Seine Erklärung ist: „Es gilt das photographierte Bild.“ Nicht mehr - vor allem - aber auch nicht weniger! Das ist das „Glück des Verzichts“!

Und darauf lassen sich nicht alle, aber ganz viele ein. Die Menschen fühlen sich ernstgenommen von Dir. Sie haben keine Angst vor Dir und den Ergebnissen photographischer Begegnungen. Keine Angst, weil sie sich von Dir nicht hinter’s Licht geführt fühlen, nicht mal hinter’s Blitzlicht! Du fühlst mit Deinen Kunden! „Compassion“ hätte Willy Brandt das genannt. Und das genau brauchen wir – in der Politik wie in der Photographie!

Danke für diese Ausstellung!